Es gibt 162 Beiträge von juggernaut
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29.12.2005
Angekündigt war eine Nicht-Komödie ganz ohne Lacher. Das allein schien schon mal eine gute Idee und ein guter Grund für einen Kinobesuch zu sein, konnte man doch über die als Komödien annoncierten letzten Filme Woody Allens auch beim besten Willen nicht mehr lachen. Was sogar eine ziemlich traurige Angelegenheit war, schließlich hatte der Mann in diesem Genre ja früher Erstklassiges geleistet.
Allerdings hat die Werbung, wie immer, gelogen. Es wurde gestern Abend doch an einigen Stellen gelacht im Kino. Statt beim bekannten New Yorker Neurotiker-Humor hat Allen sich für "Match Point" bei angeschwärztem britischem Humor bedient. Das Ergebnis ist für meinen Geschmack nicht recht überzeugend.
Ein Gesellschaftsdrama und Thriller soll es diesmal also sein, um einen in bessere Kreise eingeheirateten Aufsteiger, der seine Karriere vom Tennisprofi und -lehrer zum leitenden Manager in Schwiegerpapas Firma durch eine leidenschaftliche Affäre aufs Spiel setzt. Als das Lügengespinst nicht länger durchzuhalten ist, muss er einen Entschluss fassen. Dahin zu kommen, hätte es aber nicht so viel Filmzeit gebraucht (und nicht so viele verrauschte historische Opernaufnahmen, die Dramatik und Emotion suggerieren sollen). Doch der Entscheidungsprozess zieht sich, weil Allen viel zu lang ausgewalzte Szenen und Dialoge serviert, die streckenweise wirklich hölzern geschrieben und inszeniert sind. Gefühlte drei Stunden mühen sich die relativ beachtlichen Schauspieler daran ab, wo es anderthalb auch getan hätten.
Der Held hört gerne Opern, liest zu Beginn ?Schuld und Sühne? und bekommt am Ende auch noch einen Schuss griechische Tragödie verpasst, aber die Nemesis bleibt aus. Stattdessen gibt es eine ? immerhin gelungene ? Schlussauflösung, die uns wieder an das Motiv vom Anfang des Films zurückführt: Wenn der Tennisball die Netzkante trifft und einen Moment lang nicht klar ist, auf welcher Seite er herunter fällt. Wo er zufällig landet, entscheidet aber über Glück und Pech, Sieg und Niederlage. Denn Glück und Zufall haben, so sagt es dieser Film, den weitaus größten Einfluss auf den Verlauf des Lebens. Und dieser Zufall lässt in ?Match Point? den Schuldigen auf unerwartete Weise davon kommen. Als glücklichen Zufall in Allens Werk mag man "Match Point" gleichwohl nicht bezeichnen.
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20.12.2005
Naomi Watts und ihr Riesenkavalier schaffen es irgendwie, diesen Film über die Zeit zu bringen. Ansonsten gilt mal wieder: Weniger wäre mehr gewesen. 30er-Jahre-Abenteuerfilm/B-Movie, Reflexion über das Filmemachen bzw. den Typus des besessenen Filmemachers, Jurassic Park, Liebesmelodram, das alles will dieses Remake sein. Dazu noch eine Blechschredderorgie in New York und jede Menge Einlagen aus dem Rechner, die mal besser, mal schlechter geraten sind. Dieser Genre-Overkill ist auf die Dauer schlicht ermüdend. Allerdings zählt das Schaulaufen auf dem zugefrorenen See im Park in der Tat zu den schönsten Momenten.
Der Mensch gewöhnt sich ja schnell an gewisse Arbeitsroutinen. Aber nach vier Dreistundenwerken hintereinander sollte sich Peter Jackson für seinen nächsten Film einfach mal das Ziel setzen, deutlich darunter zu bleiben.
