Ist das nicht schlicht und ergreifend Kitsch? Es gibt gleich mehrere dieser Momente in der aktuellen Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst, in denen man seinen eigenen Augen und seinem Geschmacksempfinden nicht mehr recht traut. Und dann wird klar, wie hier die Seherwartungen an das Alltägliche und Vertraute unterlaufen werden und unser Konsumverhalten hinterfragt wird. Da sind die ovalen Spiegel mit breitem, nach vorne geschwungenem Rahmen von Barnaby Barford. Mittig davor ist eine Nippes-Figur auf einer Konsole platziert, die uns den Rücken zukehrt, so dass wir ihr Gesicht lediglich mit dem unsrigen sehen können: Spieglein, Spieglein an der Wand ... Wenn man freilich genauer hinschaut, vielleicht auch die Perspektive wechselt, sieht man eklatante Unterschiede zum Original. Die allerliebste Manga-Gretel-Figur hält einen Revolver, und die idealisierte Madonna trägt an ihren ausgebreiteten Armen modische Taschen. Die sentimentale Verklärung trifft auf die harte Realität, die heile Welt ist nur noch bitter. Was zunächst als reminiszente Entgleisung zu verstehen war, ist im Heute angesiedelt und mehr als ein müder Scherz.
Freilich ist das eine der Extrempositionen innerhalb der Ausstellung „Isn't it romantic?“, mit der das Museum für Angewandte Kunst sein Jubiläumsjahr zum 125jährigen Bestehen einleitet – sozusagen als programmatischer Auftakt. Hier wird die Aktualität des Möbel- und Alltagsdesigns mit seinen neuen Materialien, Verarbeitungsmethoden und dem kritischen Blick auf die Welt und deren Bilderspeicher reflektiert.
Schöne neue Welt
„Isn't it romantic?“ stellt, anhand einzelner Künstlerpersönlichkeiten, ein zeitgenössisches Design vor, das nicht ausschließlich auf Funktionalität angelegt ist, sondern mit Brechungen und Irritationen arbeitet, ja, sogar die eigene Nutzanwendung in Frage stellt und die Grenze zur freien Kunst überschreitet. Etliche der Beiträge sehen extrem artifiziell aus oder wirken wie aus der Zeit gefallen. Wieder andere imitieren die Natur und lösen zunächst ein verblüfftes Gelächter aus. Zudem präsentiert die Ausstellung ganze Raumeinheiten, die den Kontext des Wohnens oder Wohngefühls verstärken. Überhaupt sollte erwähnen werden, dass die Schau vorzüglich inszeniert ist. Während in der Halle einige Positionen großzügig ausgebreitet sind, verdichtet der seitliche Wechselausstellungsraum die räumlichen Arrangements, die Möbel und die Flacons in den Vitrinen. Darüber funkeln und glitzern mehrere Leuchter.
Aber worauf berufen sich die Designer? Da sind das Wissen um die Geschichte der Formgestaltung und die Kenntnis von den globalen ästhetischen Entwicklungen und stilistischen Tendenzen. Verfügbar ist – seit und mit der Postmoderne – alles. Das Zitat führt als Sampling zur Authentizität. Aber Luxus ist ambivalent, nicht erst seit die soziale Schere immer weiter auseinanderklafft. Die Experimentierlust und eine grundsätzliche Verspieltheit stöbern in den entlegenen Ecken unserer Kindheit und in der Kulturgeschichte. Evoziert wird nun also eine Gegenwelt, voller Poesie und Schönheit. Und die Designer stülpen Inneres nach außen, sogar wortwörtlich. In der Ausstellung betrifft dies „Lasting Void“ von Julia Lohmann: ein hochglänzendes, sinnlich schwarzes Objekt, das an einen Handschmeichler erinnert, bei dem es sich aber um die Abformung des Inneren eines ausgeweideten Tieres handelt.
Vielleicht finden sich die Provokationen und ästhetischen Übersteigerungen deshalb so stark im zeitgenössischen Möbel- und Alltagsdesign, weil diese Produkte mitten im Leben stehen und gerade mit dem Wohlstand und der Bequemlichkeit zu tun haben. Vielleicht ist da auch der Wunsch, in der beschleunigten Welt zum Innehalten gegenüber dem, was uns gerade umgibt, aufzufordern.
