Wer im Fußball ein Heimspiel hat, hat es in der Regel gut, denn er bewegt sich auf vertrautem Terrain. Das müsste eigentlich auch für Theater gelten, doch haben sich Spielpläne, Schauspielensembles und Regiebesetzungen in den letzten Jahrzehnten zu einem weitgehend austauschbaren Wanderzirkus entwickelt. Köln oder Dresden, Hamburg oder München, das macht heute kaum noch einen Unterschied. Mit dem demographischen Wandel, der Integration sowie der Legitimation im budgetären Verteilungskampf begannen die Theater sich auf ihre Herkunft zu besinnen. Und die liegt in erster Linie in der Stadtgesellschaft samt ihren sozialen Praktiken. Theaterprojekte begannen sich mit der urbanen Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Es wurde recherchiert; Laien betraten die Bühne; dramaturgische Erzählmuster lösten sich auf ins Dokumentarische, in Songs und Interviews.
Seit 2006 unterstützt die Kulturstiftung des Bundes mit ihrem Fonds „HEIMSPIEL“ solche Projekte, aus denen Kuratorin Berit Schuck jetzt einige für das Festival „Heimspiel 2011. Wem gehört die Bühne?“ in Köln ausgewählt hat: „Für das Festival habe ich mir die Aufgabe gestellt, nach fünf Jahren „Heimspiel“-Fond Bilanz zu ziehen und zu fragen, was in der Zeit entstanden ist und wie es weiter geht. Weil die Entwicklung nicht auf Deutschland, das Stadttheater oder die freie Szene beschränkt ist, sondern auch Bühnen in Belgien, Großbritannien oder den Niederlanden umfasst, werden wir das auch international reflektieren.“
So ist in Köln die Jenaer Produktion „Der dritte Weg. Eine theatrale Demonstration“ zu sehen, die als site specific-Projekt nach den Spuren der Demonstrationen von 1989 sucht. Obwohl hier die Authentizität des Ortes eine große Rolle spielt, sieht Berit Schuck darin kein Problem:
„Ich habe zum Festival nur Produktionen einladen, die formal oder thematische etwas mitbringen, was auch in Köln funktionieren kann. Bei „Der dritte Weg“ wurde eine Form gefunden, der den eigentlich lokalspezifischen Stoff so erzählt, dass mehr Leute als nur die Betroffenen erreicht werden. Die Produktion stellt die Frage, wie sich Menschen politisieren, wann sie auf die Straße gehen. In Köln gibt es durch Vorfälle wie den U-Bahnbau, das eingestürzte Stadtarchiv, die Sanierung des Schauspielhauses eine starke bürgerlich-politische Kultur, die Ausdruck in einem Bürgerbegehren oder einem Karnevalswagen findet.“
Die Form der Produktion von Nina Gühlstorff und Dorothea Schroeder erweist sich dabei als offenbar so flexibel, dass sie eine Übertragung in einen völlig neuen Spielort wie das Kölner Rathaus auch inhaltlich mit vollziehen soll. Ganz anders die Produktion „Trollmanns Kampf“ über den sinto-deutschen Boxer Johann ‚Rukeli’ Trollmann aus Hannover, der 1933 deutscher Meister wurde. Als die Nazis ihm den Titel aberkannten, trat er aus Protest mit blonder Perücke in den Ring und ließ sich ohne Gegenwehr niederschlagen. Trollmann wurde später im KZ Neuengamme ermordet. In der Produktion aus Hannover wird seine Geschichte von jungen Sinti und Roma in Form einer Radioshow erzählt, in die die Laiendarsteller immer wieder ihre eigene Alltagsgeschichte einfließen lassen. Dramaturg und Autor Björn Bicker, der das Projekt zusammen mit Regisseur Marc Prätsch erarbeitet hat:
„Trollmann funktioniert auch als Teil einer kollektiven Geschichte der Sinti. Die Sinti haben ein starkes Zusammengehörigkeitgefühl, das mit dem äußeren Druck, mit der Verfolgung und dem Völkermord im Dritten Reich zu tun hat. Nach dem zweiten Weltkrieg hat die BRD die alten Gesetze weitgehend übernommen. Was den Sinti als Identität blieb, war zunächst ihre Sprache, das Romanes. Sie verfügen über keine Schrift-, sondern vor allem eine mündliche Kultur. Und da spielen Geschichten eine große Rolle, auch die von Rukeli Trollmann. Den meisten Jungen und Alten, mit denen wir gesprochen haben, war Trollmann ein Begriff.“
Die Arbeit mit den jungen Sinti, so Björn Bicker, war allerdings nicht einfach, die Erfahrung einer 600-jährigen Geschichte aus Unterdrückung und Verfolgung lässt sich nicht abschütteln:
„Da waren ein großes Misstrauen und eine große Reserviertheit zu spüren, weil die Leute sehr schlechte Erfahrungen mit den Gadschen, also allen Nichtsinti, gemacht haben. Immer wieder wurden uns die Fragen gestellt: Was habt ihr denn für ein Interesse an unserer Geschichte? Warum macht ihr euch eine Geschichte von einem Sinti zu Eigen? Als dann klar war, dass wir
das mit ihnen zusammen erzählen wollen, war das der Schlüssel.“
Kombiniert werden die beiden deutschen Produktionen mit Gastspielen aus dem europäischen Ausland, die ein Impuls für hiesige Theatermacher sein sollen, auch in neue Richtungen zu denken, so Kuratorin Berit Schuck:
„In Heimspielproduktionen wirken oft 10, 20 oder 30 Personen auf der Bühne mit. Ich habe die englische Produktion „Susan & Darren“ eingeladen, in der nur zwei Darsteller auf der Bühne stehen. Man ist zu Gast im Wohnzimmer von Susan und Darren, Mutter und Sohn, die trotz des Alterunterschieds immer noch zusammen wohnen. Als Zuschauer ist man bei ihnen zu einer Party eingeladen, tritt aber zu ihnen in unterschiedlichste Verhältnisse.“
In der belgisch-irischen Produktion „Fuck my Life“ dagegen erzählen irische Jugendliche in einer Performance mit Hilfe von nachgestellten Filmszenen, Videos und Bekenntnissen von ihrem Alltag und ihren Hoffnungen. Alain Platel und les ballets C de la B wiederum arbeiten in „Gardenia“ mit älteren Transvestiten und Transsexuellen zusammen. Ergänzt wird das „Heimspiel“-Festival schließlich durch ein dreitägiges hochkarätig besetztes (leider schon ausverkauftes) Symposium, das die Folgen dieser neuen Produktionsformen für den konventionellen Stadttheaterbetrieb, aber auch die freie Szene zu diskutieren versucht – und das Modelle vorstellt, wie das Theater der Zukunft aussehen könnte.
„Heimspiel 2011. Wem gehört die Bühne?“
Schauspiel Köln, Kölnischer Kunstverein, Halle Kalk, Antoniterkirche, Schlosserei, Rudolfplatz (U-Bahn)
30.3. - 3.4.
0221 22 12 84 00
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