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20.12.2005
Weit weg von jeglicher Multikulti-Sentimentalität und Integrationsplattitüden zeigt Bettina Braun in ihrer binnen zwei Jahren entstandenen Doku, wie kreativ junge Leute muslimischer Herkunft mit der hierzulande üblichen Sprache umgehen können. Das Interesse, sich auf deutsch musikalisch zu betätigen, verbindet Ali, Kais, Ertan und Alban, deren Familien aus Marokko, Tunesien, Albanien und der Türkei stammen. Und ihre gerappten Resultate sind nicht von schlechten Eltern.
Manch einer wird Bettina Braun indes vorwerfen, sie habe sich hier vier besonders ?vorzeigbare? (und damit, in dieser Sichtweise, nicht ?typische?) Jungs ausgesucht, die sich gut ausdrücken können und Interessantes mitzuteilen haben, inklusive entwaffnender Sprüche. Als die Filmmacherin ihnen erzählt, dass sie schwanger ist, sinnieren sie über Geburtsschmerzen und die Leidensfähigkeit von Frauen. Einer leitet aus der Tatsache, dass Frauen mehr Schmerzen vertragen können als Männer, die Frage ab: ?Warum führen Frauen dann eigentlich nicht die Kriege??, worauf ihm sein Kumpel die Antwort nicht schuldig bleibt: ?Frauen sind intelligenter als Männer. Die führen keine Kriege!?. Als der Chef und Sozialarbeiter ihres Stamm-Jugendtreffs ?Klingelpütz? einen der vier wegen seiner recht lässigen Verrichtung von Sozialstunden ermahnt: ?Du schaukelst dir hier die Eier auf angenehmste Art!?, bekommt er postwendend ein ?Aber selber!? zurück.
Doch es ist eben längst nicht alles eitel Sonnenschein und freundschaftliche Frotzelei. Einer hat am Schluss seine Vorstrafe weg, und wenn etwas zu privat oder zu unangenehm ist, kommt stets der Hinweis ?Mach? die Kamera aus, dann erzähl? ich es dir?. Manches, das mit großen Ambitionen begonnen wird, scheitert, aber anderes gelingt auch eindrucksvoll, wie z.B. Alis Auftritt in einem Rap-Musical. Alle haben sie nicht nur ihre ganz normal unterschiedlichen Träume und Ziele, sondern offensichtlich auch Fähig- und Möglichkeiten, sie umzusetzen. Die vier Porträts, die dabei entstanden sind, hat Bettina Braun in ?Was lebst du?? sehr gut strukturiert und miteinander verschränkt. Ein sehenswerter Film, dem man in besseren Zeiten ohne weiteres zutrauen würde, den Abbau von Ressentiments zu befördern.
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20.12.2005
Bruno und Sonia, selbst fast noch Kinder, bekommen ein Kind. Der Vater, ein leichtlebiger Kleinkrimineller, beschließt, das Baby zu verkaufen, und tut es tatsächlich hinter dem Rücken der Mutter. In dem Moment, als Bruno Sonia über den Verkauf unterrichtet, wird sie endgültig zum Muttertier. Und für ihn brechen nun schwere Zeiten an. Die Adoptions-Vermittler, ebenfalls Kriminelle, aber offensichtlich von einem anderen Kaliber als Bruno, wollen eine Kompensation für den rückgängig gemachten Baby-Verkauf, während Sonia von Bruno gar nichts mehr will ? außer, dass er verschwindet. Seine Versuche, das Blatt zu wenden, führen ihn immer tiefer ins Schlamassel. Das Mitleid kann man ihm am Ende trotzdem nicht verweigern, denn er ist zwar schon ein Hallodri, aber eben nicht völlig skrupellos und amoralisch. Und so lassen die Dardennes den Film auch in einem Moment ausklingen, wo der Nullpunkt erreicht ist, aber eine Wende zum Besseren zumindest nicht ausgeschlossen ist.
