Die Sonne scheint unerbittlich. Das ist alles, was in Konstatin Küsperts Monolog „Asche“ nach der Katastrophe von der Welt noch übriggeblieben ist. Und ein Wesen, das man früher einmal Mensch genannt hätte. Namenlos und allein. Wenn die kleinste Einheit des Humanen zwei Menschen wären, dann kann es sich hier nicht um ein menschliches Wesen handeln. Wenn allerdings der unbändige Willen zum (Über-)Leben und die Selbstreflektion über allem stehen, muss man dieser Kreatur hominide Züge zugestehen. Das Analogtheater stellt Küsperts Text an den Anfang seiner neuen Reihe „Die Psychonauten“. Ein Gespräch mit Regisseur Daniel Schüßler.
choices: Herr Schüßler, sind Apokalypsen eigentlich sexy?
Daniel Schüßler: Die Erwartung einer Apokalypse hat schon in früheren Jahrhunderten einen Zustand der Entfesselung ausgelöst. Es sind viele Normen und Regeln gefallen, weil die Menschen dachten, es ist eh alles egal. Die Frage ist nur: Wie wacht man am Tag danach auf? Der Monolog von Konstantin Küspert setzt an, wenn die Zerstörung schon stattgefunden hat. Ein Mensch ist damit konfrontiert, was aus der Welt geworden ist. Der Moment davor hat vielleicht eine gewisse Sexyness und entwickelt eine Eigendynamik, wie wir gerade am Beispiel der Rechtspopulisten feststellen können, die mit Tabubrüchen den gesellschaftlichen Diskurs zu diktieren versuchen.
Was bedeutet es, der einzige Überlebende einer Katastrophe zu sein wie der Mensch in Konstantin Küsperts Monolog?
Wir lesen den Text auf zwei Arten: Auf diesen Menschen bezogen, der als letzter seiner Art einsam durch die Welt wandert, aber wahrscheinlich aus einem Narzissmus heraus der Verursacher dieser Katastrophe war. Und wir deuten ihn allegorisch: Dass also in einem präfaschistischen Moment die Werte der Aufklärung, der Mitmenschlichkeit und der Vernunft weggewischt wurden, ohne über die Folgen nachzudenken.
Ist ein solcher Zustand überhaupt auszuhalten?
Für den Menschen, der alleine übrigbleibt, ist das ein psychotischer Zustand. Da geht es um die Urangst des Menschen, allein zu sein in dieser Welt und keinen Gesprächspartner mehr zu haben. Niemanden mehr zu haben, der einen spiegeln und reflektieren kann. Plötzlich stellt man fest, dass man verdammt einsam ist. Küsperts Mensch muss sich außerdem mit der Schuld auseinandersetzen, die Katastrophe zumindest mitverursacht zu haben. Die Beschreibung der Alltagsroutinen im Text sind letztlich eine Folge der Verdrängung dieser Schuld. Hinter dem endlosen Suchen, Ravioli finden, die eigene Befindlichkeit beschreiben, wummern Angst und Schuldbewusstsein.
Warum hat er an der Zerstörung mitgearbeitet?
Das hängt davon ab, wie man die Figur sieht. Ich kann durchaus gehässige Züge bei diesem Menschen erkennen, auch Ironie, Empathielosigkeit und sogar Zynismus den Opfern der Katastrophe gegenüber. Da schließt sich dann der Kreis zu heute. Vieles entwickelt sich aus einer Gedankenlosigkeit und narzisstischen Überformung, die gelegentlich in eine gewisse Zerstörungslust mündet.
Gibt es für Küsperts Menschen ein Entkommen?
Die Angst wird schließlich so mächtig, dass er dem Eingeständnis der Schuld nicht mehr entkommt. Das ist auch ein Moment der Freiheit. Der Freiheit Buße zu tun, indem man sich selbst umbringt und anerkennt, dass es nicht mehr weitergeht. Dass hinter dem Hoffnungswurm, der mich füttert und weitermachen lässt, die Frage steht: Wofür eigentlich? Also wie bei einem Selbstmörder, der sich zur Tat entscheidet und darin auch eine Form von Beruhigung findet.