Romantisch und postmodern
Die „Strategie des Blickwechsels“ führt Romana Breuer in ihrem Katalogbeitrag auf die frühe Romantik zurück, und sie zitiert dazu Novalis: „Indem ich dem Gemeinen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.“ (Fragment 232) Hinzu kommt der landläufige Umgang mit dem Begriff des Romantischen, schon mit den Andachtsbildern der deutsch-römischen Nazarener, bei denen die Überhöhung in den Kitsch entglitt. Und dann ist da noch das Sehnsuchts-Moment. Wie nahe daran ist das Vogelhäuschen als Rückzugsort und Schlafstätte für ein Mädchen, gestaltet von den Rotterdamer Designern Makking und Bey? Gemeint ist auch das ernste Spiel mit Gegensätzen, die sich eigentlich ausschließen. Ein Beispiel dafür ist die Kaktus-Couch von Maurizio Galante. Der „Goldkugelkaktus“ – in der rauen Wüste Mexikos zu Hause und bösartig stachelig – wird hier, mit der Impression einer intergalaktischen Vegetation, zur einladenden Sitzgelegenheit. Im Übrigen bewahrt die Couch etwas Profanes: Der Kaktus ist als Fotoprint auf die pralle Kunststofffolie gedruckt. Das Arrangement wirkt superbequem, und wie gerne würde man sich in der Ausstellung darauf setzen und die Assoziationsketten weiterspinnen. Die Designkunst im MAKK ist derzeit überraschend, irritierend, wunderschön und bitterböse.
„Isn't it romantic? Zeitgenössisches Design zwischen Poesie und Provokation“ I bis 21.4. I Museum für Angewandte Kunst Köln I www.makk.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Schwerpunkt Zürcher Konkrete
Einblick in die Sammlung von Richard G. Winkler im MAKK
Spiel mit der Melancholie
Andreas Staier im MAKK – Musik 11/23
Sehen in Lichtgeschwindigkeit
Horst H. Baumann im Museum für Angewandte Kunst – kunst & gut 10/23
Der Baum in uns allen
„Between the Trees“ im MAKK – Kunstwandel 03/23
Frieden im Nachruhm
Auch im Rückblick frech: „Pentagon“ im MAKK – kunst & gut 04/20
Immer Keramik oder Weberei
Frauen am Bauhaus – Ausstellungen in Köln und Bonn – Kunst 06/19
Mehr als Bananen
Andy Warhols Plattencover im MAKK – das Besondere 11/18
Kunst macht Gestalt
Peter Behrens im Museum für Angewandte Kunst – das Besondere 04/18
Und es ward Licht
Lichtkunstprojekt „Collumina“ feiert Premiere – Kunst 03/18
Bedürfnis nach Musik
Diskussion „Von der Unfreiheit der freien Musikszene“ bei der Kölner Musiknacht – Spezial 10/17
Macbeth trifft Super Mario
„Im Spielrausch“ eröffnet im Museum für Angewandte Kunst – Kunst 08/17
Ein Bewusstseinsrausch, der anhält
ökoRausch Festival für Design und Nachhaltigkeit im MAKK – Spezial 05/17
Aus der Natur
Großartig: Karl Blossfeldt in der Photographischen Sammlung im Mediapark – kunst & gut 01/25
Wege aus dem Bild
Drei Kölner Ausstellungen mit bewegten Wesen – Galerie 01/25
„Was ist ,analoger‘ als der menschliche Körper?“
Kuratorin Elke Kania über „Zeit-Bilder.“ im Aachener Kunsthaus NRW Kornelimünster – Interview 01/25
Mehr als Bilder an der Wand
„Museum der Museen“ im Wallraf-Richartz-Museum – kunst & gut 12/24
Vorgarten der Unendlichkeit
Drei Ausstellungen zwischen Mensch und All – Galerie 12/24
Vorwärts Richtung Endzeit
Marcel Odenbach in der Galerie Gisela Capitain – Kunst 11/24
Mit dem Surrealismus verbündet
Alberto Giacometti im Max Ernst Museum Brühl des LVR – kunst & gut 11/24
Außerordentlich weicher Herbst
Drei Ausstellungen in Kölner Galerien schauen zurück – Galerie 11/24
Fragil gewebte Erinnerungen
„We are not carpets“ im RJM – Kunst 10/24
Geschichten in den Trümmern
Jenny Michel in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach – kunst & gut 10/24
Ein Himmel voller Bäume
Kathleen Jacobs in der Galerie Karsten Greve – Kunst 09/24
Leben/Macht/Angst
„Not Afraid of Art“ in der ADKDW – Kunst 09/24
Lebenswünsche
„Körperwelten & Der Zyklus des Lebens“ in Köln – Kunst 09/24