Ein Alltagsdrama, das in naturalistischem Stil gefilmt wurde und völlig ohne Musik sowie fast ohne Lacher auskommt ? und, Entwarnung, auch ohne Wackelkamera! Die Dardennes sind keine Dogmatiker. Vielmehr läuft ?L?enfant? in sehr langen und genau abgezirkelten Einstellungen ab, die uns das Geschehen quasi in Echtzeit vorführen: so etwa als Bruno das Baby in einem Zimmer ablegt, ins Nebenzimmer geht und wartet, bis er den Anruf bekommt, dass die ?Käufer? das Kind abgeholt haben, und er schließlich zurück in das Zimmer geht, das Geld aufhebt, zählt und den Übergabeort verlässt. Ebenfalls beispielhaft für die präzise Komposition sind etwa der Rücktausch Geld gegen Baby oder die Verfolgungsjagd nach dem Diebstahl, den Bruno und sein minderjähriger partner in crime Stevie begehen.
Solch ein filmischer Ansatz kann gewaltig daneben gehen, denn in diesen langen Einstellungen passiert oftmals scheinbar nicht viel, es wird kaum gesprochen, keine Filmmusik hilft die (vermeintlichen) Leerstellen zu füllen. Die im Film erzählte Geschichte muss also von Anfang an eine Art Grundspannung erzeugen, damit der Zuchauer bereit ist, sich darauf einzulassen, beispielsweise eine der Hauptfiguren ein, zwei Minuten dabei zu begleiten, wie er einen Kinderwagen durch die Stadt schiebt. Das Ganze steht und fällt aber letztlich mit dem Spiel der Darsteller. In dieser Hinsicht lassen Jérémie Renier und Déborah François keine Wünsche offen. Sie spielen, wie man so schön sagt, ?wahrhaftig? und glaubwürdig das, nun ja, junge (Un-)Glück.
Ich kenne nicht den diesjährigen Cannes-Jahrgang und weiß nicht, was dort an möglicherweise preiswürdigeren Filmen noch zu sehen war. Aber bis zum Beweis des Gegenteils halte ich ?L?enfant? für eine ausgesprochen gute Wahl.
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20.12.2005
Das ist einer dieser Filme, die einem normalerweise unter den durchschnittlich sechs, sieben wöchentlichen Neuvorstellungen durchflutschen. Nun gibt es ja auch genug Gründe, sich das Eintrittsgeld für einen Genre-Film made in Hollywood zu sparen. Trotz meist handwerklich perfekter Machart sind sie fast immer zu schematisch, zu vorhersehbar und häufig auch noch seelenlos.
?Serenity? hebt sich davon deutlich ab. Das liegt zum einen an der Riege hierzulande unbekannter und damit unverbrauchter Schauspieler (Besonders bemerkenswert: Summer Glau als Mädchen mit telekinetischer Begabung, das direkt einem der Sci-Fi-/Horror-Klassiker von Brian de Palma aus den Siebzigern entsprungen sein könnte). Die Akteure verleihen den Space-Outlaws markante Profile und über die genreüblichen Raubeinigkeiten hinaus selbstironische Züge und Nuancen. Dafür ist wiederum auch ein gutes Drehbuch verantwortlich, das nicht nur pointierte Dialoge und one-liner liefert, sondern die ewigen Fragen um Gut & Böse geschickt spinnt und variiert. Darum dreht sich letztlich auch der zentrale Konflikt zwischen Space-Desperado und ?Serenity?-Captain Mal und seinem namenlosen, nur ?The Operative? genannten Widersacher, der im Dienst der im 26. Jahrhundert Welt und Galaxien beherrschenden ?Alliance? und ihres allumfassenden Machtanspruchs steht. Der ?Operative? glaubt an die Richtigkeit und Notwendigkeit seines Tuns und daran, dass auch objektiv böse Mittel recht und billig sind, um den letzten Winkel des Alls mit den Segnungen der Alliance beglücken zu können. Captain Mal hingegen ist ein Zyniker, der vor allem seinen eigenen Vorteil sucht und nutzt, aber durch die Umstände gezwungen wird, auch moralisch Farbe zu bekennen (was, wie er süffisant anmerkt, nicht unbedingt sein ?Plan A? war).
