Am Samstag feierte das auf der skurril-verschrobenen Comic-Trilogie von Nicolas Mahler basierende Stück „Flaschko – der Mann in der Heizdecke“ im voll belegten Theater im Bauturm seine Uraufführung. Mit den ausdrucksstarken Gesichtern der Hella von Sinnen und des in einer Heizdecke verpuppten Thomas Hackenberg finden die Comic-Figuren hier ihre menschlichen Entsprechungen.
Frau von Sinnen mimt die meist von edlen Tröpfchen angetüdelte Mutter, welche sich Psychopharmaka wie Erdnüsse in den Hals schnipst. Ihr vermutlich einziger Sohn, der 40-jährige Flaschko (den echten Namen hat sie vergessen), ist ein Hänger vor dem Herrn und kommt einfach nicht mehr aus seiner schützenden Heizdecke heraus – vermutlich war er noch nie ohne sie.
Flaschkos Welt ist der Fernseher, welcher ihn mit Reisesendungen und Schmuddel-TV unterhält und befriedigt. Es wirkt als wäre das TV-Gerät seine Lebensquelle. So wendet Thomas Hackenberg nur im zwingenden Notfall den Blick von der Mattscheibe ab und gibt in seinem Gesicht viel Raum für die mimische Verarbeitung der im Fernsehgerät gesehenen Inhalte. Noch nie hat er das Haus seiner Mutter verlassen und hat dies auch nicht vor. Die abgestandene Luft ist ihm der beste Freund. Sie ist ein Teil von ihm. „Man hat ja schon so viel zusammen erlebt!“
Sein größter kreativer Auswurf aus vier Jahrzehnten Lebenszeit sind drei Seiten Tagebuch, in welchen es – oh Wunder – um die Frau Mama geht und die Wichs-Taschentücher, die regelmäßig aus seiner Heizdecke zu Boden fallen. Ohne Kommentar werden diese von seiner Mutter entsorgt, welche sich mit Fengshui und einem Ebay-Account von der Tristesse ihres Daseins ablenken und ihrem Leben zumindest etwas Schwung geben will. Ihr Einsatz für ein besseres Leben zeigt sich im Besuch einer Psychotherapie, dem Versuch einen Hamster-Krimi zu schreiben oder in den Bemühungen ihren Sohn doch noch an ein krankes Mädchen aus dem Krankenhaus zu verschachern. Denn kranke Mädchen seien ja nicht so wählerisch. Frau von Sinnen lässt – zu ihrer Mutter-Rolle passend, jedoch nie zu dick aufgetragen – ihren lecker Kölschen-Dialekt in die Fast-Monologe der Likörchen kippenden Mutter einfließen.
Nie aufgeben – das ist die Attitüde der von Schicksal gebeutelten Antihelden aus den Comicbänden „Dämon Damenlikör“, „Die Staublunge“ und „Die Müllsekte“, mit denen der 1969 in Wien geborene Zeichner und Comic-Autor Nicolas Mahler den komischen Nerv der Zeit trifft. Die Charaktere aus den Mahlerschen Sitzmelodramen sind wahrer „Minimahlismus“ – radikal reduziert gezeichnet. Auf der Kölner Bühne mit Mustertapete und Schnick-Schnack-Deko werden sie sehr persönlich. Man spürt förmlich die Wärme der Heizdecke, in der Thomas Hackenberg die komplette Zeit verharrt, die jedoch – mit der Dauer des Stückes – fast zu einer bedrückenden Hitze wird. Kommt der denn da wirklich niemals raus?
Dem einen gefällt´s, dem anderen nicht. Eine kritische Stimme fragt, ob Frau von Sinnen denn nicht mehr als drei Gesichtsausdrücke abspielen könne. Laurenz Leky, Theaterleiter des Baumturms, mag den leisen Humor des Stückes und dass den existenziellen Fragen des Lebens mit feinem Humor begegnet werde. Kluge Figuren, mit wenigen Worten, statt Schenkelklopfer-Humor. Christoph Gottwald inszeniert die von ihm für die Bühne adaptierte Mutter-Sohn-Auseinandersetzung über „die großen Themen: Geburt, Liebe, Einsamkeit, Sucht, Existenzangst, Krankheit und Tod“. Das Stück hat seine starken (Staubsauger-Tanz) und wenige zähe Momente. Wohltuend ist die dem Comic zugrunde liegende Lebenseinstellung der Charaktere, die niemals heulen, sondern sich eher der Kölschen „Et kütt, wie et kütt“-Etikette verpflichten und einfach weitermachen, auch wenn et nit immer jot jejange hätt.
„Flaschko – der Mann in der Heizdecke“ | R: Christoph Gotthold | 9.2., 10.2., 16.2., 17.2. 20 Uhr | Theater im Bauturm | 0221 52 42 42
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