Es gibt Momente, da versteht Fatih Çevikkollu die Ängste der Kleinbürger. Zwar trat der Kölner Kabarettist im Rahmen des Köln Comedy Festivals mit den Comedians Tamika Campbell, Nektarios Vlachopoulos und Sertaç Mutlu unter dem Motto „Doppelte Spaßbürgerschaft“ für eine offene Gesellschaft des interkulturellen Miteinanders auf die Bühne der Comedia, doch teilt er gelegentlich eine der Schlüsselsorgen der „Wütenden“ und „Frustierten“. So fürchtet auch er, dass ihm der Job weggenommen wird. Jedoch nicht von Flüchtlingen, sondern von Rechtsauslegern in hohen Ämtern: „Es ist erschreckend, wie manche Politiker derzeit versuchen, den Komikern die Arbeit streitig zu machen. Was Leute wie Trump oder Erdogan abziehen, ist die reine Zuspitzung, der ich nichts mehr hinzufügen kann. Ein bisschen ratlos macht mich das schon.“ Statt sich der Angst hinzugeben, ergreift er die Flucht nach vorn und auf die Bühne: „Vielleicht ändert sich dadurch die Aufgabe des Kabarettisten in die Richtung, dass es heute unsere Pflicht ist, die Aufmerksamkeit des Publikums darauf zu lenken, wie dünn, wie schief, wie falsch dieser Zustand ist. Vielleicht muss man verhindern, dass solche Menschen und Zustände als normal angesehen werden.“
Aufmerksamkeit zu lenken, ohne in Empörung zu verfallen und den Populisten dabei eine Bühne für ihre kruden Ideologien zu überlassen, ist ihm gleichermaßen Anliegen wie Herausforderung. Dass eine falsche Lehrerhaftigkeit das Gegenteil bewirken kann, konnte er zuletzt in Österreich beobachten, wo es den Rechtsauslegern wie Strache oder Kurz gelang, die Medien durch jeden Reifen springen zu lassen. „Dass es diesen Leuten gelungen ist, dermaßen den Diskurs zu bestimmen, irritiert mich noch immer.“ Statt sich ausschließlich den Scharfmachern von AfD bis ÖVP zu widmen, bewies er auf der Bühne, dass er zwar sicher und souverän auf dem Standbein des Polit-Kabarettisten auskommt, sich aber keineswegs darauf festlegen möchte. So widmete er sich zwar pflichtschuldig dem Koalitionspoker nach der Wahl und verteilte obligatorische Klatschen in alle Richtungen, ging später jedoch zu einer Bestandaufnahme kölscher Befindlichkeiten über. Trotz vieler Jahre auf den Bühnen des Landes betritt er im Rahmen des Comedy Festivals wieder das Themenfeld „Multikulti“. In einer Schublade wähnt er sich dennoch nicht: „Für mich ist das Thema Zuwanderung keine Reduktion. Es ist die Zukunft und wird in Zukunft nicht an Brisanz und Aktualität verlieren.“
Allein die Spuren, die multikultureller Zuwachs im Bereich Comedy hinterlassen hat, sind für Çevikkollu offensichtlich: „Was ausländische Komiker dem deutschen Humor in Sachen Haltung und Blickwinkel gegeben haben, ist kaum zu bemessen. Manchmal gibt es nichts Besseres als einen Blick von außen, der dabei hilft, eigene Standpunkte, die man immer für selbstverständlich hielt, in Frage zu stellen und mit Hilfe von Humor Verhaltensmuster abzulegen.“
In der Comedia zeigte sich dies nicht zuletzt bei Sertaç Mutlus Performance, die durch Spontanität und Herzlichkeit auftrumpfte. Zwar mochte das großteils aus heiteren Anekdoten über bürgerlichen Rassismus und kleine Culture Clashs bestehende Material nicht zum innovativsten Teil des Abends gehören, doch glänzte Mutlu mit Authentizität und rabaukigem Charme. Bräsigkeit, das machte er klar, ist eine Kunst, in der sich Deutsche und Türken nichts schenken. Am anderen Ende des stilistischen Spektrums fand sich der griechischstämmige Nektarios Vlachopoulos, der bisher vor allem als Poetry-Slammer in Erscheinung trat und einen eher literarischen Weg wählte. Mit spitzer Zunge wagte er den Drahtseilakt zwischen komödiantischer Lesung und pointiertem Stand-Up und sezierte mit spitzer Zunge kunstvoll die Untiefen alltäglicher Befangenheit im „Melting-Pot Germany“.
Während Vlachopoulos sich um einen unterkühlten Eindruck bemühte, gefiel sich Çevikkollu in der Rolle der Rampensau und genoss es sichtlich, kleine und große Provokationen in sein Auftritte zu weben. So konnte er sich der geschockten Stille auf deutscher Seite gewiss sein, als er sich und Mutlu an einer Stelle als „Kölner Comedy-Kanaken“ bezeichnete. Gerade die Schockmomente können dabei, so Çevikkollu einen besonderen Reiz haben. „Es gibt verschiedene Arten des Lachens“, erklärt er. „Das ‚Hahaha‘ und das ‚Hohoho‘. Das ‚Hahaha‘ ist der ganz normale Lacher, bei dem jemand die Pointe verstanden hat und das zeigt. Das ‚Hohoho‘ ist interessanter. In diesem Lachen ist immer etwas Schuldiges. Das kommt nämlich immer, wenn man an Grenzen geht oder sie überschreitet und die Besucher die Pointe zwar verstehen, aber gleichzeitig den Lachimpuls unterdrücken wollen. Warum eigentlich? Lach ruhig! Humor muss über solchen Hemmungen stehen. Es ist immer noch die schönste Form des Kontrollverlusts.“
Dass es auch ganz anders geht und nicht die politische Dimension im Mittelpunkt stehen muss, bewies Tamika Campbell, deren schillernder Auftritt den soziokulturellen Rahmen sprengte. Zwar verlor auch die aus New York stammende Berlinerin schnell ein paar Worte zum „netten Rassismus“ der Deutschen, den Flirtkünsten des teutonischen Mannes und politisch korrekte Sprachregelungen, doch behandelte sie über weite Strecken gänzlich private Themen wie Alter, Sex, Kindererziehung, One-Night-Stands und Schokolade. Statt dabei deutsche Verdruckstheit an den Tag zu legen, drehte sie manisch auf und punktete mit einer Intensität und Lautstärke, wie man sie im biodeutschen Comedy-Einerlei nicht gewohnt ist. Falsche Scham und Geschmacksgrenzen gingen früh über Bord und waren nicht mehr gesehen. Das Publikum genoss den gepflegten Kontrollverlust über die Gesichtszüge und Lachmuskeln so sehr, dass mit einem Mal völlig egal war, ob gerade ein „Hahaha“ oder „Hohoho“ erklang.
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