Drei Etagen Wandern durch ein Wunderland, Forschen nach der Fee. Der bösen Fee natürlich. In Düsseldorf ist die Polin Katarzyna Kozyra zu sehen, ein Enfant terrible der Kunstszene, eine Art Cindy Sherman der Videokunst, nur skurriler, viel berüchtigter für Skandale und ziemlich abgedrehte Filme. Ihr „Summertale“-Opus (2008) mit Kleinwüchsigen im merkwürdig bunten Schein der Transvestiten-Welt war auf der Videobiennale in Bonn zu sehen. Kleinwüchsige Menschen halfen ihr auch beim „Midget Gallery Projekt“, mit dem sie einst die Schnösel bei der Berlin-Biennale aufmischte, sehr zum Ärger der Veranstalter, die sie flugs entfernen ließen. In Düsseldorf hängen die kleinen bayrischen Trachtenhöschen und -Hemdchen wie eine serielle Skulptur in der ehemaligen Küche von Galerist Alfred Schmela, dessen Haus 2008 vom Land NRW erworben wurde und heute eine Dependance der Kunstsammlung für artists in residence-Projekte ist.
Auftakt der Ausstellung, dieKozyra speziell für die Räume des Schmela-Hauses vor Ort konzipiert hat und die eine Gesamtsumme ihres bisherigen Schaffens darstellt, ist die Videoinstallation „Punishment and Crime“ (2002/2012), deren Kriegsgetöse der Besucher schon auf der Straße hinter dem Milchglasschaufenster audiovisuell wahrnehmen kann; der Film wird durch einen Panzerspähwagenin Puppenhausgrößeund sechs (abgeschlagene?) Frauenköpfe im Geschenkkarton ergänzt.
Blutig geht’s weiter: „Blood Ties“ (1995) sind vierC-Prints auf Dibond, auf der junge Menschen und die Künstlerin sich nackt auf religiösen Symbolen räkeln, die Bilder sind damals in Polen beim Papstbesuch auch mal eben abgehängt worden. Bereits seit 2003 realisiert die längst renommierte Künstlerin, die bereits 1999 den Polnischen Pavillon auf der Biennale in Venedig bestücken durfte, das Projekt „In art dreams come true“. Zusammen mit der Berliner Drag Queen Gloria Viagra durchleuchtet sie die Nachtclubs und Opernhäuser und die ewigen Stereotypen der Frau. Devotionalien der Performances (als Madonna, Operndiva oder Cheerleader) sind in Schaukästen im Schmela-Haus ausgestellt, dazwischen flimmern die Videos. Aber auch männlichen Verhaltensmustern ist sie auf der Spur. So in der Filmtrilogie „Boys“ (2001-2002), wo sie die Kastrationsängste der Helden, aber auch den schnittigen Geschlechterwechsel thematisiert. Auch hiervon sind Video und Accessoires sowie die originalen Penisattrappen zu bewundern.
Zentral und aufwändig wird die Installation „Men’s Bathhouse“ von 1999 präsentiert.
Die4-Kanal-Audio-Video-Installation mit TV-Dokumentation zeigt als ganzen Raum einen boshaften Eingriff in die Männerwelt. Mit versteckter Kamera filmte die Künstlerin im Budapester Gellertbad. OhneEinverständniserklärungen – ja, ohne überhaupt zu fragen – drang sie dort als Mann mit Bart und Kunststoffpenis verkleidet ein und drehte aus einer Tüte heraus. Das Ergebnis ist erstaunlich. Wie einst in römischen Bäderhäusern stolzieren die nackten Helden umher, für die Künstlerin eine enorme Erfahrung, die zeigte, wie zufrieden die wohlgenährten Herren der Schöpfung sich dort bewegen. Wie detailreich sich die Künstlerin auf diese Attacke vorbereitet hat, zeigt ein Bildschirm nebenan. Im katholischen Polen dagegen kochte die Volksseele und es hagelte Proteste. Da lacht die böse Fee.
„Katarzyna Kozyra, Master of Puppets“ |bis10.3. | Schmela-Haus, Düsseldorf | 0211 838 12 04
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