choices: Herr Kobboldt, hat die freie Szene in Köln ein Nachwuchsproblem?
Dietmar Kobboldt: Definitiv. Das Nachwuchsproblem liegt allerdings nicht bei den DarstellerInnen, da sind wir mit den AbsolventInnen der privaten Schauspielschulen ziemlich gut aufgestellt. Probleme haben wir vornehmlich in den Bereichen Regie und Dramaturgie, also beim sogenannten künstlerischen Stab. An den privaten Schauspielschulen gibt es keine Regieklassen und das Institut für Medienkultur und Theater an der Uni war und ist keine praktische Ausbildungsstätte und wollte es auch nie sein.
Wie lässt sich das ändern?
Ich erwarte, dass sich junge Leute, die sich für modernes, avanciertes Theater interessieren, überhaupt erst einmal anschauen, was in dieser Stadt läuft und damit über den eigenen ästhetischen Tellerrand hinausgucken. Das gilt auch und insbesondere für manche meiner Kolleginnen und Kollegen. Viele meinen, dass nur das Theater ist, was auf der eigenen Bühne stattfindet.
Sollte die Kölner Theaterszene direkt an Ausbildungsinstituten in Hildesheim, Gießen, Essen oder Berlin Absolventen anwerben?
Das wäre eine Möglichkeit. Doch womit will man Absolventen dieser Hochschulen nach Köln locken? Das Theater, das da gelehrt wird, braucht große Häuser wie die Comedia, die Studiobühne oder die Halle Kalk. Was sollte solche Absolventen an den vielen kleinen Häusern Kölns reizen? Und welcher Regisseur in Köln würde wohl auf eine eigene Inszenierung verzichten, um dem Nachwuchs eine Chance zu geben? Um junge Menschen zu fördern, muss man ihnen auch Zeit und Raum geben, sich auszuprobieren.
Die junge Truppe Billinger/Schulz, die im Dezember an der Studiobühne gastiert, hat für ihre nächste Ko-Produktion mit dem Düsseldorfer Forum Freies Theater und dem Frankfurter Mousonturm rund 80.000 Euro Fördergelder eingeworben. Kann Köln damit konkurrieren?
Aktuell ist das schwer. 80.000 Euro für eine Produktion ist schon bei etablierten Produktionen extrem ambitioniert – von Nachwuchsproduktionen ganz abgesehen. Um etwas Neues auszuprobieren, fehlt in Köln das Geld – aber auch das innovative Denken. Eine Gruppe wie Billinger/Schulz gilt hier schon als etablierter Nachwuchs. Wir haben zwar ein paar avancierte Gruppen wie Drama Köln oder bei der Freihandelszone. Aber das sind alles Leute Mitte/Ende dreißig und die werden hier als Nachwuchs gehandelt. Das finde ich bedenklich. Wo sind die wirklich Jungen? Die Frage nach dem Nachwuchs ist ausgesprochen dringend und dringlich. Denn irgendwann ist Schicht. Dann verkalken die Macher in ihrem Denken, und wenn das Theater zum Museum wird, ist es sowieso tot.
Können Förderstipendien dem Nachwuchsmangel abhelfen?
Ganz bestimmt. Die Theaterkonferenz hat der Verwaltung bereits vor zwei Jahren ein ausformuliertes neues Theaterförderkonzept übermittelt. Wir schlagen darin explizit drei Förderstipendien pro Jahr für den Nachwuchs vor. Noch ist das neue Konzept nicht ausformuliert. Wir sind sehr gespannt darauf, ob unser Vorschlag darin einen Niederschlag findet.
Die Studiobühne schreibt zum zweiten Mal einen Regiewettbewerb unter Studenten der Uni Köln aus. Jetzt kommt ein NRW-weites „15 Minuten“-Festival für den Theaternachwuchs dazu. Sind das Verzweiflungstaten?
Ganz im Gegenteil. Es entspringt unserer Lust an Innovation. Bei dem ersten Regiewettbewerb ist zwar der große Newcomer, der das Theater in Deutschland für die nächsten 15 Jahre revolutioniert, nicht dabei gewesen. Nichtsdestotrotz hat der Gewinner Patrick Reichert-Young eine zweite Produktion am Freien Werkstatt Theater gemacht. Unser „15 Minuten“-Festival ist das Ergebnis von vielen Gesprächen mit der Politik, mit der Verwaltung, mit der Presse. Wir schreiben das übrigens NRW-weit aus, weil wir dieses ultralokale Denken nicht mehr für zeitgemäß halten. In der Regel setzt sich das moderne Theater aus eher überregionalen Ensembles zusammen. „15 Minuten“ ist zudem nicht kuratiert. Bewerbungsstart ist übrigens am 15. Dezember, ich hoffe, dass dann auch viele Sachen aus Köln dabei sind, die uns überraschen.
Wie kann man Köln für junge Theatermacher nachhaltig attraktiv machen?
Es gibt hier nur wenige Theater, die im Verbund mit anderen Häusern und erweitertem Personal Produktionen herausbringen. Richtige Koproduktionen mit einer entsprechenden Größe gibt es kaum. Deshalb haben wir neben der Nachwuchsförderung auch eine Kooperationsförderung vorgeschlagen, mit der man dann ganz anders bei Drittmittelgebern aufschlagen kann. Das neue Theaterförderkonzept wird dem wahrscheinlich insofern Rechnung tragen, dass es zukünftig zu einer zweigeteilten Förderung kommt: zum einen lokale Produktionen, die sehr stark mit städtischem Geld gefördert werden, sowie überregionale Produktionen, bei denen die Stadt prozentual weniger, aber in der Summe mehr investiert.
Muss die Stadt sich beim Land stärker für staatliche Ausbildungsinstitute in Köln einsetzen?
Das fände ich eine charmante Idee. Das könnte auch das Land initiieren. Oder die KHM könnte sich einen solchen Ausbildungsgang an ihre Hochschule holen. Ich warne aber davor, eine Regieklasse als das Allheilmittel zu sehen.
In Köln wird ja gerne die Vielfalt der freien Szene und ihr Charakter als Biotop hervorgehoben. Ist ihr Überleben trotzdem auf lange Sicht gefährdet?
Grundsätzlich muss man die Geschichte der Kölner Theatersituation mit bedenken. Anders als beispielsweise in Hamburg haben in Köln vor 20 oder 30 Jahren weder Politik noch Verwaltung bei der Entwicklung der freien Szene eine Richtung vorgegeben. Daraufhin ist hier eine Szene aus eigenem Antrieb entstanden. Deshalb haben wir im Verhältnis zu anderen Städten viele, aber kleine Theater. Trotzdem ist Köln, was den Nachwuchs anbetrifft, aktuell nicht gut aufgestellt. Oder wir haben ihn noch nicht gefunden, weil er sich woanders herumtreibt als dort, wo wir suchen. Ich gebe der Stadt noch fünf Jahre, dann muss ein Schritt nach vorne passiert sein. Oder man hat den Anschluss an das aktuelle europäische Theatergeschehen auf Jahre hin verpasst.
„15 Minuten“| Nachwuchsfestival | Studiobühne | 25.-27.1.2013, Bewerbung ab 15. Dezember 2012 | 0221 470 45 13 | studiobuehne-koeln.de
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Anschluss längst verpasst
Der Anschluss ist doch längst verpasst. Noch schlimmer als beim nicht vorhandenen Nachwuchs sieht es beim Publikums aus. Dessen Theaterbild ist nicht nur 5, sondern eher 25 Jahre hinterher. Für wen soll hier in Köln denn zeitgemäßes Theater gemacht werden?
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