Es gibt gute Gründe, das Werk von Wilhelm Loth (1920-93) im Museum am Neumarkt auszustellen. Loth gehört zu den wichtigen deutschen Bilderhauern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die sich ganz der Darstellung der menschlichen Gestalt widmen und dabei von einem „klassischen“ Menschenbild ausgehen. Dieses Sujet hat er mit Käthe Kollwitz gemeinsam. Aber während sich Käthe Kollwitz – aus den Erfordernissen ihrer Zeit und ihrem großen Engagement heraus – den sozialen Zuständen zugewandt hat, geht es Wilhelm Loth auf andere Weise um die Realität. Er zeigt in seiner Kunst ausschließlich den weiblichen Körper, als Torso und oft in Konzentration auf die primären Geschlechtsmerkmale, und strebt dabei eine große Wirklichkeitsnähe, meist mit dem Bronzeguss, an. Natürlich wird damit die Sexualität als Schöpfungsgedanke angesprochen. Erotisches steht für Lebenskraft; Loth ist von der Barockskulptur Berninis nachhaltig beeindruckt.
Den Weg dahin hat ihm Käthe Kollwitz mit bereitet. 1937 hatte Wilhelm Loth erstmals ihre Grafiken gesehen und war von diesem Werk und dem Unangepassten des Menschenbildes, das gerade nicht die schönen, „weichgespülten“ Seiten der Gesellschaft, sondern die raue Wirklichkeit zeigt, tief beeindruckt. Loth fühlte sich in seiner Entscheidung, Künstler zu werden, bestätigt und nahm Kontakt mit der Bildhauerin in Berlin auf; 1938 hat er sie zum ersten Mal besucht. Der Briefwechsel, den die Beiden bis 1944 geführt haben, wird nun innerhalb der Ausstellung in Köln erstmals veröffentlicht. Zu sehen sind zugleich Loths Plastiken und Zeichnungen der 1950er und 1960er Jahre.
Wilhelm Loth ist heute im Rheinland wahrscheinlich nicht sehr bekannt. Aber er hat hier 1965 den Großen Kunstpreis erhalten und im Jahr darauf das Relief „Lippenwand“ im Josef-Haubrich-Hof gestaltet. Seine Heimat ist jedoch Südwestdeutschland. Loth wurde 1920 in Darmstadt geboren. Er hat nach dem Krieg in dieser Stadt studiert und selbst unterrichtet, bevor er einen Ruf als Leiter und dann Professor einer Bildhauer-Kasse an der Kunstakademie in Karlsruhe erhalten hat. Zu seinen bedeutendsten Schülern gehören Franz Bernhard und Robert Schad. Beide gehen wie ihr akademischer Lehrer von der menschlichen Gestalt aus und verknappen diese: Franz Bernhard deutet den versehrten und verletzten Leib als Fragment aus Holz mit Eisenbeschlägen nur noch zeichenhaft an, und der etwas jüngere Robert Schad entwickelt mit hoch aufragenden, dabei abknickenden Eisenstäben eine tänzerische Bewegtheit. Etwas von Beidem klingt ebenfalls schon in Loths eigenem Werk an.
Hommage à Käthe Kollwitz
Loths einziger, in seinen Plastiken und Zeichnungen tausendfach verwendeter und variierter Gegenstand ist der Körper der Frau; anfangs entstehen auch Portraits und Büsten. Loth arbeitet zunächst besonders mit Terrakotta in einer archaischen, grob typisierenden Formensprache, die er nur kurze Zeit auch in Eisen und Bronze umsetzt; mit dem Metall arbeitet er zunehmend ab Beginn der 1950er Jahre. Ein wichtiger Schritt bei der Ausbildung des eigenen Stils ist der Bronzetorso „Hommage à Käthe Kollwitz“ (1957), der sozusagen das heimliche Zentrum der Ausstellung in Köln ist. Dabei handelt es sich um die erste von drei plastischen Arbeiten, die Wilhelm Loth Käthe Kollwitz gewidmet hat. Unter anderem von dieser Arbeit aus wagt sich Loth recht schnell weiter in die Abstraktion der Figur vor. Realistisch wirken nur die Oberkörper als solche, die eine Oberfläche aus Hebungen und Senken besitzen und sozusagen „atmen“. Zeitweilig setzt Loth davor kantige Gestänge, die wie Gliedmaßen ausgreifen und die Skulptur oder das Relief weiter öffnen – es ging Loth um die Lebendigkeit des Körpers. Erst im Laufe der 1960er Jahre werden die Formen weicher, die ausdrucksstarken Stangen verschwinden ganz, Loth konzentriert sich nun auf den Torso. Indirekt reagiert er auf die Abstraktionen der künstlerischen Avantgarde, so schließt er etwa an die informelle Plastik an, bei der die unruhigen Aufwerfungen der Bronze an Vegetation und Landschaft erinnern. Später wird Loth auch auf die geometrische Kunst des Hard Edge eingehen. Er beschneidet die Torsi seitlich kantig. Zeitweilig experimentiert er mit Kunststoff, aber das ist dann in den 1970er Jahren – und es ist schon nicht mehr Thema der Ausstellung im Käthe Kollwitz Museum.
Vielmehr hebt diese Ausstellung klugerweise auf das Grundsätzliche, Fundamentale bei Wilhelm Loth ab, zu Zeiten, als sein Thema für ihn noch nicht zum Selbstläufer geworden war und er noch um die angemessene Form gerungen hat. Gerade die Fragmentierung des Körpers erscheint ihm als Möglichkeit, diesen in seiner Gesamtheit zu zeigen. Zugleich stellt sich ihm die Frage, wie man mit den Mitteln der Bildhauerkunst dem Abbild des Menschen Wahrhaftigkeit und Sinnlichkeit verleihen kann. Von der Notwendigkeit eines Realismus, der im Gegensatz zur Propaganda der NS-Zeit nicht manipuliert ist, überzeugt ihn das Werk von Käthe Kollwitz weiter. Käthe Kollwitz wiederum hatte vorausgesehen, dass Loth in der Bildhauerei seine wahre Bestimmung finden könnte: „Ich glaube mich nicht zu irren, dass sie, die Plastik, Sie einmal ganz haben wird“ (12.4.1941). Und die große Dame der kritischen, unangepassten Bildhauerei sah in Loth eine Hoffnung für die künftige Kunst – ihr Wunsch, dass er Wichtiges schaffe und dies auch die angemessene Anerkennung finde, hat sich tatsächlich erfüllt. Loth, der auf der Darmstädter Mathildenhöhe gelebt hat, wird 1964 zur Documenta nach Kassel eingeladen, seine Arbeiten werden in den wichtigen deutschen Museen gezeigt und befinden sich in deren Sammlungen. In einer dialogischen Ausstellung aber waren Werk und Gedanken von Käthe Kollwitz und Wilhelm Loth noch nie zu sehen – die Ausstellung im Museum am Neumarkt ist also eine Premiere.
„Wilhelm Loth – Skulpturen und Zeichnungen der 1950er und 1960er Jahre“ I 30. März bis 10. Juni im Käthe Kollwitz Museum, Köln I www.kollwitz.de
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