Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
11 12 13 14 15 16 17
18 19 20 21 22 23 24

12.582 Beiträge zu
3.809 Filmen im Forum

Raghubir Singh, Rituale in der Tempelanlage von Kali während des Puja-Festes für Durga, Kalkutta, 1987, Farbfotografie, 24,6 x 36,6 cm, Museum Ludwig, Köln, © Succession Raghubir Singh
Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln

Tradition und ihre Gegenwart vor einigen Jahrzehnten

05. September 2022

Raghubir Singh im Fotoraum des Museum Ludwig – kunst & gut 09/22

Die Auswahl ist gut. Jedes einzelne der dreizehn fotografischen Bilder von Raghubir Singh im Fotoraum des Museum Ludwig erzählt eine eigene Geschichte zu Heimat, Tradition, Fortschritt und kulturellem Wandel im Kalkutta der 1960er, 1970er und 1980er Jahre. Die Aufnahmen können nur von jemandem stammen, der in Indien aufgewachsen ist und die Emotionen, Riten und Symbole versteht, aber auch aus einer objektivierenden Perspektive ihre Brüchigkeit und Vergänglichkeit und das Sichtbarwerden der Globalisierung erkennt.

Raghubir Singh war ein Kosmopolit, aber er ist immer wieder in seine Heimat zurückgekehrt. 1942 im indischen Jaipur geboren und 1999 in New York gestorben, arbeitete er als Fotograf für so bildgewaltige Medien wie die New York Times, National Geographic und Life. Er lebte seit den 1970er Jahren in Hongkong und Paris und später in London und New York. In Kolkata, wie Kalkutta seit 2001 wieder heißt, hat er wiederholt fotografiert, wie die Datierungen im Fotoraum anzeigen. Das Format der Fotografien aus dem Bestand der Museumssammlung ist moderat, aber mit dem, was sie festhalten und wie ihnen das gelingt, sind sie spektakulär.

Raghubir Singh, Eine Bräutigam und seine Begleiter,aus der Gemeinschaft der Marwari, Kalkutta, 1968, Farbfotografie, 36 x 24 cm, Museum Ludwig, Köln, © Succession Raghubir Singh, Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln

Raghubir Singh wendet sich dem pulsierenden Geschehen auf der Straße zu, sucht aber auch stille Orte auf. Er zeigt den Handel vor der Börse und weist subtil auf die Spuren des Wahlkampfs, die sich an Hauswänden manifestieren. Vereinzelt tritt er in Häuser ein und tastet so mit der Wirkung von Licht und Schatten, Raumflucht und versperrender Wand ein Musikzimmer ab, das mit Porträts geschmückt ist und eine Hommage an Rabindranath Tagore und die bengalische Renaissance enthält. Auch erweist er sich als großartiger Porträtist, der von nahem sein Gegenüber – den Filmregisseur Satyajit Ray – fotografiert. Auf dem einzigen Hochformat der Ausstellung hat er einen Bräutigam mit seiner Gesellschaft gestaffelt am Fluss Hugli aufgenommen, darüber zieht sich das Stahlgerüst der berühmten Howrah-Brücke in die Tiefe. Immer wieder findet sich ein plötzliches Aufeinanderprallen des „alten“ Indien mit der „neuen“ Gegenwart. Gläubige feiern das Puja-Fest und im Hintergrund fährt ein weißes Auto durch die Szenerie. Einmal ragt ein Arm in das Bild hinein, in einem anderen Bild ist ein Rolls Royce im Vordergrund angeschnitten. Dazu türmt sich das Geschehen im Format auf, betont noch durch trennende Bildachsen.

Eine zentrale Rolle spielt die Farbigkeit, mit der sich Raghubir Singh zugleich gegen das Schwarz-Weiß der westlichen Street Photography positioniert und deren überschauender Distanz das synästhetische „Eintauchen“ in seiner Kultur entgegenstellt, wie er 1998 geschrieben hat: „Diese Zustände, die wesenhaft mit Farbe verbunden sind, haben den Geist Indiens seit jeher beflügelt.“ Zugleich verschmelzen die Raumebenen, alles geschieht auf einer Ebene und wird gleichermaßen Teil der Aufmerksamkeit.

Die Ausstellung endet im hinteren Bereich mit Fotografien, die Henri Cartier-Bresson, auf seiner Indien-Reise 1947 aufgenommen hat. Und so sehr er anfänglich Raghubir Singh geprägt hat – deutlich wird doch vor allem, wie eigen und großartig doch jeder der beiden Fotografen für sich ist.

Raghubir Singh. Kolkata | bis 6.11. | Museum Ludwig | 0221 22 12 61 65

Thomas Hirsch

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Gladiator II

Lesen Sie dazu auch:

Funktion und Kultur
Die „Ladentische“ von Anja Schlamann in der Michael Horbach Stiftung

Lebende Pflanzen in Schwarz-Weiß
Karl Blossfeldt in der Photographischen Sammlung im Mediapark

Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24

Ohne Filter
„Draussensicht“ in der Oase – Kunstwandel 01/24

Ereignisreiche Orte
Simone Nieweg in der Photographischen Sammlung der SK Stiftung im Mediapark – kunst & gut 11/23

Sehen in Lichtgeschwindigkeit
Horst H. Baumann im Museum für Angewandte Kunst – kunst & gut 10/23

Lichterfüllte, funktionale Orte
Lucinda Devlin mit einer Werkschau in der Photographischen Sammlung – kunst & gut 04/23

Formen und Strukturen
Drei Alfred Ehrhardt-Programme im Filmhaus – Film 04/23

Ein Star unter den Fotografierten
Max Ernst auf Fotografien in seinem Museum in Brühl – kunst & gut 03/23

Orte in der geformten Landschaft
Sammlungspräsentation Teil 2 der SK Stiftung Kultur – kunst & gut 10/22

Sammlung ordnen
Porträt, Landschaft und Botanik in der Photographischen Sammlung – kunst & gut 06/22

Die Blässe des Meeres
Marzena Skubatz im Fotoraum Köln – Kunst 03/22

Kunst.

Hier erscheint die Aufforderung!