Gerrit Booms und Tim Mrosek über ihre Arbeit an der Produktion „Irgendwas mit Medien“, die am 2.2. Premiere auf der Kölner Studiobühne hat.
choices: Herr Mrosek, Herr Booms, der Titel der Produktion lautet „Irgendwas mit Medien“. Welche Medien sind gemeint?
Tim Mrosek: Unser Hauptaugenmerk liegt auf den sogenannten Neuen Medien, also Internet, Sozialen Netzwerken und all den großen Internetseiten wie Google und Facebook, die inzwischen alle Unternehmen sind.
Wie lässt sich die Funktion dieser Sozialen Netzwerke beschreiben?
Mrosek: Soziale Netzwerke dienen in erster Linie der Dokumentation des eigenen Lebens, und das ermöglicht viel Kreativität. Diese Kreativität führt aber eher dazu, dass man sich eine Scheinexistenz aufbaut. Facebook ermöglicht es, alle akuten Probleme, die jemanden beschäftigen, ins Netz zu stellen. Man bekommt ein paar Kommentare dazu, die wirkliche emotionale Verarbeitung findet aber nicht statt.
Gerrit Booms: Plattformen wie Facebook können nur erfolgreich sein, weil ein Bedürfnis da ist. Aktualität, Teilhabe und Voyeurismus spielen dabei auch eine Rolle. Facebook nutzt das aufs Cleverste und sendet den Usern unter dem Schein des normalen Profils gezielt Werbung als auch Informationen über die Leute zu, zu denen man Kontakt hat. Für die meisten User geht es nicht darum, den eigenen Alltag zu strukturieren oder zu gestalten, sondern wahrgenommen zu werden und emotionale Lücken zu füllen. Damit beschäftigt sich unser Projekt.
Woher rührt das Defizit, nicht angemessen wahrgenommen zu werden?
Booms: In der Generation der User gibt es keinen übergeordneten großen Konflikt mehr. Wir selbst sind an der Schnittstelle zwischen den Digital Natives und den Digital Immigrants aufgewachsen, also denen, die mit dem Computer groß geworden sind, und denen, die sich das alles aneignen mussten. Wir haben uns mehr oder weniger bewusst und freiwillig in die Isolation, die das Internet mit sich bringen kann, hineinbegeben. Es ist einfacher und bequemer, alles von zu Hause über E-Mail, Chat, Skype zu besprechen oder zu organisieren. Man schottet sich so natürlich von seinem sozialen Umfeld ab.
Hat sich der alte Gegensatz von privat und öffentlich aufgelöst?
Mrosek: Facebook ist nichts anderes als die Typenbücher früher in der Schule, in die man seine Musikvorlieben etc. eingetragen hat. Das wurde durch die Sozialen Netzwerke leichter, aber auch ins Extrem getrieben. Im Endeffekt wird der Bereich des Privaten dadurch immer kleiner.
Booms: Es gibt Leute, die Dinge mit dreihundert, vierhundert Leuten im Internet teilen und das trotzdem noch für privat halten. „Irgendwas mit Medien“ handelt auch von der Frage, was ich sagen darf und sagen kann, und in welchem Kreis ich das tun sollte.
Wie verlief die Recherche?
Mrosek: Wir haben ein Jahr lang Material gesammelt. Es ging nicht nur um Soziale Netzwerke, sondern auch um die Berichterstattung über Google oder Phänomene wie Skimming, also den Betrug an Geldautomaten. Bei den Proben haben wir dann überprüft, was das mit uns zu tun hat, und wie die Berichterstattung sich mit unserem Standpunkt als Generation abgleichen lässt. Da stellte sich die Frage: Begreift man sich als jemand, der sein Leben lebt und Soziale Netzwerke benutzt. Oder als jemand, der nur mit Hilfe sozialer Netzwerke sein Leben lebt.
Ist die Unterscheidung zwischen real und virtuell überhaupt noch haltbar?
Mrosek: Man kann den Begriff virtuell eigentlich nicht mehr benutzen. Natürlich ist das Internet real. Wenn ich mich um einen Job bewerbe, dann werde ich gegoogelt. Man findet mein Facebook-Profil und schaut sich meine Fotos an. Der potentielle Arbeitgeber sieht vielleicht, dass ich auf sechzig von hundert Fotos betrunken bin, und überlegt es sich noch einmal. Offensichtlich ist den meisten Usern nicht bewusst, dass ihre Daten negative Auswirkungen für sie haben können. Das sind die Reibungsflächen, die uns interessieren.
Geht es bei Facebook auch darum, eine Identität zu konstruieren?
Booms: Jeder versucht, sich in einer möglichst schönen Variante darzustellen, über Fotos oder Infos zum Musikgeschmack oder Restaurants, die man besucht. Ich glaube, dass es vor jedem Klick die Überlegung gibt, was sagt das über mich aus. Insofern konstruieren die User ein Bild von sich, ohne dass sie damit schon eine Kunstfigur schaffen wollen.
Wo liegt die Gefahr?
Mrosek: Die Daten, die einmal im Netz stehen, bleiben auch da. Das Netz vergisst nicht.
Booms: Wenn Google in fünf Jahren die Gesichtserkennung fürs IPhone 10G rausbringt, mich jemand im Café dann abfotografiert und das Netz befragt, wer ich bin, steht da alles drin, was ich jemals eingegeben habe.
Wie lässt sich das auf die Bühne bringen?
Booms (langes Schweigen): Natürlich ist es interessant, digitale oder virtuelle Phänomene in die direkte menschliche Interaktion des Theaters zu übertragen. Jeder Zuschauer hat irgendeine Vorstellung, was „Irgendwas mit Medien“ im theatralen Raum sein könnte. Mit dieser Erwartung wollen wir spielen.
Mrosek: Es gibt eine gewisse Linearität im Erzählen. Es ist der Versuch, die verschiedenen Aspekt von Kommunikation und wie sie sich verändert hat, auf die Bühne zu bringen. Wir machen kein dokumentarisches Theater und liefern Erfahrungsberichte von einzelnen Personen. Es werden eigene Erfahrungen vorkommen, die allerdings nicht als individuelle gekennzeichnet sind. Oder: Es wird unter anderem um Kinderpornos gehen. Dabei stellen wir nicht die Frage, warum die Täter solche Monster sind, sondern fragen ironisch, warum die Opfer solche Idioten sind und Informationen über sich ins Netz stellen ...
Booms: … ohne die die Macht darüber zu haben, wer darauf aufmerksam wird. Im Falle von Kinderpornos also, dass der Nachbar das sehen und als Vorlage für seine Perversionen nutzen kann. Das ist ein Beispiel für Räume im Internet, die von der Gesellschaft gerne verschwiegen werden und bei denen die Politik glaubt, mit einem Stoppschild etwas ändern zu können.
„Irgendwas mit Medien“ I studiobuehne.ensemble I R: Gerrit Booms und Tim Mrosek I Studiobühne I 2.(P)/3.-6./23.-27.2., 20 Uhr I 0221 470 45 13
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