Malen kann man nicht nur mit Ölfarbe auf Leinwand. Auch die Fotografie setzt malerische Akzente mit den Mitteln der Chemie in der Dunkelkammer. Der Amerikaner Jeff Cowen, der als Assistent von Larry Clark durch die harte Schule des Realismus gegangen ist, erforscht die Grenzgebiete zwischen Fotografie, Malerei und Zeichnung. Die Galerie Michael Werner präsentiert derzeit Arbeiten von Cowen, die in den letzten zehn Jahren entstanden. In großen Formaten von 155 x 127 cm zeigt Cowen Metamorphosen in denen sich Akte, Stilleben oder Porträts aus ihrer realistischen Fixierung lösen und zu Kompositionen aus Schatten, feinen Strukturlandschaften oder amorphen Gebilden werden. Die großen Fotopapiere weisen Bruch- und Schnittspuren auf, sie tragen malerische Gesten, in denen Spuren der Silbergelatineabzüge und der Fixierflüssigkeit noch deutlich zu sehen sind. So erhalten Cowens Kompositionen einen Hauch zarter Entrücktheit. Der fotografierte Gegenstand beginnt sich aufzulösen, wird zu einem Gebilde aus Flecken und Strukturen. Cowens florale Motive erinnert mitunter an Werke von Gerhard Richter.
Besonders eindrucksvoll nimmt der 46-jährige in Berlin lebende Amerikaner die Herausforderung der Porträtkunst an. Ein Meisterwerk gelingt ihm mit „Emmanuella“, dem Bildnis einer jungen Frau, deren Gesichtszüge leicht verwischt sind. Die Unschärfe erzeugt Bewegung und vermittelt den Eindruck, als könnte man unmittelbar in die Gedankenwelt der Porträtierten schauen. Im Zentrum der klug gehängten Präsentation zeigt die Galerie das Doppelporträt „Camille 1 and 2“. Cowen lichtet eine junge Frau zweimal kurz hintereinander ab, nur die Augen zeigen eine Veränderung. Ist der Blick zunächst stolz in die Ferne gerichtet, trifft den Betrachter im zweiten Bild der Blick aus den Augenwinkeln der jungen Frau.
Cowen vermag den klassischen Topos des Porträtgenres sichtbar werden zu lassen. Der Betrachter schaut nicht alleine das Bild an, sondern das Bild schaut zurück auf den Betrachter. Das Doppelporträt funktioniert hier als ein Medium, dass den Fokus der Aufmerksamkeit auf denjenigen lenkt, der vor dem Bild steht. Dass wir mit der Kunst ein Medium erschaffen, in dem wir unsere Lebenswelt reflektieren, demonstriert Cowen mit dieser Arbeit auf klassische Weise. Die Stärke des Amerikaners liegt denn auch in seiner Fähigkeit, der Fotografie die zwingende Unmittelbarkeit ihres Realismus zu nehmen und sie für ein Bilderleben zu öffnen, das ein neues, sinnliches Entdecken bietet.
Ausstellung bis 31. März | Geöffnet Di-Fr 10-18 Uhr, Sa 11-16 Uhr | Galerie Michael Werner, Gertrudenstr. 24-28 Köln | Tel. 92 54 620 | www.michaelwerner.com
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