Zum Seminar „Patriarchat und Kapital“ mit Maria Mies (*1931) hatten sich in der Alten Feuerwache 33 Frauen zusammengefunden. Mit der Frauenforscherin, Ökofeministin und Globalisierungsgegnerin wurde kontrovers über Eurozentrismus, „Hausfrauisierung“ von Arbeit und Generationenkonflikt diskutiert.
Maria Mies kritisiert den westlichen Feminismus als eurozentristisch, da seine Theorien nicht auf die Lebenswelt der Frauen im globalen Süden übertragen werden können. Mies hatte in Indien der 1960er Jahre erfahren, dass Frauen ohne Heirat sozial geächtet und nicht abgesichert sind. Die Familie der Frau bezahlte durch Mitgift für die Versorgung der Tochter. Wenn die Mitgift gering ausfiel, sei es zur Verbrennung der Frau gekommen, was als Selbstmord oder Unfall erfasst wurde. Die Bewegung „Women are not for burning“ konnte ein Gesetz gegen die Morde erwirken, doch geschehen diese heute noch. 2012 wurden Gruppenvergewaltigungen bekannt. Mies begründet die Entwicklung mit dem Druck der Weltbank auf Premierministerin Indira Gandhi, die Einwohnerzahl Indiens zu reduzieren. Mies hatte früh erkannt, dass Gewalt gegen Frauen gravierende Unterschiede zwischen Nord und Süd aufweist. Da dazu keine Bücher existierten, regte sie unter dem Motto „Insisterhood“ Frauen zu Studien in diesen Ländern an.
Mit dem Widerstand gegen die Eröffnung des ersten Frauenhauses in Köln vor 40 Jahren ergriff Mies Partei. Erst im geschützten Raum konnten Frauen ihre Geschichten erzählen. Ein zweites wurde eingerichtet – derzeit setzt sich die Frauenbewegung für ein drittes ein.
In der Neuauflage ihres Buchs „Patriarchat & Kapital“ beschreibt Maria Mies den Eisberg der kapitalistisch-patriarchalen Wirtschaft: Sichtbar sei nur Kapital und Lohnarbeit, während prekäre Hausarbeit und Natur als unsichtbare Ökonomie dargestellt werden, die das Kapital gratis nutze. Bereits 1980 wurde gefragt, warum Hausarbeit nicht zur Lohntätigkeit zählt. Der Mann verkauft seine Arbeitskraft, die die Frau isoliert, ohne Gewerkschaft, hergestellt hat. So eigne sich das Kapital mehr an als es zurückzahle. Ist das Ziel eine Hausfrauengewerkschaft? Mies verneint dies und plädiert dafür, etwas Anderes zu finden. Zwar leisten Männer heute mehr Hausarbeit, aber von Gleichberechtigung sei nicht zu reden, auch bei Paaren aus großstädtischen, gebildeten Milieus mit alternativem Lebensstil nicht, wie eine Studie von Koppetsch und Speck (2015) belegt. In nahezu allen Haushalten stemmen Frauen den größeren Teil der Haus- und Sorgearbeit. Frauen aus höheren Schichten nutzen Haushaltshilfen aus niederen Schichten, sodass diese doppelt prekarisiert werden. In der Genderforschung wird dies als Intersektionalität analysiert.
Wie hängen Patriarchat und Kapital zusammen? Ersteres konnte sich 2000 v. Chr. nur mit Gewalt durchsetzen, so Mies, durch die Erfindung langer Speere – der Möglichkeit den Feind zu treffen, ohne selbst getroffen zu werden – und dem Reiten als schnellere Fortbewegung. Heraklit bezeichnete den Krieg als „Vater aller Dinge“. Matriarchal dagegen seien die helfenden Göttinnen Indiens sowie die christliche Maria. Im 16. Jh. wurde mit der Hexenverbrennung die freie Frau zerstört und das Wissen der Hebammen durch Folter angeeignet. Mies zitiert die amerikanische Feministin Carolyn Merchant, die „die Vernehmung von Hexen als Sinnbild für das Verhör der Natur“ bezeichnete. Auch die Naturwissenschaft setze auf Zerteilung, Beobachtung und Zusammensetzung neuer Produkte. Somit werde die Ganzheit der Natur zerstört. Mies treibt um, dass die „junge Generation keine Vergleichsmöglichkeit für Ganzheit mehr hat.“
In der Moderne veränderte sich das Frauenbild. Während der Industrialisierung entstand aus Konkurrenzangst ein „proletarischer Antifeminismus“, der sich gegen „gleichen Lohn für Frauen bei gleicher Arbeit“ aussprach. Die Sozialisten August Bebel und Clara Zetkin gingen davon aus, dass mit Gleichbehandlung am Arbeitsplatz generelle Gleichberechtigung hergestellt würde, was später angezweifelt wurde. Bis heute werden Frauen nicht gleich bezahlt. Man könnte konkludieren, dass der Kapitalismus ein Erbe des Patriarchats sei. In der Globalisierung lässt das Kapital dort produzieren, wo Arbeit günstig ausgeführt wird – meist von jungen Frauen. Als Globalisierungsgegnerin kritisiert Mies den Begriff des „gerechten Welthandels“: „Kann es im Kapitalismus gerechten Welthandel geben? Wird die Textilarbeiterin in Bangladesch genauso viel Lohn erhalten wie die deutsche?“ Sie sieht es als notwendig an, Frauenarbeit und internationale Ausbeutung zu diskutieren. Ohne Patriarchat würde der Kapitalismus zusammenbrechen, auch der Sozialismus war auf das System angewiesen.
