Die Sensation sieht man im Skulpturenpark zunächst nicht. Aus einem zylindrischen Krater ragt eine Metallstange: Von oben blickt man auf ein Autowrack, das sich durch einen Aufprall um diese Stange gewickelt hat und sozusagen den schrecklichen Unfall konserviert. Der Betrachter wird zum Voyeur. Über einen Steg, der an der Wand entlang in die Tiefe verläuft, sieht er das Auto aus allen Perspektiven und schließlich von unten. Minutiös wird potentielle Sensationsgier rekonstruiert, zugleich formuliert sich ein erstklassiges Kunstwerk unserer Tage, das Geschwindigkeitswahn und die Grenzen des Fortschritts thematisiert. Für das Werk von Dirk Skreber ist die Arbeit konsequent: Skreber ist eigentlich Maler, der auf riesengroßen Leinwänden realistisch Katastrophen wiedergibt und sich zuletzt, in Ausschnitten, besonders Fahrzeugcrashs zugewendet hat. Daneben hat Skreber seine Gemälde immer wieder in architektonischen Konstruktionen inszeniert, bis sich diese selbst als eigener künstlerischer Beitrag erwiesen, nun ganz ohne Malerei.
Errichtet wurde Skrebers „Reaktor“ 2009 zur Ausstellung „KölnSkulptur 5 – Reality Check“. Die für die Dauer von zwei Jahren hier gezeigten, dazu von den Künstlern erstellten oder über Galerien entliehenen Werke handeln von spezifischen Phänomenen der heutigen Zeit zwischen sachlicher Wiedergabe und Drastik, mit klassischen oder zeitgenössischen Materialien und oft gegeben in Farbe. Plastik und Skulptur wechseln zwischen Abstandnahme und unmittelbarem Einbezug, Coolness und Betroffenheit, und auch wenn nicht alles gelungen ist, so werden doch wesentliche brisante Themen angerissen. Produktiv ist gewiss, dass diese Auswahl jüngerer, überwiegend deutscher Plastik in einen Dialog mit älteren Arbeiten seit den 1980er Jahren tritt, die hier als hochkarätige Wegmarkierungen erhalten geblieben sind.
So wirkt Skrebers Arbeit wie eine Umkehrung von Mark di Suveros Stahlplastik „Racine du Naos“ (1996), welche als rasant verjüngtes Gerüst aus sich kreuzenden Ringen und Doppel-T-Trägern wie ein Jet kurz vorm Abheben im Gelände wirkt. Und während Christina Dolls überlebensgroße, in ihrer Körperlichkeit hyperrealistische Frau aus Beton zwischen Nettigkeit und Horrorvision verbleibt, lässt Norbert Krickes abknickend vom Boden ein einzelnes Rohr aus Edelstahl vertikal in den Himmel ragen. Also, man kann den ganzen Tag hier verbringen, der Park ist – wie ein öffentliches Anwesen – täglich geöffnet und zwar bis September von 10.30 bis 19 Uhr, danach bis 17 Uhr. Der Eintritt ist frei. Zu studieren sind ja schon die „klassischen“ Positionen etwa von Joel Shapiro und Bernar Venet oder die avantgardistischen Ansätze hin zu Objekt und Installation (Dan Graham, Rosemarie Trockel), die entweder von der Gesellschaft der Freunde des Skulpturenparks Köln e.V. erworben wurden oder im Besitz der Michael und Eleonore Stoffel Stiftung sind – hier finden also unterschiedliche Besitzkonstruktionen zusammen.
1997 wurde der Skulpturenpark (und mit ihm die fördernde Gesellschaft der Freunde) vom Ehepaar Stoffel gegründet. Das Areal befindet sich nahe der Zoobrücke, neben der ehemaligen Kölner Jugendherberge, wo Michael und Eleonore Stoffel, die 2005 bzw. 2007 verstorben sind, auch gewohnt haben. Ihre private Kunstsammlung umfasste Werkkomplexe wichtiger deutscher und amerikanischer Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Neben der Malerei spielte dabei die Skulptur eine Rolle.
2008 erhielten die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München diese Sammlung als ewige Dauerleihgabe, gestatteten aber ihrerseits, dass jedenfalls vorübergehend einige der Plastiken im Skulpturenpark bleiben durften. Die Gesellschaft der Freunde hat zudem aus den „KölnSkulptur“-Ausstellungen einzelne Werke erworben. Die Stiftung Skulpturenpark Köln begleitet mit Führungen und Sonderveranstaltungen diese Ausstellungen und bereitet sie vor: Im April nächsten Jahres folgt „KölnSkulptur 6“ als aktualisierter Einblick in die zeitgenössische Plastik für den Außenraum. Und als vitales Angebot zum Sehen und zeitweiliger Rückzugsort, einmalig sogar in Köln, nur durch eine Straße vom Rhein getrennt.
Reality Check – KölnSkulptur 5 I bis April 2011 in der Stiftung Skulpturenpark Köln I Elsa-Brändström-Str. 9 I www.skulpturenparkkoeln.de
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