Eines überrascht zunächst. Die Porträts, die Lotte Jacobi bis 1934 in Deutschland und Europa und ab 1935 in den Vereinigten Staaten aufgenommen hat, sind stilistisch nicht zu unterscheiden. Lotte Jacobi setzt in New York da an, wo sie in Berlin aufgehört hat. Sie war sich frühzeitig ihrer Sache sicher und zur rechten Zeit am rechten Ort. Die Sujets ihrer fotografischen Darstellungen stammen aus dem (überwiegend deutschen) Kulturleben. Ihre fotografischen Bildnisse sind hochkonzentriert, ohne Umschweife und tatsächlich ausgesprochen offenherzig. Aber Lotte Jacobi macht keine Schnappschüsse, ihre Aufnahmen sind genau beobachtet und sorgsam arrangiert, im Einverständnis mit den Porträtierten, die sich selbstbewusst darstellen. Lotte Jacobi setzt in ihrer Fotografie beim Selbstverständnis an: Sie bringt Auftreten, Status und Denken der Porträtierten zur Deckung.
Die Beschäftigung mit der Fotografie wurde ihr wortwörtlich in die Wiege gelegt. Lotte Jacobi wurde 1896 in Westpreußen geboren, ihr Vater übte den Beruf des Fotografen in der dritten Generation aus. Lotte Jacobi selbst hat schon als 12Jährige mit der Kamera experimentiert und später in München Fototechnik studiert. Ab 1920 lebte sie in Berlin, wo sie im Atelier ihres Vaters mitarbeitete. 1929 erwarb sie ihre erste Leica-Kamera, 1932 wurde das Atelier an den Kurfürstendamm verlegt. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten erschwerten sich die Arbeitsbedingungen für Lotte Jacobi, die aus einer jüdischen Familie stammte. Über Umwege emigrierte sie im September 1935 nach New York, dort eröffnete sie schon im Monat darauf mit ihrer Schwester ein eigenes Fotostudio. Und kaum zwei Monate später veröffentlichte der New York Harald Tribune bereits ihre Aufnahmen. 1944 erwarb Lotte Jacobi die amerikanische Staatsbürgerschaft – nach Deutschland kehrte sie nur noch zu Besuch zurück. 1955 zog sie nach New Hampshire, wo sie bis zu ihrem Tod 1990 lebte. Sie engagierte sich kulturpolitisch, richtete wieder ein Fotostudio ein und fertigte weiterhin Porträts an. In Amerika schon längst anerkannt, fand ihre erste Einzelausstellung in Deutschland 1972 in der Landesbildstelle Hamburg statt, organisiert von Fritz Kempe; weitere folgten. 1983 wurde sie in Berlin mit dem Dr.-Erich-Salomon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Photographie ausgezeichnet.
Auf der anderen Seite der Kamera
Berühmt wurde Lotte Jacobi vor allem mit ihren Porträts, die auch Dokumente des kulturellen Lebens in den Metropolen Berlin und New York sind. Lotte Jacobi ist mittendrin und es herrscht ein großes Vertrauen zwischen der Fotografin und den Fotografierten. Zu den Porträtierten im Berlin der 1920er, 1930er Jahre gehört Peter Lorre alleine und gemeinsam mit Lotte Lenya in Wedekinds „Frühlings Erwachen“ an der Volksbühne 1929 – da hatte sich Lotte Jacobi bereits als Theaterfotografin etabliert. Hier konzentriert sie sich auf die beiden Akteure und arbeitet deren Intensität im Spiel heraus: Ein Bühnenbild oder Accessoires brauchen weder die Schauspieler noch die Fotografin. In diesem Sinne vertrackt ist die Aufnahme mit Emil Jannings, der sich in der Garderobe vor einem Spiegel schminkt, so dass sein Gesicht nur indirekt zu sehen ist. Rechts von Jannings steht der Maskenbildner, den Kopf in ähnlich schräger Haltung und ebenfalls einen Pinsel in der Hand … Identität und Rolle, Schauspielerei als reflektierte Wirklichkeit sind in dieser komplexen Komposition, in der die Fotografin noch ihre eigene Aufgabe hinterfragt, als Themen aufgeworfen.
Lotte Jacobi hat aber auch Käthe Kollwitz porträtiert, 1929 in Berlin in weicher Zeichnung. Die Kollwitz ist im frontalen Gegenüber zu sehen, als Büste den Kopf aufrecht, dadurch im Ebenmäßigen erfasst, wodurch das Feine der Gesichtszüge betont ist. Deutlich werden der wache Blick, mit dem Kollwitz ihrerseits die Umgebung und die gesellschaftlichen Zustände registriert hat, sowie die Überzeugung vom eigenen Tun, aber auch dessen Ausgeliefertsein. Lotte Jacobi schildert die sozialkritische Bildhauerin und Zeichnerin im Zusammenwirken von Schönheit und innerer Haltung. Die Fotografie befindet sich in der Sammlung des Käthe Kollwitz Museums. Mit der Retrospektive zu Lotte Jacobi wird zugleich die Geschichte dieses einen Fotos erzählt und ein weiterer Mosaikstein zum Verständnis der Namensgeberin, deren Werke im Kölner Museum vorbildlich gesammelt werden, gesetzt.
In Amerika fotografiert Lotte Jacobi dann zunächst die Landsleute, die emigriert sind, Albert Einstein und Thomas Mann. Und den Reporter Egon Erwin Kisch mit ausdrucksstarkem Gesicht, forciert noch durch die ausgreifende Gestik der rechten Hand, während die Linke mit der rauchenden Zigarette auf einem Tischchen aufliegt. Dass bei den Porträts die weitgehende Beschränkung auf das Gesicht ein gezieltes Verfahren ist, bestätigen noch die Reisefotografien, die ab 1931/32 unter anderem in Moskau und den Teilrepubliken der Sowjetunion entstanden sind, und die Theater- und Tanzaufnahmen, die auch die Umgebung festhalten und damit die Atmosphäre einfangen. Doch auch da ist alles konzentriert, auf den Punkt gebracht als wahrhafte Erlebnisse. Auch diese Aufnahmen sind in der Kölner Retrospektive zu sehen, ebenso wie die Experimente mit dem – kameralosen – Fotogramm. Vielleicht liegt es ja auch an dieser Vielschichtigkeit, der Offenheit und Neugier von Lotte Jacobi, dass sich die Porträtierten auf das fotografische Miteinander eingelassen haben und dass daraus so wichtige, maßstäbliche Bildnisse entstanden sind.
„Lotte Jacobi“ I bis 25.11.I Käthe Kollwitz Museum in der Neumarkt-Passage I www.kollwitz.de
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