Heute sei der Begriff ‚Feministin‘ verpönt, so Mies. In den 1970ern war Feminismus Mainstream – das sehen Frauen im Publikum anders. Mies vermisst Anerkennung für seine Leistungen. Hier wird ein Generationenkonflikt deutlich: Mies kritisiert, dass junge Frauen sich nicht mehr mit Geschichte, Erinnerungskultur und Feminismus beschäftigen. Sie bemängelt, dass Webseiten wie die des Frauenbündnis Lila, feministischer Lesekreise oder Zusammenschlüsse feministischer Männer keine Adresse aufweisen. Eine Organisation könne bei „zerstückelter Kommunikation“ nicht funktionieren. Auch hält sie Flashmobs für ungeeignet, die Welt zu verändern. Dass neue Formen der Vernetzung Kommunikation wie Organisation erleichtern, fällt ihr schwer zu verstehen. Hier wird deutlich, dass eine Bewegung durch den Austausch der Generationen lernen kann.
Für Mies hat die Entwicklung einer neuen Gesellschaft schon begonnen. Weiteres Wachstum sei aufgrund der Umweltzerstörung nicht möglich. Sie plädiert für praktische Ansätze, aus denen Theorien entstehen können. Primäre Aufgabe sei die Abschaffung des Kapitalismus. Auch wenn der Feminismus einiges erreicht habe, seien wir weit weg von einem global gleichberechtigten System, so Mies. Der Norden sei mitverantwortlich für strukturelle Gewalt. Als Beispiel nennt sie den Wegfall kleiner Läden und den Zwang, bei Großkonzernen zu kaufen.
Welche Lösungen bieten sich? Mies benennt die Subsistenzperspektive, kollektive Selbstversorgung. Eine Veränderung der Gesellschaft brauche neue Gemeinschaften. Mies sieht Beziehungsarbeit fast ausschließlich als Frauensache, was die Genderforschung kritisiert. Jeder solle Arbeit oder Geld in selbst gewählte Familien investieren. Mütter sollten im Mittelpunkt stehen. Als Vorbild für den europäischen Feminismus könnten heterogenen Frauenstrukturen auf kurdischem Gebiet fungieren. Gemeinwohlorientierung funktioniere nur, wenn die Angst vor Fremden überwunden werde. Vielfalt müsse zugelassen werden, auch wenn der Kapitalismus eine Monokultur anstrebe. Konzepte wie das „Buen vivir“ indigener Völker in Südamerika oder das in der Verfassung Bhutans verankerte Recht auf Glück werden als Optionen für gesellschaftliche Veränderung genannt. Das Ziel eines Kölner Manifests wurde nicht erreicht, dies wird von einer EcoMujer-Arbeitsgruppe fortgeführt.
Maria Mies ist Pionierin der Frauenforschung, hat praktische Erfolge vorzuweisen und lesenswerte Bücher geschrieben. Im Gegensatz zu anderen stellt sie die Systemfrage mit globalem Blick und sucht die Ursache für die noch nicht erreichte Gleichberechtigung nicht ausschließlich bei dem männlichen Geschlecht, der Herkunft oder Religion. Doch ist merkbar, dass sie mit einigen neuen Entwicklungen nicht einverstanden ist, was vielleicht auf Unverständnis beruht. Ein Austausch junger Feministinnen mit erfahrenen wäre für beide Seiten lehrreich. In Mies‘ Utopie geht es nicht um Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, sondern um globale Gerechtigkeit zwischen Herkunft und Einkommen.
Info: "Patriarchat und Kapital"
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