Die Meinungen waren einhellig: „Die lächerliche Finsternis“ wurde nicht nur zum Theatertreffen nach Berlin oder zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen – in der Fachzeitschrift „Theater heute“ erhielt es die Auszeichnung „Stück des Jahres“. Eigentlich hatte Wolfram Lotz das Stück zunächst als Hörspiel konzipiert, doch die Theater konnten dem Stoff nicht widerstehen. Er nimmt Bezug auf Joseph Conrads „Heart of Darkness“ und den Film „Apocalypse Now“ und schildert die Suche der deutschen Soldaten Pellner und Dorsch nach dem verschollenen Kameraden Deutinger im afghanischen Hinterland. Gerahmt wird die Geschichte von der Erzählung eines somalischen Piraten von seinem Überfall auf ein Schiff und den Verlust seines Freundes. Lotz‘ erzählt von Krieg, Gewalt und Kolonialismus und der Unfähigkeit, das Fremde zu verstehen oder überhaupt nur wahrzunehmen. Ein Gespräch mit Martin Schulze über seine Inszenierung am Theater der Keller.
choices: Herr Schulze, was ist so lächerlich an der Finsternis in Wolfram Lotz‘ Stück?
Martin Schulze: Es ist ein Anliegen des Autors, sich auf dem Theater mit dem Thema Krieg zu beschäftigen und dem auch gerecht zu werden. Wenn ich allerdings versuche, mit den Mitteln, die ich hier habe, von dem Standpunkt aus, auf dem ich mich befinde, mit den Bildern, die mir zum Thema eingeschrieben sind, dafür einen Ausdruck zu finden, dann ist dieses Unterfangen möglicherweise lächerlich. Nichtsdestotrotz muss es unbedingt versucht werden.
Warum muss es versucht werden?
Weil wir es nicht lassen können, uns mit dem Thema Krieg auf dem Theater zu beschäftigen. Ich zitiere Wolfram Lotz: „Weil er (der Krieg) stattfindet und alle wissen, dass er mit uns hier sehr viel zu tun hat, und trotzdem ist er hier ganz abstrakt. Der Krieg ist aber auch so interessant, weil er der Extremfall für die Kunst ist. Er ist das, was nicht dargestellt werden kann. Ein Film, ein Roman oder Stück über den Krieg ist auf die aller extremste Weise nicht der Krieg selbst. Zugleich ist der Krieg das, worüber gesprochen werden muss, ganz unbedingt, weil die Leute, die sich im Krieg befinden, die unter ihm leiden die Solidarität der Kunst brauchen. Das ist natürlich ein riesiger Widerspruch, aber es muss trotzdem versucht werden, obwohl es nicht machbar ist. Weil über den Krieg zu erzählen immer zugleich eine Verharmlosung ist.“
Um welche eingeschrieben Bilder geht es?
Es geht um die Bilder, die wir mit uns herumtragen, wenn wir über so ein Thema nachdenken. Und um die Frage unter welchem medialen Einfluss wir uns unsere Meinungen bilden, die dann dazu dienen, zu bestimmten Themen wieder Meinungen zu formulieren, um sich schließlich – eventuell – auch Handlungsmöglichkeiten auszudenken. Die Bundeswehrsoldaten Pellner und Dorsch reisen mit dem Schiff den Hindukusch in Afghanistan entlang. Es wird im Text erwähnt, dass der Hindukusch angeblich ein Gebirge sei, aber Pellner ist vor Ort gewesen und weiß, dass es ein Fluss ist. Später begegnen die beiden dem Händler Stoiković, der vom Krieg erzählt. Dieser Krieg ist allerdings der Jugoslawien-Krieg. Lotz fügt also unterschiedliche Wahrnehmungsfragmente zu einer Geschichte zusammen und macht zugleich deutlich, dass viele Dinge eigentlich nicht an diesen Ort gehören. Indem er verschiedene Einflüsse, Bilder, Bewertungen, Geschichten, Täter und Opfer übereinander blendet, beschreibt er die Ohnmacht gegenüber einer „Realität“, die es immer wieder neu wahrzunehmen und einzuordnen gilt.
Merkt man dem Stück von Lotz an, dass es als Hörspiel konzipiert wurde?
Ja. Der Autor hat freundlicher- und hinterhältigerweise am Anfang des Textes den Interpreten nahegelegt, bei der Bühnenbearbeitung Fremdtexte einzufügen und Änderungen vorzunehmen. Allerdings ist der Text so wie er ist von einer gewissen Schlüssigkeit. Gemeint ist von Lotz vermutlich die Übertragung der hörspielspezifischen Anweisungen auf die Bühne. Er spielt im Hörspiel damit, dass eben keine Bilder da sind. Dafür muss man Übersetzungen finden.
Wie sinnlich ist der Text von Lotz, wie viel muss man dazutun?
Wenn man viel epischen Text auf der Bühne hat, steht man immer vor der Frage, wie man das „spielt“. Wir haben eine Grundsetzung, die es möglich macht, dass man auch ein Stück weit „nur“ erzählt. Es ist eine Mischung aus Livehörspiel und Laborsituation oder Versuchsanordnung, aus der heraus Pellner seine Erinnerungsbilder generiert. Dorsch ist bei uns nicht nur der Mitfahrer auf dem Boot, sondern der technische Assistent für die Erinnerungsmaschine. Insofern gibt es Momente im Stile eines Livehörspiels, in denen eine realistische Atmosphäre zugespielt, d.h. eine Realität vor unseren Augen künstlich hergestellt wird.
Nimmt man sich als Regisseur bei den Bildfindungen zurück, gerade weil es thematisch ums Bildermachen geht?
Man muss schauen, ob das erzählte Bild für die Situation auf der Bühne ausreicht. Es wird ständig erzählt, was geschieht. Das hat hier aber einen besonderen Reiz, vor allem weil Pellner keine vertrauenswürdige Person hinsichtlich des Wahrheitsgehalts seiner Erzählungen ist. Inwieweit kann ich ihm glauben, wenn z.B. der UN-Blauhelmsoldat Lodetti etwas völlig anderes als wiedergespiegelte Realität anbietet? Damit kann man spielen.
Spielen dann die Vorlagen von Conrad und Coppola überhaupt noch eine Rolle?
Anfangs war ich skeptisch dem Text gegenüber, weil ich ihn für wahnsinnig ironisch hielt. Das war ein Irrtum. Der Text hat zwar einen hohen Grad an Skurrilität, ist aber nicht ironisch. Dahinter verbirgt sich eine Sehnsucht des Autors, eine Sehnsucht nach einer veränderbaren Wirklichkeit. Ein Stück weit ist Wolfram Lotz auch ein Utopist. Glaube ich. Der Film „Apocalypse Now“ war für mich in meiner Jugend von großer Bedeutung, und ich hielt das Stück daher zunächst für eine Majestätsbeleidigung. Das hat sich in der Beschäftigung mit dem Text und seiner Qualität völlig verändert. Natürlich spielen die Vorlagen eine Rolle. Aber sie ragen nicht in die Inszenierung hinein.
„Die lächerliche Finsternis“ | R: Martin Schulze | Do 26.11.(P), Mi 9.12., Fr 18.12. je 20 Uhr, So 29.11., So 13.12. je 18 Uhr | Theater der Keller | 0221 27 22 09 90
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