Das ist zwar keine ganz neue Konfliktkonstellation, barg aber offensichtlich für das konservative Fox-TV in den USA schon zu viele ?unamerikanische? Tendenzen (und Parallelen zwischen der fiktiven Alliance und der realen aktuellen Weltpolitik der USA). Wie in einigen Berichten zu lesen war, setzte Fox die ursprünglich auf 14 Teile angelegte Fernsehserie ?Firefly?, auf der ?Serenity? aufbaut, vor allem aus diesem Grund bereits nach Folge 11 ab, und weniger wegen nicht ausreichender Quoten. Regisseur Joss Wheedon drehte daraufhin den Abschluss der ?Firefly?-Saga eben mit der Konkurrenz von Universal als Kinofilm ?Serenity?. Gut, dass und wie er das gemacht hat.
Erwähnt werden sollte schließlich auch noch die Filmmusik, die einmal mehr aus der unerhört kreativen Newman-Dynastie stammt. Diesmal allerdings nicht von Thomas, sondern dessen Bruder David. Klingt aber, unter uns, fast genauso: Bei der Abspann-Musik dachte ich, ich säße in ?Road to Perdition?.
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20.12.2005
So richtig überzeugen kann diese Studie über psychische Defekte nicht. Der Film lässt den Zuschauer über weite Strecken allein und verzichtet auf Hilfestellungen; zu vieles über die Hintergründe und das Krankheitsbild des ?Borderline-Syndroms? bleibt nur angedeutet. Die Erklärungen muss man sich dann nach dem Film im Internet zusammensuchen. Zudem verlässt sich die Regie zu sehr auf die ohne Frage begabte Hauptdarstellerin. Lavinia Wilson hat ein interessantes, wandlungsfähiges Gesicht, sie vermag mit ihrem Spiel durchaus etwas zu vermitteln von der Persönlichkeitsstörung, unter der ihre Figur Maria leidet, und deren für sie und andere zerstörerischen Auswirkungen. Leider hat das Drehbuch für die Nebenfiguren (mit Ausnahme vielleicht des von Richy Müller verkörperten älteren Sexpartners) nicht viel mehr als Staffage-Funktion vorgesehen. Die filmische Auflösung mit ihren oft statischen szenischen Anordnungen, die dann wieder von abrupter Aktion abgelöst werden, muss man nicht unbedingt mögen. Mich hat dabei so manche Einstellung bzw. so manches Tableau an den visuellen Stil des m.E. überschätzten ?Lost in Translation? erinnert. Vielleicht sollte man ?Allein? und seine Hauptdarstellerin in erster Linie als Versprechen und Vorzeichen auf zukünftige Filme betrachten.
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09.12.2005
Die drei jugendlichen Hauptdarsteller sind, sagen wir mal, schauspielerisch noch ausbaufähig, die Regie ist derweil auf das Chris-Columbus-Niveau der Teile I und II zurückgefallen, und die Musik klingt schwer nach Billig-Pomp. Trotzdem ist der Film noch leidlich spannend und einigermaßen kurzweilig geworden. Das alles lässt allerdings für Film Nummer fünf nichts Gutes ahnen, war doch der ?Feuerkelch? immerhin das bis dato beste Buch aus der Potter-Reihe, während der ?Orden des Phoenix? ein sehr langes und sehr, sehr zähes Stück Text ist. Andererseits bietet dessen Verfilmung nun die Chance, für jene Straffung des Stoffes zu sorgen, zu der sich JK Rowling und ihre Lektoren offensichtlich nicht aufraffen konnten.
