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„Verrücktes Blut“
Foto: Meyer Originals

Die Gang-Strategie

31. März 2016

„Verrücktes Blut“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 04/16

Ob Mottowoche oder Projekttag, ob Gymnasium oder Schauspielschule – ohne Gewalt geht es nicht. Die Lehrerin im grauen Kostüm doziert unbeirrt über Schiller und den Sturm und Drang ins Publikum, während in ihrem Rücken Jungs mit anabolischem Mundwerk und Mädchen in Tigerleggins oder mit Kopftuch herumrüpeln. Regisseur Nils Daniel Finkh zoomt das Klischee groß auf: Aufgetunter Frontalunterricht versus pöbelnde Kanak-Sprak. Und er verlegt das Geschehen in eine Schauspielschule, schließlich stehen Mitglieder der Schule des Keller auf der Bühne. Als Musa eine Pistole aus dem Rucksack fällt, greift die Pädagogin beherzt zu und macht, die 38er im Anschlag, Ernst mit Schillers Theorie der ästhetischen Erziehung. Zunächst ballert Frau Kehlich (Barbara Fernández) viel herum, bis der Respekt nach Gangmanier hergestellt ist, dann geht alles wie am Schillerschnürchen. Sie zwingt Musa, Ahmed und Ferit, Gangszenen aus den „Räubern“ nachzuspielen, inszeniert den Liebestod aus „Kabale und Liebe“, dekonstruiert den Schlampen-Talk der Jungs oder animiert Latifa und Mariam zur Frauenpower.

Die Inszenierung rückt die Lehrerin ins Zentrum, und Barbara Fernández sammelt alles ein, was an Lachern kommt. Die Schüler bleiben dabei zum Teil auf der Strecke, weil die Regie die im Stück angedeutete Aneignung der Schiller-Szenen durch die Migranten nicht herausarbeitet. Da nützen auch die dazwischen geschalteten Volkslieder als Bruch nicht viel. Der Effekt, der allerdings schon in Nurkan Erpulats und Jens Hilljes Stück angelegt ist, erinnert an Brechts „Mutter Courage“: Die Kritik an der Pädagoginnen-Suada aus Klischees, Aufklärung, Gewaltfantasien, stimmiger Analyse und Zwangsbeglückung läuft ins Leere, die Lehrerin wird trotzdem zur Identifikationsfigur. Nur Mariam (Romi Maria Goehlich) hat am Ende einen großen Auftritt mit Pistole: Sie legt ihr Kopftuch ab (Beifall der Zuschauer), um Musa als Chef der Gang fesseln zu lassen. Und auch der gequälte Underdog Hasan (Frank Casali), der schon als Franz Moor groß aufspielt, darf mit einem Wutausbruch noch mal glänzen. Nichtsdestotrotz ein sehr unterhaltsamer Abend.

„Verrücktes Blut“ | R: Nils Daniel Finkh | Do 14.4., Di 26.4., Mi 27.4. 20 Uhr | Theater der Keller | 0221 31 80 59

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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