Das letzte Mal Silvester in der Kleingedankstraße, zwei Aufführungen des autobiografischen Joachim-Meyerhoff-Romans um 18 und um 21 Uhr mit Sekt und allem: So wirft das Abhandenkommen des Hauses in diesem Jahr wieder seinen Schatten voraus. Immerhin, Intendant Heinz Simon Keller, der die Karten abriss und während des Schlussapplauses an die Bühne stürmte, ist trotz Unsicherheiten „guter Dinge“, was eine Lösung für das Theater angeht.
Die Uraufführung „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ war im Dezember eine der letzten Premieren, mit Markus J. Bachmann („Clockwork Orange“) in der Rolle des 20-jährigen Erzählers und Protagonisten. Vielleicht hatte es der 2018er-Absolvent der Schauspielschule Der Keller im Unterricht etwas besser als sein Alter Ego, der in einer Münchener Schauspielschule mit den Übungen so wenig anfangen kann wie die Lehrerin (Julia Doege) und die Kommilitonen (Ralf Harster, Susanne Seuffert) mit seiner Verkrampftheit und scheinbaren Nicht-Eignung. Zugleich ist er bei den Großeltern (ebenfalls Harster, Seuffert) eingezogen, nicht ahnend, wie deren einst erfülltes, dem Theater verpflichtetes Leben nur noch um Rituale kreist und dass der Tod des Großvaters schon um die Ecke lauert. Dann gibt es da noch die Erinnerung an den tödlich verunglückten Bruder sowie die Tatsache, dass wir uns mitten in den 80er Jahren befinden, die einen Teil der ironisierten Gestrigkeit der Inszenierung ausmachen.
Gelungen ist, wie die beiden Handlungsorte umstandslos ineinander greifen, wie das Stück zum Stück im Stück wird und die vier Schauspieler in kleinere und größere Nebenrollen schlüpfen, während ein Vorhang, der auch als Großeltern-Tapete dient, munter die Seiten wechselt (Bühne/Kostüme: Ran Chai Bar-zvi). Dabei wird die Bühnenfassung von Matthias Köhler (Regie) und Julia Fischer (Dramaturgie) eher ein lustiges Vehikel für das keineswegs leicht davonkommende alt-junge Schauspieler-Doppel, als dass man der Mischung aus Komik und Tragik volle Bühnenreife attestieren könnte. Die Auflösung des Coming-of-Age-Formats wird genauso wie die angedeuteten Gefühlswelten, die sich vor allem aus den Vorgängerromanen ergeben, in Wortballen gepackt, und das Schlussbild mit vier den Werther-Tod sterbenden Schauspielern wirkt vor allem grotesk. Doch auch wenn Romane sich ein Stück weit der Bühne verweigern, macht sich dieser von Jung und Alt unterschiedlich erfahrbare Stoff mit Wiedererkennbarkeiten, der Gegenüberstellung von Lebensabschnitten und einem ironischen Blick auf den Traum vom Schauspielen gut im Programm des Theaters.
„Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ | R: Matthias Köhler | ausverkauft bis 15.2., 26.2., 27.2., 7.3. 20 Uhr | Theater der Keller | 0221 31 80 59
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