choices: Frau German, Sie haben zunächst Philosophie und Kunstgeschichte in Heidelberg und Paris studiert. Wie kam die Wendung zur Schauspiel-Regie?
Simina German: Ich wollte Theater machen, kam aber nach dem Abitur nicht darauf, Regie zu studieren. Als Berufswunsch habe ich das erst entdeckt, als ich in Paris war und sehr viel ins Theater und ins Kino gegangen bin. Parallel zu meinem Master habe ich dann dort eine Schauspielausbildung begonnen. Wir mussten immer wieder Szenen mit den Kollegen aus der Klasse einstudieren und dabei wurde mir erst klar, was Regie bedeutet.
Woher kommt Ihre Frankreich-Begeisterung?
Ich bin in Rumänien geboren und dort ist die Affinität zu Frankreich sehr groß. Vor allem im südlichen Teil, in Transsilvanien im Norden, wo ich geboren bin, ist es auch sehr stark die jüdisch-deutsche Kultur. Meine Mutter hat mir sehr früh französische Bücher geschenkt. In der Schule hatte ich zwar keinen Französisch-Unterricht, es ist aber nicht schwer, die Sprache zu lernen, wenn man rumänisch spricht, beides sind romanische Sprachen.
Wann sind sie nach Deutschland gekommen?
Wir sind 1990 nach Karlsruhe gezogen. Meine Eltern haben in Rumänien keine Zukunft mehr gesehen. Mein Onkel ist bereits Anfang der Achtziger Jahren geflohen und hat dann im SWR-Orchester Baden Baden gearbeitet. Meine ganze Familie sind Musiker, mein Onkel, meine Eltern, meine Schwester. Ich bin die einzige Nichtmusikerin, das ist manchmal auch anstrengend.
Warum haben Sie dann an der Folkwang-Universität der Künste in Essen studiert?
Ich habe mich zuerst in München bei der Theaterakademie beworben. Da bin ich in der Endrunde rausgeflogen, in Essen an der Folkwang Hochschule hat es dann geklappt. Mir hat das interdisziplinäre Arbeiten gefallen. Als Regiestudentin muss man auch den Schauspielunterricht mitmachen. Da ich auch gerne auf der Bühne stehe, war es schön, diese Nähe zu den Schauspielern zu haben. Außerdem versucht die Folkwang-Hochschule, sehr individuell auf die Regiestudenten einzugehen. Pro Semester werden nur zwei aufgenommen. Und ich hatte ein gutes Gefühl meinem Lehrer Brian Michaels gegenüber.
Was haben Sie von Brian Michaels gelernt?
Ich habe gelernt, dass Krisen und Chaos Teile des Inszenierungsprozesses und deshalb wichtig sind. Und dass man nicht panisch oder aggressiv reagieren muss, sondern Ruhe bewahren sollte, auch wenn es manchmal schwer fällt. Worauf man bei Folkwang auch Wert legt, ist der Respekt für die Schauspieler und für ihre Arbeit. Und dass die Form nicht zu sehr den Inhalt überlappen darf, wobei ich mir schon etwas mehr Unterricht in unterschiedlichen Formen und Stilen gewünscht hätte.
Wie schwierig ist es, danach als Regisseurin Fuß zu fassen?
Man darf sich nicht nur der Illusion hingeben, dass man Kunst macht. Theater ist auch ein Markt und man selbst ist ein Produkt. Stellen gibt es sowieso keine. Man muss sich damit abfinden, dass man frei arbeiten wird. Das kann schön, aber auch angsteinflößend sein. Anders als bei Schauspielern läuft es bei RegisseurInnen so, dass man gesehen oder empfohlen wird. Ich hatte das Glück, nach dem Studium diese Inszenierung zu bekommen. Das ist zwar kein Staats- oder Stadttheater, dafür ist aber auch der Druck und die Öffentlichkeit nicht ganz so groß. Der Vorteil war, dass ich an der Auswahl des Stücks beteiligt war und die Schauspieler casten durfte.
Was hat Sie an „Malaga“ von Lukas Bärfuss gereizt?
