Man muss sich erst an diese kleinformatigen, meist schwarz-weißen graphischen Arbeiten auf Papier herantasten, in sie einfühlen. Sich Zeit nehmen. Vielleicht so, wie sich Max Uhlig selbst bei diesem Pressetermin verhält. Er bleibt zurückhaltend, wendet sich Peripherem zu, sitzt da und schaut. Aber beim Rundgang und vor den Bildern wird er euphorisch, tritt nahe heran und erläutert auch die technischen Feinheiten und visuellen Variationen seiner druckgraphischen Blätter. Im Käthe Kollwitz Museum sind diese bis Mitte März – ergänzt um Kohlezeichnungen und Aquarelle – in einer umfassenden Werkschau zu sehen, die zuvor im Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gezeigt wurde. Äußerer Anlass ist der 75. Geburtstag von Max Uhlig, der seit langem zu den wichtigsten Künstlern aus Ostdeutschland und zu den wichtigen deutschen Zeichnern der Gegenwart zählt. In seinem Duktus, seiner Hinwendung zur Darstellung des Menschen und überhaupt im Vertrauen auf den Realismus aber ist er noch Käthe Kollwitz, der großen sozialkritischen Zeichnerin und Bildhauerin und „Hausherrin“ des Kölner Museums, verwandt. Übrigens wurde Uhlig schon 1987 mit dem Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der Künste der DDR ausgezeichnet.
Ein plastisches Sehen
Und auch wenn seine Kunst nicht als unmittelbar politisch oder gesellschaftskritisch zu bezeichnen ist, so ist Max Uhlig doch ein Künstler, der die Wirklichkeit durchdringt und klärt, der sie expressiv verknappt und dadurch innere Befindlichkeiten und soziale Verhältnisse zum Vorschein bringt. Er legt ein Gerüst des Authentischen an und schält die geistige Konstitution frei. Sehen wird dabei zur Grundlage der Kunst. Dazu hält er den Kanon seiner Sujets begrenzt. Den Schwerpunkt bilden die Bildnisse, meist als Büsten, sowie die Landschaften und Naturstücke; so sind in Köln mehrere Blätter mit Rebstöcken ausgestellt. Daneben gibt es die Vanitas-Stillleben, für die ein Schädel ausreichend ist, und die Straßenszenen, die mitunter an Gruppenbildnisse denken lassen. Die Einzelportraits sind oft vorm Modell entstanden, weiterhin bezieht sich Uhlig auf Künstlerpersönlichkeiten, die für ihn prägend waren, etwa Giacometti, Rodin oder Marino Marini, auch Käthe Kollwitz. Aber er hat sogar einzelne Plastiken seiner Künstlerkollegen gezeichnet. Ist das nicht überhaupt eine künstlerische Strategie in seinem ganzen Werk, dass er auf der Fläche plastische Wahrnehmung festhält und sozusagen ihre bifokale und taktile Herkunft anspricht? Uhlig als genuiner Zeichner umreißt Volumen, definiert es aus sich heraus. Er arbeitet gegenständlich, aber hin zu einer Auflösung, die gleichwohl verdichtet. Seit vier Jahrzehnten ist eine lineare Netzstruktur als Überkreuzung einzelner Pinselhiebe, Federstriche und Häkchen konstitutiv für seine Bilder, ob als Druckgraphik, Zeichnung, Aquarell oder Ölmalerei. Er setzt jeden der Striche mit heftiger Geschwindigkeit, welche im Duktus konserviert wird: Das Augenblickliche der Wahrnehmung ist ein zentrales Motiv seiner Kunst, damit wird jede Kontur flüchtig, und daraus entstehen pulsierende Oberflächen wie auch florales Gestrüpp, das weiter im Sprießen begriffen ist. Die Bilder von Max Uhlig sind spontane Notation, Zwischenstadium und Endzustand zugleich. Auch deshalb ist die Druckgraphik sein ideales Metier; er widmet sich besonders der Radierung, auch als Aquatinta, und der Lithographie. Zu etlichen Druckplatten entstehen mehrere Zustände. Im Vergleich lässt sich gut beobachten, welche Überlegungen Uhlig beschäftigen, wie sehr er auf die Breite und Tiefe der einzelnen Linie achtet, auf die Nuancen im Farbton und natürlich auf das artistische Können: Kunst wird zur eigenen Wissenschaft, die hohes handwerkliches Vermögen voraussetzt, eine Qualität, die Uhlig, der als Professor an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden unterrichtet hat, wichtig ist.
Mit Landschaften bekannt
Obwohl Max Uhlig für seine Druckgrafiken berühmt ist: Bekannt sind vor allem seine oft querformatigen Gemälde von panoramatischen Landschaftseindrücken zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Vielfach sind sie die Ergebnisse der jährlichen Arbeitsaufenthalte in Südfrankreich: Dort malt Uhlig in der Natur, legt sogar Radierungen an. Natürlich lassen seine Gemälde an die Impressionisten und an Cézanne denken, sind vibrierende Lichtmalerei, die samten hinter wolkigen Verdunkelungen verschwindet und enorm stofflich wirkt – auch davon sind Beispiele in der Kölner Ausstellung zu sehen. Klug ist zudem, dass Hannelore Fischer, die Direktorin des Käthe Kollwitz Museum, einzelne Kohlezeichnungen mit Straßenszenen, die sie im Dresdner Atelier von Uhlig entdeckt hat, integriert hat. Auf diesen Querformaten befinden sich mehrere Personen neben- und hintereinander. Sie zeigen den Einzelnen in der Masse, für sich und zugleich im Fluss der vorübergehenden, anonymen Passanten. Aktivität und Passivität werden im Verhältnis von Licht- und Schattenzonen betont. Und mit einem Mal kommt doch noch ein politischer Zug zum Ausdruck; eine Ahnung davon, wie in bestimmten Zusammenhängen diese Kunst zu lesen sein könnte. Und man erfährt, wie es Uhlig mit der reinen Beschreibung gelingt, zu psychologisieren und Allgemeingültiges für den Sonderfall zu formulieren ... Und wenn man anschließend wieder unten auf der Straße, am Neumarkt an der Ampel steht, dann erlebt man vielleicht das Warten der Passanten – mitten in Köln – viel bewusster und hinterfragt die eigene Rolle und Teilhabe. Das alles können Uhligs Bilder auslösen.
„Max Uhlig – Mensch und Landschaft“ I bis 17.3. I Käthe Kollwitz Museum am Neumarkt, Köln I www.kollwitz.de
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