choices: Herr Weimar, was haben Sie gemacht, bevor sie Fotograf wurden?
Wolfgang Weimar: Ich habe die Bühnenbeleuchtung für große Rockbands vor allem in den USA eingerichtet und damals schon meine Lightdesigns fotografiert. Mir ging es darum, diese Lichtstimmungen zu dokumentieren. Als ich dann aus familiären Gründen nach Deutschland zurückgekehrt bin, habe ich neben meiner Arbeit als Lightdesigner für Fachmagazine von den Gigs großer Bands berichtet. Bei einem Konzert von Billy Idol bat mich eine Redakteurin vom Express, Fotos zu machen. Daraus entwickelte sich dann eine enge Zusammenarbeit. Ein Jahr später bat man mich, auch Theater für den Express zu fotografieren.
Wann haben Sie zum ersten Mal Theater fotografiert?
Das begann 1988 mit dem Stück „Mama hat den besten Shit“ von Dario Fo im Piccolotheater mit dem grandiosen Duo Ingrid und Dodo Mewes. Die beiden baten mich um Fotos. Das gleiche passierte auch bei anderen Theatern, und plötzlich war ich Theaterfotograf. Parallel dazu habe ich als Fotograf im Bereich Kultur für den Express gearbeitet.
Wie kam es zur Fokussierung auf die freie Szene?
Ich habe dann 1998 aufgehört, für den Express zu arbeiten, als die Kultur im Blatt eine immer geringere Rolle spielte. Zu der Zeit war in der freien Szene genug zu tun. Es gab damals mehr Theater mit mehr Geld, die mindestens zwei Stücke pro Saison produzierten.
Was reizt Sie, gerade in der freien Szene zu fotografieren?
In jeder Inszenierung werden Bilder kreiert, die flüchtig sind, weil sie vom spielerischen Moment abhängen. Die Kulmination der Spannung, die Beziehungen, gar den Subtext einzufangen, ist mir wichtig. Eine meiner grundlegenden Motivationen besteht darin, dokumentierend festzuhalten. In zehn Jahren weiß wahrscheinlich keiner mehr, was einmal gewesen ist. Das fände ich sehr schade.
Sie begreifen sich also in erster Linie als Dokumentar?
Ja. Auch mit der Implikation, dass ich beim Fotografieren nur Positionen einnehme, die das Publikum auch einnimmt. Ich fände es unlauter, Bilder aus Perspektiven zu machen, die man so nicht sehen kann. Die Nachbearbeitung mit Photoshop beschränkt sich also meist auf Farbretuschen. Es ist authentisch, es muss authentisch bleiben. Da bin ich beinhart.
Worin liegt für Sie als Fotograf das ästhetische Plus des freien Theaters?
Immer da, wo man eine ungewöhnliche Bildsprache findet. Aber diese Domäne wird mehr und mehr von den Stadttheatern besetzt. In der freien Szene wird das z. B. eingelöst vom a.tonal.theater, der Studiobühne oder dem theater-51grad.com, die gerade „Andropolaroid“ mit der Tänzerin und Choreografin Yui Kawaguchi herausgebracht haben. Solche Produktionen finden viel zu selten statt, was mit dem katastrophalen Geldmangel der freien Szene zu tun hat. Oft sieht man nur die nackte Armut auf der Bühne. Dann gibt es viele Schauspieler, auf die ich mich freue. Wenn Sunga Weineck in der Besetzung auftaucht, bekomme ich eine Menge guter Bilder, weil er ein wunderbarer Darsteller ist. Außerdem macht es Spaß, dem Spannungsbogen dieser Leute zu folgen.
Ist es Ihre Aufgabe, diesen Geldmangel fotografisch unsichtbar zu machen?
Ich kann ihn kaschieren, aber die Zuschauer sehen ihn in der Aufführung dann doch. Mir ist oft der Vorwurf gemacht worden, dass meine Bilder schöner seien als die Inszenierungen. Aber letztlich kann auch ich nur das fotografieren, was da ist.
Worin lag der Reiz von „Andropolaroid“?
Fotografisch war das höchst anspruchsvoll. Wenn nur Neonröhren als Beleuchtung im Bühnenbild hängen und man nur Gegenlicht hat, bekommt man als Fotograf ein Problem. Gegen die physikalischen Grenzen anzustinken, darin liegt der Reiz der Bühnenfotografie.
Der Theaterfotograf muss ja eigentlich den Moment antizipieren, um ihn festhalten zu können. Schauen Sie sich vorher eine Aufführung an, um zu wissen, was passiert?
Nein. Ich finde es spannender, wenn ich mit meiner mir angeborenen Naivität vor der Bühne stehe, staune, empfinde und dann mit einem ganz offenen Herzen meine Bilder mache. Man entwickelt mit der Zeit auch einen Instinkt, wo gleich etwas passiert.
Wie oft sind sie unterwegs, und wie überlebt man mit den Honoraren der freien Szene?
In der Regel habe ich etwa 150 bis 200 Abendtermine in den Bereichen Sprechtheater, Tanz, Kabarett, Klassik pro Jahr. Das Honorar, das eine gut geförderte Gruppe bezahlen kann, liegt bei etwa 100 und 200 Euro. Wer keine Förderung bekommt, kann sich keinen Fotografen leisten. Manche Gruppen, vor allem Tanzcompagnien, haben nur einen Aufführungsblock und brauchen Bilder allenfalls als Dokumentation, nicht als Pressefoto. Damit entfällt der wichtigste Honorierungsgrund. Ich gehe oft zu Terminen, von denen ich weiß, dass ich dabei kein Geld verdiene. Schließlich besitzt Köln eine katastrophale Presselandschaft, die nicht das dokumentiert, was in der Stadt passiert. Das war mal anders!
Was passiert eigentlich mit den Fotografien, die sie machen?
In 22 Jahren ist ein Archiv mit etwa 1,9 Millionen Bildern entstanden. Es dokumentiert, was in dieser Stadt künstlerisch geschehen ist, und ist Teil des Vereins Kölner Kulturbild Archiv. Der Verein finanziert schon heute meine Arbeit und fördert Theater und junge Publikationen. Ein weiteres Ziel ist, die Archive andere Fotografen, die sich der Kulturfotografie in dieser Stadt gewidmet haben, zu sichern, zu dokumentieren und zu bewahren.
Wie lange werden Sie den Job noch machen?
Ich bin 55. Das Rentenalter beginnt offiziell mit 67 und bei mir wahrscheinlich noch zehn Jahre später. Solange man nicht zu sehr tattert und noch weiß, wo vorne ist, kann man den Job machen. Es wäre allerdings schön, wenn es eine geregelte Nachfolge gäbe. Ich würde mich freuen, wenn Can M. Rastovic das übernehmen würde, die aus einem anderen Bereich der Dokumentarfotografie kommt, aber sehr spannende Fotos macht.
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