Wer sind die anderen, von denen die Kreatur bei Küspert immer wieder spricht und die ihn angeblich beobachten? Oder ist das Paranoia?
Zum Teil sind es die Toten, die Mahnenden oder die anklagenden Opfer wie bei Shakespeares „Macbeth“. Zum Teil kann man den Text so lesen, dass es wohl einige Zeit andere Überlebende gab, mit denen er den Weg geteilt hat. Zum Teil sind es aber auch innere Stimmen, die ihn irgendwie bedrängen. Wie auch das grüne Licht im Stück, das wahrscheinlich für die Hoffnung steht, aber auch etwas Bedrohliches hat. Der Mensch verfolgt das grüne Licht, befürchtet aber, dass das eine Falle sein könnte. Da bin ich wieder bei dem psychotischen Zustand: Die Hoffnung kann erst zur Erlösung führen, wenn man anerkennt, was man getan hat.
Sie besetzen das Stück nicht mit einem, sondern gleich vier Darstellern?
Wir erzählen das Stück nicht über den einsamen Wanderer, sondern werden vier PerformerInnen auf der Bühne haben. Wir begreifen den Text als eine sprachperformative Situation. Der Text stellt keine realistische Spielsituationen her, sondern wirkt eigentlich mehr durch die Sprache. Er verfügt über eine hohe Musikalität, ist eigentlich selbst schon eine Komposition, die Sprache als perfomatives Moment benutzt. Die vier PerformerInnen stehen einerseits für den Wanderer, andererseits für die gesamte Menschheit. Sie werden auf der Bühne auf das reduziert sein, was die Urform des Menschen ausmacht: Nacktheit, Haut, Knochen, Fett.
Wie weit geht die Musikalisierung des Textes?
Der Text ist immer wieder aufgeteilt auf die vier Performer, formt sich dann wieder zu Chören zusammen, mal unisono, mal nicht. Dazu komponiert Ben Lauer einen durchgehenden Soundtrack, der stark rhythmisiert ist, aber auch Atmosphären vorgibt. Es ist ähnlich wie bei Thomas Bernhard, dass der Text fast meditativ voranschreitet, dann gibt es wieder Stromschnellen. Die Musik ist aber nur ein Teil. Wir arbeiten daran mit allen Gewerken. Dazu kommt noch der Medienkünstler Michael Schmitz, der sich mit generativer Computerkunst beschäftigt und mit der Bühnenbildnerin Eva Sauermann den Raum gestaltet. Für uns stand der erste Satz des Monologs: „Wenigstens die Sonne ist noch die gleiche“, im Vordergrund. Das heißt im Umkehrschluss, dass alles andere nicht mehr vorhanden ist. Da man diese Verwüstung gar nicht realistisch darstellen kann, haben wir uns dafür entschieden, einen abstrakten Raum zu gestalten, in dem ein performativer Text stattfindet. Und der mit den Mitteln der Abstraktion Situationen schafft, die vielleicht psychische Zustände zeigen. Der Abend funktioniert über ein Zusammenspiel von performativer Sprachbehandlung, Visualisierung von Räumen und Situationen plus musikalische Situationen. Diese drei Dinge ergeben dann hoffentlich am Ende ein Ganzes.
„Die Psychonauten: Asche“ | R: Daniel Schüßler | 5. - 9.9. 20 Uhr | Studiobühne Köln | 0221 470 45 13
Zur Person
Daniel Schüßler studierte Schauspiel am „Zentrum für Schauspiel“ in Köln. 2004 gründete er das Analogtheater, dessen Regisseur und künstlerischer Leiter er seither ist. Mit „wohnen. unter glas“ von Ewald Palmetshofer gewann er den Preis der Jury bei den Heidelberger Theatertagen 2010. „Nur Utopien sind noch realistisch“ gewann 2017 den Kölner Theaterpreis.
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