Nach dieser Spezialeffekte-Show mit einer Horde größtenteils unterbeschäftigter Starschauspieler (neu dabei und eindrucksvoll böse: Ralph Fiennes) wünscht man sich als Kontrast eine kleine Reise zurück in die Steinzeit der Trickaufnahmen, wo die ? ausgelernten ? Hauptdarsteller auch noch etwas zu tun hatten. Wie zum Beispiel in Roger Cormans Low-Budget-Film ?Der Rabe ? Duell der Zauberer? mit Vincent Price, Peter Lorre und Boris Karloff.
Und übrigens, wo bleibt eigentlich die Harry-Potter-Parodie? So etwas ist doch längst überfällig. Vielleicht könnte sich Christoph Schlingensief der Sache mal annehmen. Wer Parsifal schafft, schafft auch Potter.
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26.11.2005
?What?s the use of getting sober (when you?re gonna get drunk again)? ist der Titel eines alten Blues-Songs. Ob Charles Bukowski ? in Sachen Musik ein Mann von Geschmack, der Mozart und Mahler zu seinen Favoriten zählte ? ihn kannte, ist nicht überliefert. Als Maxime für sein mit reichlich Alkohol befeuertes Leben und Schreiben taugt er aber allemal. Manchmal sind schriftstellernde Säufer oder saufende Schriftsteller ja lediglich Leute, die zu viel trinken und sich dabei einbilden, Künstler zu sein. Nicht so Bukowski. Seine Kurzgeschichten und Romane mögen ?dreckige? Literatur eines dirty old man sein, aber sie waren auch häufig so zwingend geschrieben, dass man sie nicht vor der letzten Seite aus der Hand legte.
Der Film ?Factotum? vermittelt nun eine ganze Menge vom saufenden Literaten Bukowski und seinen ernüchternden Erkenntnissen über das Leben, als deren Sprachrohr sein literarisches alter ego Henry ?Hank? Chinaski fungiert. Film-Hank Matt Dillon sollte dabei mit seiner Leistung auch diejenigen überzeugen können, die ihn immer noch für einen reinen Mädchenschwarm und ein schauspielerisches Leichtgewicht halten. Zudem passt seine tiefe, raue Stimme hervorragend zu den im Off vorgetragenen Bukowski/Chinaski-Zitaten und Lebensweisheiten. Von Lili Taylor hingegen erwartet man inzwischen vielleicht zu viel, aber ihre Darstellung der saufenden Schlampe Jan wirkt an einigen Stellen doch etwas zu glatt. Andererseits gibt es genügend Szenen, in denen das Zusammenspiel von Taylor und Dillon überzeugt, beispielsweise wenn Jan Hanks von Läusen befallenen Genitalbereich umständlich verarzten und verbinden muss, damit er überhaupt in der Lage ist, eine Hose anzuziehen und zu einem Vorstellungsgespräch zu gehen....tja, wie bereits angedeutet: glamourös geht es hier nicht gerade zu.
Nicht ganz geglückt sind Regie und Dramaturgie. ?Factotum? ist im Grunde ein Episodenfilm, der mehr oder weniger unverbunden Szenen aus dem Leben des Henry Chinaski aneinander reiht: Langweilige, stupide Arbeit, lose Bekanntschaften, Pferdewetten, Entlassungen, Suff, Frauen, dazwischen immer wieder Schreiben, Schreiben, Schreiben; und das Ganze noch mal von vorn. Sein lakonischer bis schräger Humor und eine Reihe skurriler Typen bewahren den Film jedoch davor, langweilig zu werden. Und er findet einen passenden Schluss mit der aus dem Off vorgetragenen Aufforderung Chinaskis, den täglichen Kampf mit den Mühsalen und Tücken des Daseins anzunehmen und künstlerisch/literarisch zu verarbeiten.
