choices: Frau Bramkamp, Frau Buddeberg, was hat Sie gereizt, in Bonn Theater zu machen?
Alice Buddeberg: Bonn ist zum Kunstmachen ein interessantes Gegenüber. Eine Stadt, die ihre Rolle immer neu definieren musste, bietet Reibungen und ist dadurch lebendig. Geschichte und Gegenwart dieser Stadt bieten einen Anhaltspunkt, mit dem man umgehen kann.
Nicola Bramkamp: Eine Stadt, die sich im Wandel befindet, stellt Fragen und ist geistig mobiler und flexibler. Das ist der beste Nährboden für Kultur. Die Stadt ist zum Theatermachen auch deshalb großartig, weil sie eine lange Tradition besitzt. Es gibt ein Bewusstsein sowohl im Haus selbst als auch beim Publikum, das eine bestimmte Erwartungshaltung hat. Das trifft man nicht in jeder kleineren Stadt an. Und dann gibt es hier ein politisches Bewusstsein.
Welche Rolle spielt die Stadt Bonn im Spielplan?
Bramkamp: Wir haben das Thema Zeit, das uns beschäftigt. Die Befragung von Geschichte, aber auch die Frage nach Entschleunigung in unserer beschleunigten Welt. Beim Befragen von Geschichte kommt man hier in Bonn natürlich zunächst auf die bundesrepublikanische Vergangenheit, die wir mit der Uraufführung von Nolte Decar „Helmut Kohl läuft durch Bonn“ beleuchten. Das ist eine Trashnummer, die die Bonner Republik auf die Schippe nimmt. Dann hat diese Stadt so eine Aura von 1960er Jahre-Muff, der inzwischen schon wieder stylisch ist. Da kommt man natürlich auf Heinrich Bölls „Ansichten eines Clowns“. Bernhard Mikeska wird außerdem ein Stadtprojekt machen, das die Orte der Bonner Republik aufsucht. Volker Lösch beschäftigt sich mit den Burschenschaften, von denen es unglaublich viele in Bonn gibt. Wir wollen schauen, wo die neuralgischen Punkte in dieser Stadt sind.
Zum Auftakt beschäftigen Sie sich mit Vorstufe und Folgen des 1. Weltkriegs anhand von Florian Illies‘ „1913“ und Döblins „Karl und Rosa“.
Buddeberg: Bei Illies kommt der Weltkrieg höchstens als Vorahnung vor. Es ist fast so, als würde man in der „Gala“ von 1913 blättern – lauter kulturelle Ereignisse, Gossip und Zeitgeist. Gleichzeitig gibt es Momente von Katastrophensehnsucht und Katastrophenahnung, und das macht es als Spiegelbild für unsere Zeit interessant. Sind wir nicht an einem ähnlichen Punkt, wo wir anfangen, fair produzierte Kleidung zu tragen, aber nicht mehr wirklich handeln zu können? Und gleichzeitig sehnen wir uns nach einem historischen Ereignis, das alle Fragen nochmal neu aufwirft. Der Autor Lothar Kittstein und ich haben geschaut, welche Stränge wir aus dem Werk erzählen wollen. Die Inszenierungsarbeit aber wird von den Schauspielern übernommen. „1913“ ist ein Projekt, bei dem sich das gesamte Ensemble vorstellen wird.
Und wie passt die Uraufführung von Döblins „Karl und Rosa“ dazu, der 4. Teil seines Großromans „November 1918“?
Bramkamp: Dramaturgisch ist das spannend, weil „1913“ als Tanz auf dem Vulkan das Gefühl vermittelt, alles sei möglich, bei großer künstlerischer Freiheit und Blüte. Fünf Jahre später gibt es dann den politischen Absturz. Dazwischen liegt der Erste Weltkrieg, der für unsere Geschichte und den Beginn der Moderne das Ereignis schlechthin ist. Wir wollen untersuchen, was das für die Menschen in dieser Zeit bedeutet, und was wir davon lernen können.
Buddeberg: Der Weltkrieg ist verloren, es gibt kein installiertes System, man kann also das Blatt neu beschreiben mit einer neu beginnenden Geschichte.
Aber Döblin schreibt seinen Roman in der Emigration?
Buddeberg: Das ist toll und macht es zugleich auch traurig. Döblin sitzt da und weiß, dass die Revolution in den Faschismus gelaufen ist. Das ist aber gar nicht so sehr eine politische Geschichte, es geht vor allem um die Frage nach Verantwortung, nach dem Menschsein, nach der Freiheit. Der Weltkrieg hat für die Figur des Friedrich Becker ja auch eine traumatisierende Wirkung, und daraus entwickeln sich dann diese allgemeineren und größeren Fragen. Und es gibt die vielen surrealen Bilder bei Döblin. Ich bin ganz froh, dass man es da mit Literatur zu tun hat. Man möchte eben nicht nur sozialistische Predigten inszenieren. Da ist es ganz angenehm, dass die Rosa Luxemburg auch noch Liebeskummer und eine Psychose hat. Das ist toll als Spielfutter.
