Sein Blick ist neugierig, wach und immer auf der Suche. Wolf Birke beguckt sich die Welt am liebsten durch ein Objektiv. Mit einer Serie ungewöhnlicher Impressionen legt der Fotograf jetzt eine besondere Ansicht „seiner Stadt“ vor. Wuppertal ist keine Sonntagsstadt. Die Stadt hat viele Gesichter, nicht alle sind schön. Und dass in Wuppertal viel Anfang ist, zeigen engagierte Projekte, so beispielsweise die Aktion Nordbahntrasse. Um dieses Projekt zu fördern, hat der Wuppertaler Fotograf Wolf Birke Bilder der Stadt entwickelt, wie es sie bisher nicht gab. Sechs Motive zeigen Sehenswürdigkeiten von Wuppertal als Grafiken im Stil der Reklame-Ästhetik, wie sie in den 1920er Jahren üblich war. „Diese Stadt hat Zukunft. Meine Bilder zeigen das heutige Wuppertal, aber im Licht der Aufbruchsstimmung zu Zeiten der Stadtgründung“, sagt Birke. Motive über Wuppertal gibt es, wie er sagt, in einer Irrsinnsmenge. „Aber die waren mir alle zu beliebig. Die fotografische Versorgung mit Ansichtskarten war mir zu belanglos.“ Was für den 1951 in Ahlhorn Geborenen und zweijährig mit der Familie nach Wuppertal Gezogenen („Ich bin Wuppertaler“) bei all seinem Tun wichtig ist, ist Originalität. Allerdings ohne großes Tamtam. „Ich wollte Wahrzeichen, die schon tausendmal gezeigt worden sind, neu präsentieren.“ Vor gut einem Jahr hatte er begonnen, den Laurentiusplatz aus anderer Perspektive zu betrachten. Für ihn war dabei „das Motiv wichtiger als der Gedanke, es allen recht machen zu wollen“. Dass die Auswahl in der Postkartenserie jetzt auf drei Barmer, ein Elberfelder und zwei stadtteilungebundene Motive gefallen ist, sei purer Zufall. Die Zusammenstellung gefällt ihm, allerdings „schlägt sich der Wunsch nach Originalität nicht in Kommerz nieder“. Auch hier ist er Realist, das Geld wird anderswo verdient. „Es gibt immer einen Kreis von Leuten, die das, was ich mache, toll finden. Doch davon kann ich nicht leben.“ Als frustrierend empfindet er diese Tatsache nicht, „das wäre ein Kampf gegen Windmühlen“. Seinen Beruf ordnet er mehr als Handwerk denn als Kunst ein. „Sicher bin ich ein talentierter Fotograf. Aber kein Fotokünstler. So würde ich mich nie bezeichnen.“ Nebenbei findet er manches bei den selbsternannten Fotokünstlern mit ihren „unfassbaren Honoraren grotesk übertrieben“. Darüber kann er lachen.
Heimvorteil Wuppertal und gesunder Lokalpatriotismus: „In Wuppertal kann man als Fotograf nicht spezialisiert sein. Ich bin Allrounder.“ Manchmal, so sagt er, muss man etwas auch einem Zweck unterordnen. Dem Anspruch, etwas Unvergängliches zu schaffen, kann er eben nicht immer gerecht werden. Nicht nur wegen des Geldverdienens, sondern auch, weil Wolf Birke die Abwechslung liebt und „die unterschiedlichen Aufgaben gerne macht. Und das eine wie das andere mache ich mit Anspruch und Konzentration.“
Zu seinen Aufgaben gehören mal Produktaufnahmen, mal ein 14tägiges Herumgereise für den „European Energy Award“ der EnergieAgentur. NRW, „da bereise ich 15 preisgekrönte Kommunen, um ein schönes Bild der jeweiligen Städte zu machen“. Auch von denen, die den Ruf haben, jetzt nicht eben Juwele zu sein, nicht einmal schlafende Schönheiten.
