choices: Herr Malzacher, Sie haben die Impulse unter das Motto „Under the influence“ gestellt. Warum braucht ein Festival, das eine Auswahl der besten Produktionen der Freien Szene präsentiert, einen thematischen Fokus?
Florian Malzacher: Die Freie Szene ist eine künstlerisch sehr avancierte Szene, und es geht uns nicht darum zu beurteilen, ob die eine eher eine gute, die andere eine schlechtere Arbeit ist. Uns geht es darum, dass die unterschiedlichen Produktionen in einen künstlerischen, einen ästhetischen und einen inhaltlichen Dialog eintreten. Unser Fokus „Under the influence“ist allerdings kein Rahmen, den wir um alles herumlegen, sondern ein Angebot, wie man auf die Arbeiten schauen kann.
Was ist mit „Under the influence“ gemeint?
Es war uns wichtig zu hinterfragen, was es bedeutet, ein Festival mit Produktionen aus dem deutschsprachigen Raum zu machen. Gibt es etwas Spezifisches bei den Arbeiten, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz entstehen? Zu den Zeiten von Dietmar N. Schmidt, dem Gründer der Impulse, sind die Gruppen wenig getourt, es gab kaum internationale Koproduktionen. Das hat sich völlig verändert. Dadurch stellt sich die Frage der kulturellen Eigenständigkeit nochmal anders. Dass wir einen englischen Titel haben, ist natürlich Teil des Spiels. Uns hat interessiert, dass Identität nicht rein ist, sondern permanent unter dem Einfluss von etwas steht und konstruiert wird. Darauf legen wir den Fokus. Das reicht vom großen Geschichtsbogen bis zu einer ganz privaten Lesart. Von Yael Batanas „Zwei Minuten Stillstand“ über die Rolle des Nationalsozialismus für die Identität in Deutschland bis zu „Something for the fans“ von Damien Rebgetz, dessen akustische Wahrnehmung geprägt ist vom Geräusch der Deckenventilatoren in Australien. Wichtig dabei ist, dass beide Künstler in Deutschland leben. Wir haben nur Künstler eingeladen, die ihren Lebensmittelpunkt hier haben. Gleichzeitig wollen wir zeigen, dass auch israelische, dänische, polnische, australische Passinhaber die Realität unserer Identität mitbestimmen. Schließlich ist ein Fokus auch pragmatisch hilfreich, weil sehr viele internationale Kollegen, dazu 30 Leiter von Goethe-Instituten, zu Impulse kommen, um sich einen Überblick zu verschaffen, was hier gerade ästhetisch passiert.
Gibt es denn Übereinstimmungen zwischen den deutschsprachigen Produktionen, abgesehen von der Sprache?
Die Sprache ist natürlich zentral, wobei einige Arbeiten nicht Deutsch, sondern Englisch benutzen. Gemeinsame Prägungen entstehen weniger in der Ästhetik, eher aus den Strukturen. Das Gießener Institut für Angewandte Theaterwissenschaft hat mit seinem konzeptuellen Umgang mit Theater bis heute einen großen Einfluss auf die deutschsprachige Freie Szene. Mit She She Pop, Showcase Beat Le Mot, Cecilie Ullerup Schmidt und Hofmann & Lindholm sind vier Gruppen dabei, die in Gießen studiert haben. So unterschiedlich die Arbeiten daherkommen, ihnen gemeinsam ist ein Interesse, das Theater immer auch zu dekonstruieren und zu sehen, wie es funktioniert. Das Grazer Theater im Bahnhof wiederum ist eine Gruppe, die sich stark mit der eigenen Umgebung und Provinzialität auseinandersetzt. Das führt zur anderen Frage: Sind die kommunalen Prägungen nicht stärker als die nationalen?
Neu ist auch, dass Impulse erstmals bei vielen Produktionen als Koproduzent auftritt.
In der kulturpolitischen Situation, in der sich viele Gruppen befinden, wollten wir auch investieren. Doch Koproduzieren heißt nicht nur, Geld rüberzuschieben. Wir wollten auch das Entstehen von Produktionen ins Auge fassen. Und es geht auch darum, dass das Festival sich mit den Orten auseinandersetzt, an denen es stattfindet. Wir haben einerseits zwei kleine Premieren von dem schon erwähnten Damien Rebgetz und auch von Tamar Yigit („Revolution Vakuum“) koproduziert. Wir lassen aber auch Bernadette La Hengsts Produktion „Bedingungsloses Grundeinsingen“, das bereits Premiere hatte, für Bochum neu erarbeiten, weil es dort derzeit mehr Sinn macht, über Arbeit nachzudenken.
Ein großes Problem der Impulse ist die Festivalatmosphäre. Wie lassen sich die vier beteiligten Städte Köln, Düsseldorf, Mülheim und Bochum miteinander verbinden?
Die Arbeiten werden nicht mehr touren wie in den letzten Jahren, sondern nur noch in einer Stadt zu sehen sein. Wenn man also alles sehen will, muss man sich bewegen. Man hat keine Wahl. Es wird wieder Bustouren geben, die als sogenannte „Bildungsreisen“ von dem Autor Thomas Meinecke, der Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken, dem RegisseurBranko Šimić oderdem Künstler Phil Collins begleitet werden. Zugleich werden das Festivalzentrum und die Theaterarbeit „Chez Icke“ von Gesine Danckwart in jeder Stadt mit neuen Leuten aufgebaut, und sie sollen sich dann virtuell mit den anderen Orten verschränken.
Schließlich soll es ein umfangreiches Beiprogramm geben.
Impulse hat über die Jahre die Rolle eines Lobbyisten für die Freie Szene bekommen. Das halten wir für sehr sinnvoll und wollen dieser Aufgabe durch zwei Dinge gerecht werden: Zum einen sollen fortlaufend Texte im Internet veröffentlicht werden, die inhaltlich über Freies Theater als Kunstform, aber auch seine kulturpolitischen Bedingungen, seine Finanzierungsmodelle etc. reflektiert. Zum anderen wollen wir den Startschuss für ein Video-Archiv der Freien Szene geben, das es noch nicht gibt. Der Tanz ist da schon wesentlich weiter. Da ein solches Archiv nicht so schnell auf die Beine zu stellen ist, werden wir damit beginnen, die Festival-Produktionen der letzten 22 Jahre zur Verfügung zu stellen. Schon das wird schwierig genug, da selbst Impulse über kein Archiv der bisher gezeigten Arbeiten verfügt. Damit wollen wir mehr eine explizite Plattform für die Freie Szene werden.
„Impulse Theater Biennale 2013“ | www.festivalimpulse.de
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