Öllers und Niederländer, diese Männer ohne Vornamen, sind Unternehmensberater und Zwangsneurotiker der härtesten Sorte. Eine Existenz ist für beide nur in ihrem Beruf möglich. Sie sanieren und optimieren, zerschlagen Unternehmen und streichen Arbeitsplätze. Ansonsten beschäftigt Öllers (Sebastian Schlemmer) nur seine esoterisch angehauchte Frau, mit der er in einer Tour am Telefon streitet. Ihre Beziehung wird nur durch die Sorge um den schwer an Neurodermitis erkrankten Sohn zusammengehalten. Zur Kompensation vögelt er hin und wieder eine Hotelangestellte. Niederländer (Matthias Lühn) hingegen ist ein Soldat des Kapitalismus, der es schafft, in 34,4 Sekunden seinen Koffer im Dunkeln zu packen. Ansonsten schikaniert der armselige Hypochonder mit Vorliebe das Personal. Als dem Macho-Team sich dann Bianca März (Katharina Waldau) anschließt, deren soziale Ader die Herren tierisch nervt, kommt Dynamik ins Spiel. Denn März’ wahre Mission lautet: Sie soll die Männer evaluieren und einen von ihnen der Company als Partner vorschlagen. Von da an kreisen die die Kannibalen umeinander herum, was ein ziemlicher Spaß ist.
Regisseur Heinz Simon Keller ist mit „Zeit der Kannibalen“ eine schnörkellose und gradlinige Adaption des gleichnamigen Films von Johannes Naber und Stefan Weigl gelungen. Dabei kann er auf ein tolles Ensemble bauen, das sich auf der Bühne nichts schenkt und Vollgas gibt. Das Resultat ist ein groteskes Kammerspiel über den Raubtierkapitalismus, dessen Protagonisten als arme Würste entlarvt werden, die von nichts als Gier und der Angst vorm Statusverlust getrieben werden. Die eingespielten Videos (Christoph Stec) mit dieser eigentümlichen 1990er-Playstation-1-Ästhetik muten zwar zunächst ein bisschen gestrig an. Aber das eckige Ruckeln und Zuckeln hat Charme und Parabelpotenzial auf das Falschspiel des Kapitalismus. Am Ende zaubert Keller noch einen Gänsehautmoment: Draußen, hinter den Hotelzimmerfensterscheiben versinkt die Welt in Krieg und Chaos. Doch das Flakfeuer wird zum gigantischen Feuerwerk und Wolf Biermann singt seinen Evergreen „Das kann doch nicht alles gewesen sein“.
„Zeit der Kannibalen“ | R: Heinz Simon Keller | 11., 20.1. 20 Uhr, 28.1. 18 Uhr | Theater der Keller | 0221 31 80 59
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Die Zukunft lauert im Egoisten
„Der ewige Spiesser“ am Theater der Keller – Auftritt 04/25
Nach Entlassung des Intendanten
Das Kölner Theater der Keller mit neuer Führung – Theater in NRW 04/25
„Ich erwische mich dabei, Stofftaschentücher zu bügeln“
Regisseur Sebastian Kreyer und Schauspieler Daniel Breitfelder über „Der ewige Spiesser“ am TdK – Premiere 03/25
Totale Berührung
„Do not touch!“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 03/25
Schussbereite Romantik
„Der Reichsbürger“ in der Kölner Innenstadt – Auftritt 01/25
Fluch der Stille
„Ruhestörung“ am TdK – Theater am Rhein 12/24
Biografie eines Geistes
„Angriffe auf Anne“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 11/24
Bis der Himmel fällt
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 09/24
Der Witz und das Unheimliche
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Prolog 08/24
Schöpfung ohne Schöpfer
Max Fischs Erzählung „Der Mensch erscheint im Holozän“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 05/24
„Wir wissen nicht viel über das Universum“
Ronny Miersch inszeniert „Der Mensch erscheint im Holozän“ am TdK – Premiere 04/24
Einstürzende Bergwelten
„Monte Rosa“ am Theater der Keller – Prolog 02/24
Der Mensch als Scherbe
„Der zerbrochene Krug“ am Horizont Theater – Theater am Rhein 03/25
De Rach vun der Fleddermus
„De Kölsche Fledermaus“ an der Oper Köln – Theater am Rhein 02/25
Das Ende der Herrlichkeit
„Der Fall Ransohoff “ am Orangerie Theater – Theater am Rhein 02/25
Überladenes Gezwitscher
Elfriede Jelineks „Am Königsweg“ und „Endsieg“ in Bonn – Theater am Rhein 02/25
Licht in der Finsternis
„Brems:::Kraft“ in Köln und Mülheim a.d. Ruhr – Theater am Rhein 01/25
Ausweg im Schlaf
„Der Nabel der Welt“ in Köln – Theater am Rhein 01/25
Klamauk und Trauer
„Die Brüder Löwenherz“ in Bonn – Theater am Rhein 01/25
Ein Bild von einem Mann
„Nachtland“ am Theater Tiefrot – Theater am Rhein 12/24
Im Land der Täter
„Fremd“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 12/24
Das Mensch
„Are you human“ am TiB – Theater am Rhein 12/24
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24