Und damit ist der Fotograf, dessen Beruf tatsächlich Passion ist – seine Ferien verbringt der Freiberufler ebenso mit der Kamera wie den Spaziergang – im Thema: Wuppertal. Er mag die Stadt gerne. Seinem Naturell entsprechend bezeugt er dieses Interesse nicht durch opernhafte Gesten oder langatmige Ausführungen, sondern durchs Tun. Lange Zeit engagierte er sich im Vorstand von Wuppertal aktiv. „Dort habe ich im Vorstand mitgearbeitet, jetzt geht das mangels Zeit nicht mehr.“ Auch im Bergischen Ring hatte er einen Posten und zeichnete als Chef der IG-Luisenstraße elf Jahre verantwortlich – Hauptwerk hier war die Organisation des alljährlichen Dauerbrenners namens Luisenfest. „In Wuppertal gibt es keinen Inner Circle, der Neulinge nicht duldet. Im Gegenteil. „Es ist hier Diaspora, deshalb müssen die Leute anders zusammenhalten. Arrangement ist wichtig.“ Köln und Düsseldorf sind schöne Städte, aber Wuppertal ist er auch deshalb treu geblieben, weil das „hier überschaubar ist und genügend Luft für alle lässt.“
Sanfter Druck auf Entscheider ausüben
Was ihn allerdings ärgert, ist, dass Wuppertal, diese hoch verschuldete Stadt, aus ihrem Dornröschenschlaf gar nicht mehr erwachen will. Dass das Land NRW grundsätzlich Geld ins Ruhrgebiet gepumpt hat und Wuppertal leer ausging, „das sind besondere Dimensionen. Mit welchem Aufwand, aber auch welchem Erfolg Nichtigkeiten aus dem Ruhrgebiet als Sensationen verkauft werden, das hat schon was. Vor allem weil deutlich wird, wie sehr wir uns unter Wert verkaufen.“
Ja, die radikalen Sparmaßnahmen im Haushaltskonsolidierungskonzept seien wohl nötig. Zum Trost gibt es dann sogenannte Leuchttürme, das Jahrhundertprojekt Döppersberg beispielsweise, das aber von der Stadtspitze nicht gut genug verkauft wird. „Man kann aus so vielen Solitären dieser Stadt so viel mehr machen“, deshalb freut er sich über engagierte Mitstreiter wie Designer Oliver Stotz und dessen offene Kritik am Aussehen der Schwebebahn. „Es wäre doch schön, wenn Entscheider weniger Chancen vertun und verschleudern würden.“ Schlimmstes Beispiel für bauliche Fehlentscheidungen sei das Hotel am Johannisberg. Inmitten schöner Gebäude – die alte Direktion der Bundesbahn, neben Stadtsparkasse, Schwimmoper und Stadthalle – also Gebäuden mit Gesicht und Qualität, kommt dann an prominenter Stelle so ein 08/15-Haus. „Da hätte ich mir mehr Stolz und Selbstbewusstsein gewünscht, das hätte man schöner und besser machen können.“
Auch in diesem Sinne wollen seine Postkartenmotive mit Kaiserwagen, Engelshaus, Opernhaus, Elisenturm, Laurentiuskirche und natürlich einem Motiv der Nordbahntrasse, der Viadukt am Steinweg in Barmen, anregen.
Zugleich sollen sie handfest ein kleiner Beitrag zur Stadtentwicklung sein: Pro verkauftem Karton- Set geht ein Euro an die Wuppertalbewegung e.V. Eine zweite Serie außergewöhnlicher Postkartenmotive übrigens ist in Planung. Ergänzend zu den Klassikern könnten dann Toelleturm, Neptunbrunnen und das Rathaus Barmen unwiderstehlich in Szene gesetzt werden. Man muss eben nur wie Wolf Birke den klaren, wachen und ungetrübten Blick für die Dinge Wuppertals haben.
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