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Natürlich misst man ?Factotum? automatisch an Barbet Schroeders ?Barfly? aus dem Jahr 1988, auch wenn es sich hier nicht um ein Remake handelt (?Factotum? basiert auf dem gleichnamigen Roman Bukowskis, während er für ?Barfly? ein Originaldrehbuch geschrieben hatte). Mickey Rourkes Darstellung des Chinaski fand ich damals grandios, doch Matt Dillon braucht sich dahinter keineswegs zu verstecken. Aber heutzutage will man als Konsument ja direkt vergleichen können. Wie wär?s also mal mit einem double feature aus ?Barfly? und ?Factotum?? Und danach gehen alle einen trinken ? selbstredend in der kinoeigenen Gastronomie und ausschließlich zwecks Stärkung des Kinostandorts.
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23.11.2005
Sagt im Film einer, der Selbstmordattentäter rekrutiert ? und ausbildet. Eine Prise schwarzen, eher schon makabren Humors darf auch in ?Paradise Now? nicht fehlen. Von dem Moment an allerdings, wo die beiden Auserwählten Khaled und Said in menschliche Bomben verwandelt werden, hat der Film eine nahezu durchgehend beklemmende, regelrecht gespenstische Atmosphäre. Der gescheiterte erste Anlauf zum Attentat und die wachsenden Zweifel am eigenen Tun bei einem der beiden Selbstmordkandidaten bringen eine kurze Verschnaufpause ? und die Hoffnung, sie möchten es sich anders überlegen. Zumal Said gerade mit der hübschen und klugen Suha den, sollte man meinen, denkbar besten Grund kennen gelernt hat, sich und viele andere nicht in die Luft zu sprengen. Doch war sein Vater einst ein Kollaborateur und von den eigenen Leuten erschossen worden. Somit ist das Ganze für ihn nicht nur eine Frage des Widerstands gegen die Besatzer, sondern auch eine der Ehre.
Und nur hier, in dieser Szene kurz vor Schluss, wenn Said in einem langen Monolog noch einmal die Begründungen zusammenfasst, die nach Ansicht der gewaltbereiten Palästinenser die Selbstmordattentate rechtfertigen, und den Besatzern vorwirft, den Menschen vor allem ihre Würde und ihren Stolz zu nehmen, kann man eventuell das Gefühl bekommen, dass der Film zu wenig Distanz zu seinem Thema hält und zu viel Sympathie für die Attentäter aufbringt. Die Kamera bewegt sich dabei langsam durch den Raum, in dem der Chef der Untergrundbewegung Said nach dem Scheitern des ersten Plans nun quasi noch einmal verhört, und bleibt schließlich in einer Großaufnahme von Saids Gesicht stehen. Ein Gespräch findet da schon längst nicht mehr statt, es ist stattdessen ein politisches Statement, das Said hier direkt in die Kamera abgibt ? man könnte auch den Eindruck haben, er hielte eine Rede an das Kinopublikum. Diese filmische Auflösung scheint in der Tat fragwürdig, ist sie doch sehr nahe an den Stilmitteln, mit denen üblicherweise in Propagandafilmen gearbeitet wird. Dennoch sind die teilweise wütenden Proteste gegen ?Paradise Now? für mich nicht nachvollziehbar. Einen Anwerbefilm für potenzielle Selbstmordattentäter unter dem Motto ?Dschihad wants you!? habe ich darin jedenfalls nicht erkennen können.
Was übrig bleibt ist das ungute Gefühl, dass die Vorstellung eines dauerhaften Friedens zwischen Palästinensern und Israelis wohl unter die Rubrik ?Die große Illusion? fallen dürfte. Es wäre schade um das Mittelmeerland, dessen karge Schönheit hin und wieder in den Bildern dieses Films zu erahnen ist.
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15.11.2005
Alles Betrug und Selbsttäuschung. Du musst zwar nicht notwendigerweise ein Schwein sein, aber ein guter Mensch sein kannst du in dieser Welt auch nicht. Das hätte Grace (diesmal Bryce Dallas Howard) eigentlich schon nach den Erfahrungen in ?Dogville? klar sein müssen, doch Trotz und Aufbegehren gegen ihren alten Herrn (Willem Dafoe diesmal, immer gerne gesehen) sind stärker. Also versucht sie, auch aus der schlechten Welt von ?Manderlay? eine ideale zu machen. Dabei zieht sich Bryce Dallas Howard mehr als nur achtbar aus der Kidman-Affäre, und der Rest des Ensembles kann durchaus mithalten.