Das Stück und die Figuren wirken zunächst sehr konstruiert und artifiziell. Michael und sein künstliches Innenohr spielen darauf an, dass man sich nicht zuhören kann; Vera wiederum ist Psychiaterin. Die Gespräche zwischen den beiden sind genau das, was man von einem Ehepaar erwartet. Doch was wie eine klassische Komödie anfängt, steuert dann unerwartet auf eine Katastrophe zu. Spannend finde ich, dass letztlich alle schuldig sind und keiner. Und dass die Katastrophe ein Geheimnis behält und viel Freiraum für die Phantasie des Zuschauers lässt. Ab dem Moment der Katastrophe verändert sich die Temperatur zwischen den Figuren dann völlig.
Der Konflikt ist einfach: Vera will mit ihrem Lover ein Wochenende verbringen, Michael zu einem Kongress, es gibt aber keinen Babysitter für die gemeinsame Tochter Rebekka. Warum tun sich beide mit einem Kompromiss so schwer?
Das ist der Egoismus und Egozentrismus der beiden Figuren, aber auch die Unfähigkeit miteinander zu kommunizieren. Die Dialoge von Vera und Michael könnte man auch als Monologe nebeneinandersetzen. Die hören sich einerseits genau zu und daraus entwickelt sich ein Schlagabtausch, aber letztendlich hören sie sich auch nicht zu. Keiner will sich geschlagen geben, aber sie wissen auch nicht, was es bedeutet, wenn man den Punkt gemacht hat.
Sind das psychologisch differenzierte oder eher zeichenhafte Figuren?
Wir nähern uns den Figuren schon psychologisch. Die Schauspieler müssen wissen, was da an Liebe, an Angst, an Hass darunterliegt. Wenn man die Psychologie dann hat, kann man schauen, wie man das Tempo der Komödie rein bekommt, vor allem für ersten Szenen. Das ist ja wie eine Maschine, die anspringt und läuft.
Bis auf Tages- und Zeitangaben verfügt das Stück über keinerlei Ortsangaben, nicht mal kürzeste Regieanweisungen. Wo spielt für Sie „Malaga“?
Nicht im Wohnzimmer, wie der Text suggeriert. Der Bühnenbildnerin und mir war schnell klar, dass das in keinem realistischen Raum spielt, sonst wird das zum Salonstück. Das Bühnenbild ist ein Warteraum mit Bänken und einer weißen Fläche. Ich musste immer wieder an Becketts „Warten auf Godot“ denken, die Figuren hängen auf die gleiche Art in der Luft.
Die Eltern überlassen Rebekka, die nicht auftritt, dem 19jährigen Alex. Es kommt zu einer Katastrophe, die wir nicht sehen. Was passiert da?
Alex ist kein Perverser oder kleiner Krimineller. Er handelt mit 19 genauso unverantwortlich wie die siebenjährige Rebekka. Ich sehe die beiden eher wie zwei Kinder, die miteinander spielen. Es ist nichts passiert, bei dem Alex Gewalt ausgeübt hätte, vielleicht hat sogar Rebekka die Initiative ergriffen und es kam zu einem Unfall. Hinzu kommt ein blöder Voyeurismus. Alex versteht sich als Filmemacher und hält die Kamera drauf, als das Kind eigentlich ins Krankenhaus müsste – nicht nur aus Perversion, sondern auch aus einem naiven Künstlertum.
Am Ende laufen die Dialoge merkwürdig aus dem Ruder.
Als Alex wiederkommt, könnte Vera ihm verbieten, je wieder einen Fuß über die Schwelle zu setzen. Sie tut es nicht. Bei Michael ist der Widerstand stärker. Klar ist aber: Es ist etwas passiert, wofür man Alex nicht anzeigen kann. Ich mag an diesen Szenen den Schockzustand. Die Figuren funktionieren, ohne eigentlich anwesend zu sein. Eine Veränderung stellt sich bei Vera und Michael nicht ein, sie sind selbst nach dem Unfall immer noch nur mit sich selbst beschäftigt und reden nicht wirklich miteinander. Es ist sicher ein Bewusstsein der Schuld da, aber keinerlei Erkenntnis.
„Malaga“ | R: Simina German | 23.(P)/25./29./31.1. 20 Uhr | Theater der Keller | 0221 272 20 99-0
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