choices: Frau Gescher, Sie haben die zwanzigminütige Bühnenmusik „Diellese“ komponiert, zu der nun drei Regisseure eine Inszenierung konzipieren. Wovon sind Sie ausgegangen?
Barbara Gescher: Das Stück „Der andere Weg“ ist Teil des Projekts „Aufbruch vor der Barbarei“, das sich in mehreren Inszenierungen mit der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen beschäftigt. Musikhistorisch ist dieser Zeittraum sehr reich, und die Vorgabe lautete, Stilmittel dieser Epoche zu benutzen. Also vom Impressionismus über Expressionismus, Dadaismus, Klangfarbenkompositionen, Zwölftontechnik, Unterhaltungsmusik, Jazz bis zum Bruitismus, der industrielle Geräusche und Naturgeräusche in die Musik einbaut. Das war mein Leitfaden. Die musikalische Grundlage meiner Komposition ist ein „verwandeltes Thema“: Es handelt sich um eine zwölftönige Reihe, die ich aus der Einleitung eines der „Vier Letzten Lieder“ von Richard Strauss gebildet habe.
Und wie sind Sie dann mit der fertigen Musik umgegangen, Frau Winke?
Katja Winke: Ich habe mir die Musik sehr oft angehört und eine Geschichte herausgehört mit verschiedenen Entwicklungsstufen. Eine Person geht auf eine Reise mit vielen Stationen, trifft eine zweite Person und kehrt wieder an den Ausgangspunkt zurück. Diese Geschichte habe ich versucht, mit dem Licht wiederzugeben. Die isolierte, langsame, einführende Musik am Anfang habe ich versucht, durch ein sich langsam aufbauendes Licht widerzuspiegeln, die musikalisch fließenden Übergänge durch Lichtwechsel über zwei, drei Minuten, so dass eine Stimmung in die andere übergeht, ohne dass man es richtig merkt.
Wie kam es überhaupt zu dem Projekt „Der andere Weg“?
Barbara Gescher: Wir haben uns vor zwei Jahren mit c.t.201 getroffen und über Projekte nachgedacht, die den normalen Prozess einer Theaterinszenierung umdrehen und mit der Musik als Vorgabe für eine Schauspielinszenierung beginnen. Ich war begeistert, dass ich mir etwas ausdenken darf, was dann als Grundlage für alle anderen dienen soll. Aber da begannen auch schon die Schwierigkeiten. Ich bin Theatermusikerin und konnte mich erstmals nicht von den Bildern und Gedanken der anderen ernähren. Das war spannend, aber auch schwierig.
Die Rivalität zwischen Musik und Text hat ja Tradition in der Musikgeschichte. Wie viel Reiz, wie viel Herausforderung liegt in der neuen Freiheit?
Barbara Gescher: Ich komme vom Theater, insofern habe ich kein Konzertstück komponiert, sondern hatte von Anfang an eine Theatermusik im Sinn, die auch Raum für Dialoge gibt. Sie hat sehr leise Stellen, ist teilweise sehr reduziert, tritt an machen Stellen aber auch in den Vordergrund. Ich habe mich bemüht, stimmungsmäßig nicht allzu viel vorzugeben und die theatrale Ebene im Blick zu behalten, sie teilweise auch in den Vordergrund treten zu lassen.
Katja Winke: Der Reiz für mich lag darin, dass ich unfassbar viel Freiheit habe. Normalerweise bin ich daran gebunden, wenn eine Lichtstimmung geheimnisvoll sein soll, das dann zu erfüllen. Hier hatte ich die Freiheit, es so zu machen, wie ich will. Aber ich habe natürlich darauf geachtet, dass es mit der Musik korrespondiert, die vorher gesetzt war. Und dann habe ich versucht, einen Mittelweg zu finden. Einerseits die Geschichte, die ich in der Musik höre, mit dem Licht wiederzugeben und gleichzeitig den Regisseuren, die nach mir kommen, noch ein bisschen Freiheit zu lassen. Man kann sich von der alten Rolle doch nicht ganz freimachen.
Der Titel des Musikstücks lautet „Diellese“. Was bedeutet das?
Barbara Gescher: Für mich ergibt das natürlich einen Sinn, aber mir ist es lieber, wenn das der Fantasie des Lesers, Betrachters oder Hörers überlassen bleibt.
Haben Sie sich untereinander abgesprochen?
Barbara Gescher: Ich habe Katja die fertige Musik als CD gegeben, und sie hat etwas entwickelt, hat Fragen gestellt, und wir haben uns auch über unsere Geschichten ausgetauscht, während sie noch daran gearbeitet hat. Dabei kam heraus, dass es Berührungspunkte gab, und das fand ich sehr spannend. Ein bisschen Austausch hat es also gegeben, aber nicht substanziell.
Katja Winke: Ich hatte mir mein Konzept überlegt und dann erst mit Barbara gesprochen, ob das irgendwie in ihre Richtung geht. Sie hat das bestätigt, aber wenn sie Nein gesagt hätte, hätte es mich nicht abgehalten, es trotzdem zu machen. Die Übereinstimmung reicht nicht bis in die Einzelheiten, aber es gibt so fünf, sechs Phasen in der Musik, die bei mir emotionale Bilder wie Bedrängnis oder Befreiung ausgelöst haben, und das hat sich einigermaßen gedeckt.
Drei verschiedene Regisseure interpretieren dreimal die gleiche Musik. Verändert sich die Musik dadurch?
Barbara Gescher: Mit Sicherheit. Wenn man zu einer Musik drei verschiedene Bilder zeigt oder einen Stummfilm mit drei verschiedenen Musiken aufführt, da merkt man schon, dass es eine völlig andere Wirkung hat.
Bleibt auf der Bühne trotzdem der Primat der Musik gegenüber dem Spiel gewahrt?
Barbara Gescher: In jedem Fall wird es Momente geben, in denen die Musik deutlich im Vordergrund steht, weil es schwerfallen würde, sie zu übertönen. Es funktioniert natürlich auch, wenn die Stimmung des Stückes mit der Stimmung der Musik übereinstimmt. Wie musikalisch die Inszenierungen werden, kann ich aber natürlich nicht vorhersagen. Jemand hat mal gesagt „Die beste Filmmusik ist die, die man spürt, aber nicht wirklich hört.“ Das halte ich für einen sehr wahren Spruch, der aber für dieses Projekt nicht zutrifft. Ich bin sehr gespannt auf das Ergebnis.
„Der andere Weg“ I Musik: Barbara Gescher, Licht: Katja Winke, Regie: Gerrit Booms, Samuel Horn und Wiebke Kuttner
8. (Premiere)/9./10./11.12., 20 Uhr
Studiobühne 0221 470 45 13
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