Dass ?Manderlay? insgesamt jedoch im Vergleich zum Vorgänger abfällt, hat mit einem oftmals stark didaktisch wirkenden Tonfall und einer zu schematischen Erzählweise zu tun. Nicht nur Geschichte wiederholt sich, auch so mancher Film-Plot: Stellenweise sieht ?Manderlay? wie ein Remake von ?Dogville? mit einer anderen Hauptdarstellerin aus. Hinzu kommt, dass Theater-Anmutung und filmischer Minimalismus, in ?Dogville? noch ein Überraschungseffekt (und für manche/n eine Zumutung), nun nicht mehr denselben unverbrauchten, experimentellen Reiz haben können. Und es ist auch nicht unbedingt der neueste Kniff der Dramaturgie, die Geschichte in einer Art Kreisbewegung da zu beenden, wo sie angefangen hat, und die Hauptfigur in einer 180-Grad-Drehung das Gegenteil von dem tun zu lassen, weswegen sie ursprünglich voller Idealismus angetreten war. Immerhin hält von Trier noch einige böse Schlusspointen bereit, die für die eine oder andere Länge in den zwei Stunden vorher entschädigen. Wenn beispielsweise Wilhelm (Danny Glover) Grace am Ende über die Entstehung des alten Sklaverei-Grundgesetzes von Manderlay namens ?Mam?s Law? aufklärt, fällt einem unwillkürlich das Parteimotto aus Orwells ?1984? ein: ?Freiheit ist Sklaverei?.
Der nächste große Wurf ist ?Manderlay? gleichwohl nicht geworden. Womöglich handelt es sich hier auch nur um den typischen, geradezu unvermeidlich schwächeren Mittelteil einer Trilogie. Wollen?s hoffen, für Grace und ihren abschließenden Marsch nach ?Washington?.
Kino als Empathie-Maschine
Warum wir Kino in Zukunft mehr brauchen denn je – Vorspann 01/25
Stark durch Solidarität
„Billige Hände“ im Filmhaus – Foyer 12/24
Übers Ankommen in Deutschland
„Zwischen Sein und Nichtsein“ von Leocadie Uyisenga – Film 12/24
Toleranz zum Jahresende
Mit Kino zu mehr Empathie finden – Vorspann 12/24
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Schnitte in Raum und Zeit
Die 24. Ausgabe des Festivals Edimotion in Köln ehrt Gabriele Voss – Festival 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
Die hemmungslose Leinwand
Sexualität im Kino – Vorspann 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
„Zuhause sehnen wir uns nach der Ferne...“
Kuratorin Joanna Peprah übers Afrika Film Fest Köln – Festival 09/24
Kurzfilmprogramm in der Nachbarschaft
„Kurzfilm im Veedel“ zeigt Filme zu aktuellen Themen in Köln – Festival 09/24
Afrikanisches Vermächtnis
Das 21. Afrika Film Festival widmet sich dem Filmschaffen des Kontinents – Festival 09/24
Sorge um die Filmkultur
Veränderungen und Einsparungen stehen vor der Tür – Vorspann 09/24
Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24
Volles Programm(heft)
40-jähriges Jubiläum der Internationalen Stummfilmtage Bonn – Festival 08/24
Sommer-Endspurt
Humor und Weltrettung für Jung und Alt – Vorspann 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24
Pssst!
Zu Spoilern, Prequels und Remakes – Vorspann 07/24
Ein Fest des Kinos
Die Kölner Kino Nächte präsentieren an 4 Tagen knapp 50 Filme – Festival 07/24