Das Schauspiel Köln ist vorsichtig mit seiner Ankündigung. Nuran David Calis ist bekannt dafür, dass er gerne mit Schauspielern und Laien arbeitet. Bei seinem Einstandsstück in Köln „Die Lücke“ zum Anschlag der NSU in der Keupstraße brachte er Migranten des Viertels mit Mitgliedern des Ensembles zusammen auf die Bühne. Nun will sich Calis mit „Glaubenskämpfern“ auseinandersetzen, und das Schauspiel kündigt neben Gläubigen, für die die Religion Alltag ist, „Gelegenheitsbetern“ und Dogmatikern auch „Radikale oder solche, die es mal waren“ an – versehen allerdings mit dem Wörtchen „vielleicht“. Dass es dabei nicht nur um europäische Kämpfer des IS gehen kann, ist klar: Terroristische Christen oder Muslime gibt es genauso wie radikale Juden. Aber Calis geht es letztlich nie um die Provokation, sondern um das Auffächern von Standpunkten, vor denen er aber keinerlei Berührungsängste kennt. Dass das im Glauben vom Atheismus bis zum Fanatismus reichen kann, gehört zur Herausforderung.
Auch Volker Lösch kennt keine Furcht vor der Aktualisierung eines Klassikers, ist aber auch für die Provokation zu haben. In Bonn, wo er schon den Burschenschaften auf den bierseligen Leib gerückt ist, nimmt er sich jetzt den theatralen Katechismus der Toleranz vor: Lessings „Nathan der Weise“. Darin kehrt Nathan von einer Geschäftsreise nach Jerusalem zurück und erfährt, dass seine Tochter Recha von einem Tempelherrn vor dem Feuertod gerettet worden ist. Nathan bewegt ihn dazu, Recha einen Besuch abzustatten. Sultan Saladin wiederum befragt Nathan nach der„wahren Religion“ und der antwortet ihm mit der berühmten Ringparabel. Der Tempelherr verliebt sich unterdessen in Recha und will sie heiraten, was Nathan allerdings untersagt. Schließlich stellt sich heraus, dass Recha gar nicht Nathans Tochter, sondern die Schwester des Tempelherrn ist und beide wiederum Kinder von Saladins Bruder Assad. Lösch arbeitet mit Bonner Schauspielern und einem Bürgerchor zusammen, der angeblich aus „jungen Muslimen“ besteht. Auch in Bonn ist also für Gesprächsstoff gesorgt.
Im Sterben sind dann allerdings alle gleich – trotz unterschiedlicher religiöser Zukunftsversprechen. Was das in einer kapitalistischen, sich individualisierenden Gesellschaft bedeutet, untersucht die Gruppe Futur 3 in ihrem neuen dreiteiligen Projekt „Der unbekannte Nachbar“. Sie widmet sich dem anonymen Sterben und entwickelt aus den Hinterlassenschaften kürzlich Verstorbener, die keine Angehörigen hatten, eine fiktive Agenda des Todes. „Das Protokoll der letzten Stunden“ ist der erste Teil überschrieben, das in einer Wohnung entfaltet wird. Im zweiten Teil findet die „Totenfeier“ statt, im dritten, dem „Kabinett des Jenseits“, geht es um unser aller final destination.
„Der unbekannte Nachbar“ | R: Futur 3 | 29.-31.1. je 17/19/21 Uhr | Grafenwerthstr. 4, Köln-Sülz | 0221 985 45 30
„Glaubenskämpfer“ | R:Nuran David Calis | Sa 27.2. 20 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 22 12 84 00
„Nathan der Weise“ | R: Volker Lösch | 13., 19., 24.2. 19.30 Uhr, 28.2. 18 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
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