24 Lote aus Drahtgeflecht an roten Hanfseilen sind das zentrale Dreh- und Anstoßelement im weißen Raum. Wenn man sie leicht anstößt, gerät der Kreis, in dem sie aufgehängt sind, aus der Geometrie, dann bringen die Objekte die Verhältnisse ins Wanken (Liz Mields-Kratochwill, 2008). Das will die Ausstellung „beRuf Künstlerin – Ein Paradigmenwechsel“ im Bonner Frauenmuseum auch. Seit 20 Jahren kämpft man dort immer noch mit künstlerischen Mitteln gegen das Geschlechter-Ungleichgewicht in den Museen und auf dem internationalen Kunstmarkt, auf dem fast ausschließlich Männer das Sagen und die Macht zur Sortierung haben. Was der eigentlich etwas spröde Titel nicht verrät: Es ist trotz des gesellschaftspolitischen Hintergrundes eine sehenswerte Kunstausstellung geworden, die sich neben Bonn zeitgleich auch in Berlin präsentiert. Die Künstlerinnen setzen sich in der Ausstellung mit ihrem Beruf, der Berufung und ihren 13 Position auseinander, die zusätzlich durch persönliche Statements ergänzt werden. In einer sich tumultartig verändernden Welt, in der die Ratlosigkeit zur obersten Direktive wurde, pendeln Künstlerinnen zwischen Wut, Kreativität und Existenzangst, führen ein Leben, das normale Menschen nicht führen würden, sie arbeiten faktisch in Nebenjobs, um sich Kunst erlauben zu können. „Das macht sich kaum jemand klar“, sagt Museumsdirektorin Marianne Pitzen, selbst Künstlerin.
Diese Protagonisten des Paradigmenwechsels tauchen in keiner Erwerbslosenstatistik auf, obwohl sie am Rande des Existenzminimums leben, müssen ihre Situation und den Blick auf ihre Arbeit neu definieren. Folgerichtig hat Verena Kyselka ihren untauglichen Versuch, Hilfe bei einer Agentur für Arbeit zu erhalten, dokumentiert. Ergebnis ihrer künstlerischen Recherche vor Ort war die Antwort eines Sachbearbeiters: „Sie können doch nicht ewig Künstlerin bleiben“. Gleich nebenan steht ihre Video-Installation mit Webstühlen „Frauenklasse“ (2009), eine Arbeit zum Bauhaus, in dem anfangs kriegsbedingt ein hoher Frauenanteil herrschte. Der beunruhigte Meisterrat ließ viele Studentinnen, denen das Stigma eines kunstgewerblichen Zeitvertreibs anhaftete, nicht in alle Kurse, drängte sie in die Weberei, wo es 1920 extra eine Frauenklasse gab, um sie aus den anderen Arbeitsbereichen herauszuhalten. Herausgehalten werden Frauen heute immer noch aus bestimmten Vergabesystemen und Fördermaßnahmen.
Das dokumentiert auch die Installation „Schicksalsfäden“ (1972-2010). Hier wurde aus Absagen und gescheiterten Projekten ein Kosmos aus dem dazu verwendeten Papier geschaffen. Wie Planeten hängen die zu Kugeln gerollten, gedrehten Schnüre im Raum und erzählen ungeliebte Geschichten. Mit Geschichte, insbesondere der deutschen, beschäftigen sich gleich zwei koreanische Künstlerinnen. Während Sooki den teutonischen Geist in ihren gegenständlichen Ölbildern, auf denen sie immer selbst vertreten ist, belustigt kommentiert, macht Jinran Kim aus den Berliner Trümmerfrauen asiatische Geishas, die durch die zerstörte Hauptstadt wandern.
beRuf Künstlerin: bis 17.11. I FrauenMuseum Bonn I 0228 69 13 44
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