Ein nicht mehr ganz junger Herr steigt auf eine Leiter und streicht mit einem Eimer Farbe den Himmel schwarz an. Meistens trägt Mister G. einen Regenmantel, das klassische Bekleidungsuntensil eines Philosophen. Er rollt eine Straße wie ein Maßband aus und wir sehen ihn an dem Punkt stehen, wo sich das Band der Straße spaltet. Ein Teil weist nach oben, möglicherweise in den Himmel, und der andere nach unten. Fast immer sind es Gleichnisse für menschliche Grundsituationen, die Gilbert Garcin ins Bild setzt. Da gibt es den Mann, der sich bei der Suche nach der Erleuchtung in den Kabeln einer großen Glühbirne verheddert. Manchmal balanciert Mister G. behende auf einer Linie, die offenbar in die Undlichkeit führt, dann wieder bleibt er gefangen auf einem Weg, der im Kreis verläuft.
Dieser Mann, der in seiner distinguierten Erscheinung an René Magritte erinnert und wie dieser gerne als Protagonist in den von ihm selbst geschaffenen Bildern agiert, kennt die Tücken des Lebens. Gilbert Garcin, dessen Fotoarbeiten derzeit in der Galerie infocus zu sehen sind, ging als Fabrikdirektor mit 65 Jahren in Pension. Damit begann für ihn ein zweites Leben, in dem er all das realisieren wollte, was ihm zuvor nicht möglich war. Er versuchte sich in der Malerei und diversen anderen Künsten, bis er die Fotografie als das für ihn geeignete Medium entdeckte. Gilbert Garcin entwickelte sich mit fast 70 Jahren zu einem Meister der Fotomontage. Seine Bilder sind in strengem Schwarzweiß gehalten, reflektieren scharfsinnig das Bildmedium und entwerfen allegorische Situationen, die ebenso von Melancholie wie Humor getränkt sind. Köstlich etwa Garcins Interpretation eines „Strippenziehers“, der eine ganze Klaviatur von Seilen vor sich hat, an einem zieht und dadurch selbst den Boden unter den Füßen verliert. Neben Mister G. taucht in zahlreichen Bildern eine ältere Dame auf, seine Frau, der es gelingt, alleine durch ihre Anwesenheit die Gestalt ihres Mannes zu ironisieren.
Gilbert Garcin ist kein Fan des Computers, seine Bilder entstehen in einem kleinen Geräteschuppen im Garten seines Hauses in Paris. Viel mehr als eine Nachtischlampe, und eine Schere, mit der er seine und die Gestalt seiner Frau ausschneidet, braucht er für seine Bilder nicht. Die einzelnen Teile werden in einer schwarzen Schachtel montiert und dann als Kulisse von ihm abfotografiert. Freilich ist viel Charme, Lebensweisheit und ein untrügliches Gefühl für den effektvollen Bildaufbau notwendig, um eine derart pointierte Metaphysik im Gartenhäuschen betreiben zu können.
Ausstellung bis 30. März | in focus Galerie, Brüsselerstr. 83 | Tel. 0221 13 00 341 | www.infocusgalerie.de
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