Die Bekanntgabe und virtuelle Verleihung der 31. Kölner Tanz- und Theaterpreise wurde am Sonntagabend live im Netz übertragen. Sie findet 2020 in einem Jahr statt, in dem viele Vorführungen und manche Produktionen ausfielen oder verschoben wurden. Die Jurys in den einzelnen Sparten konnten aber immerhin 69 Stücke aus der freien Szene berücksichtigen und davon ein knappes Drittel in Nominierungslisten aufnehmen. „Lassen Sie sich nicht entmutigen“, wünschte sich Oberbürgermeisterin Henriette Reker in ihrem aufgezeichneten Grußwort, denn sie spüre in Köln weiterhin ein großes Bedürfnis nach Theater. „Die Stadt Köln wird die Kultur unterstützen, wo sie nur kann.“
Moderiert wurde der Abend ohne Publikum und Gäste im KOMED-Saal von Professor Hans-Georg Bögner (SK Stiftung Kultur) und Schauspielerin Aischa-Lina Löbbert.
Wehr51 erhielt für „IS deutsche Räuber im Dschihad“ (frei nach Schiller) den mit 10.000 Euro dotierten Kölner Theaterpreis. Andrea Bleikamp und Rosi Ulrich gingen mit ihrem Ensemble in der Freihandelszone und in St. Gertrud der Frage nach, warum sich Jugendliche radikalisieren und was das über ihr Verhältnis zu westlichen Werten aussagen mag. Die Uraufführung im November 2019 fand zu spät für die Jurysitzungen im Vorjahr statt, daher nun der Preis im Jahr 2020.
Bleikamp und Ulrich zeigten sich im häuslichen Zoom-Halbdunkel in Feierlaune, zumal sie wie alle anderen während des Zuschauens von ihrem Sieg erfuhren. Eine dritte Staffel sei für nächsten April geplant. Jurymitglied Norbert Raffelsiefen stellte fest, die beiden hätten unter Nutzung vieler theatraler Mittel einen „genialen Bogen geschlagen von Schillers Räubern zu heutigen Radikalisierungsbiografien und- mustern“ und den „Weg zu einer Wertedebatte“ geebnet.
Für „Das eXXperiment“ über die Malerin Marta Hegemann wurde Choreografin und Tänzerin Bibiana Jimenez mit dem Tanztheaterpreis ausgezeichnet. Die Kooperation mit dem Theater der Keller kam in der Tanzfaktur zur Aufführung, wohin sie am 13. und 14. Januar zurückkehren soll. Der Jury ging das Stück nahe: „Mit den Tänzerinnen Daniela Riebesam und Florencia Martina hakt Bibiana Jimenez hier keine Biographie nach Jahren ab, sondern entwickelt die Szenerie einer zunehmenden Bedrückung. Und des Aufbegehrens.“ Jimenez und wehr51 haben in diesem Jahr übrigens auch wieder zusammengearbeitet, mit der Produktion „Fractura“.
Zwei Produktionen teilen sich den Kurt-Hackenberg-Preis für politisches Theater. „Geister ungesehen – Ein deutsches Trauma“ ist eine Koproduktion von Analogtheater und Studiobühne unter der Regie von Daniel Schüßler. „1934 – Stimmen“ von Futur3 wurde unter Regie von André Erlen im NS-Dokumentationszentrum aufgeführt.
Beide Stücke würden sich auf „sich auf höchst unterschiedliche Weise und auf gleichermaßen hohem Niveau annähern an den Aufstieg und Fall des sogenannten Dritten Reiches“ und seine Folgen wie die deutsche Teilung thematisieren, so die Jury. Deren Mitglied Dirk Fröse sprach in einem Video lobend von „politischer Archäologie“. Beide Gruppen sind Stammgäste bei den Theaterpreisen und wollen ihre Stücke in den kommenden Monaten wieder zeigen.
Nur wer den Ehrenpreis erhalten sollte, war bereits bekannt. Die Preisträger der Vorjahre wählten die Choreografin Gerda König aus, die Leiterin des seit 25 Jahren bestehenden mixed-abled Tanzensembles DIN A 13 („changeABLE cohesion“) habe „Maßstäbe gesetzt, Körpernormen und Ästhetik im Tanz neu zu betrachten und zu definieren“ und beziehe „ die unterschiedlichsten körperlichen Einschränkungen und Handycaps als Erweiterung des Tanzvokabulars in die künstlerische Arbeit“ ein. Das habe bei ihr eine „gesellschaftliche wie auch eine politische Dimension“. Die neue Produktion „cellar & secrets – Beyond Reason“ wurde im Oktober gestreamt.
Der Kölner Kinder- und Jugendtheaterpreis ging an „Hieronymus“ (Bosch) nach dem Bilderbuch von Thé Tjong-King, eine gemeinsame Produktion von pulk fiktion, Theater an der Ruhr, FFT und Freies Werkstatt Theater unter Regie von Hannah Biedermann. Jurymitglied Thomas Linden bezeichnete es als „ein Stück für die Kleinen“ und lobte ein gelungenes „Spiel mit den Medien“: „Man sieht, wozu das Theater alles in der Lage ist, und man glaubt es nicht.“
Juliane Ledwoch wurde insbesondere für ihre Solodarbietung im eigenen Stück „Frida Kahlo – Erinnerung an eine offene Wunde“ im Theater Tiefrot mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet. Jurymitglied Dr. Winfried Gellner hob mit Blick auch auf vergangene Produktionen ihre Vielseitigkeit und Flexibilität hervor. Frida soll im Spätfrühling wieder zum Leben erweckt werden.
Der Nachwuchspreis „Puck“ für Schauspieler ging an Kaja Hansen (25) unter Verweis auf ihre Monologe an der Arturo Schauspielschule, an der sie in diesem Jahr auftrat und ihre Ausbildung abschloss. Unter anderem dorthin verschlug es offenbar die Jury, die sich trotz stark verringter Aufführungen für die Auszeichnung ein Bild von jungen Talenten machen wollte. „Sie überzeugte uns durch ihre Fähigkeit, besonders durch zarte Schattierungen und leise Töne ihres Spiels zu fesseln“, hieß es in der Laudatio. In einer Zoom-Videoschalte gab Hansen an, als nächstes vor allem wieder vorsprechen und sich weiterentwickeln zu wollen.
Auch wenn die moderne Technik so eine 70-minütige Veranstaltung ohne größere Pannen ermöglichte, blieben doch Preisübergaben per Video in diesem Jahr noch Zukunftsmusik. So wurden denn die Preisträger aufgerufen sich die Auszeichnungen in nächster Zeit abholen zu kommen.
Info: Video-Aufzeichnung (YouTube)
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