Was bedeutet es für Sie, Schauspieldirektorin zu sein?
Bramkamp: Das ist schon immer der Traum gewesen, dass man Theater macht unter Bedingungen, die man sich selber stellt. Stadttheater ist sicher ein großartiges System, es muss aber befreit werden von bestimmten restriktiven Strukturen. Ich bin zwar die Schauspieldirektorin, aber wir haben das Theater von Anfang an als Team erfunden. Dadurch ist ein großartiges Ensemble entstanden, und so ist es mit den Regisseuren letztlich auch. Wir versuchen, die Stadttheaterstrukturen dahingehend zu fordern, dass wir Projekte machen, die anders als im Sechs-Wochen-Rhythmus mit Hauptprobe und Generalprobe entstehen. „Metropolis“ in der Regie von Jan-Christoph Gockel beispielsweise ist ein großes Spektakel in der Halle Beuel, mit Puppenspiel, Sound und Ausstattung, das seit August probt und erst im November Premiere hat. Wir arbeiten mit Theatermachern aus der Freien Szene, u.a. mit Bernhard Mikeska und Stefan Rogge aus Köln. Wir wollen zeigen, dass man auch anders arbeiten kann. Das sind Projekte, die von allen mehr fordern als das Übliche. Wenn wir jungen Theatermacher nicht anfangen, Dinge umzustrukturieren, dann steht es schlecht um die Zukunft des Stadttheaters und der Freien Szene.
Sie haben im Interview häufig von politischem Theater gesprochen. Was verstehen Sie darunter?
Buddeberg: Für mich ist das eher die Frage des Umgangs miteinander, wie das auch René Pollesch beschreibt. Wie schafft man innerhalb eines kapitalistischen Systems einen Ort, an dem man gleichberechtigt miteinander arbeiten kann? Da fangen die politischen Auseinandersetzungen an und nicht erst mit der Stoffwahl.
Bramkamp: Hier ist noch gar nicht ins Bewusstsein gedrungen, dass wir auch als Versammlungsort eine Kraft und eine Macht haben. Es geht also einmal um den Produktionsprozess, um die Auswahl der Themen und um das Einmischen in Dinge, die gerade in der Stadt passieren. Es geht also darum, Haltung zu beziehen. Das ist das, was ich als gesellschaftsrelevant und politisch bezeichnen würde.
Im Kulturkonzept Bonn 2020 ist davon die Rede, das Zentrum in Beuel zu einer Schnittstelle zwischen Stadttheater und Freier Szene zu machen.
Bramkamp: Das Kulturkonzept ist toll, weil es Visionen aufmacht, wie die Kultur zu stärken ist. Wir müssen aber erst einmal gucken, ob diese Visionen umsetzbar sind. Die Überlegung, dass Stadttheater und Freie Szene enger kooperieren, ist in Beuel möglich. Es bleibt die Frage, unter welchen qualitativen Kriterien, und unter welcher Federführung. Ich bin stark dafür, neben der Bonner Freien Szene auch die Freie Szene der gesamten Region, sogar des ganzen Landes als Partner zu denken.
Sie müssen 3,5 Mio. Euro einsparen. Inwieweit betrifft das das Schauspiel?
Bramkamp: Die Ansage von Herrn Helmich und mir ist, dass die Einsparungen nicht im künstlerischen Etat spürbar werden. Wir haben hier also nur minimal gekürzt. Die Größe des Ensembles ist gleich geblieben. Es gibt Einsparungen beim Intendantengehalt, weniger Dienstwagen, auch wir Mittdreißiger verdienen alle etwas weniger. Wir haben außerdem die Eintrittspreise erhöht, indem wir überhaupt erst einmal Preiskategorien geschaffen haben. Trotzdem gibt es keinen Grund sich zu sorgen. Im Vergleich zu anderen Städten ist der Etat immer noch komfortabel. Wir müssen erst einmal den Beweis antreten, dass das, was wir konzeptionell erfunden haben, hier funktioniert. Diese Einspardebatten sind deshalb problematisch, weil Theater sich dann darauf reduziert, sich dazu zu verhalten. Ich will erst mal gute Kunst machen, das andere kriegt man dann schon hin.
Florian Illies: „1913“ I 12.10.
„Karl und Rosa“ nach dem Roman von Alfred Döblin I 2. (P)/6./13./19./25./27.10. | Kammerspiele Bonn | 022877 80 22 | theater-bonn.de
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