choices: Frau Velhagen, Herr Holtmann, es sind Ferien, schönstes Sommerwetter – und wir bleiben zu Hause. Das neue Projekt von Drama Köln schlägt vor, sich im „Hotel Köln“ einzumieten.
Philine Velhagen: Wenn man in einer anderen Stadt zu Besuch ist, passieren einem eher ungewöhnliche Dinge. Man läuft mit anderen Augen durch die Gegend, ist neugieriger und offener. Das liegt daran, dass ich mit einer anderen Einstellung herangehe. Die Idee von „Hotel Köln“ ist, das auf die eigene Stadt zu übertragen. Dass man seine eigene Wohnung oder sein Zimmer zur Verfügung stellt und sich gleichzeitig bei anderen einquartiert, ist der Versuch, einen anderen Blick auf
vermeintlich Vertrautes zu werfen.
Wenn man im „Hotel Köln“ eincheckt, setzt man also eine Verfremdungsbrille auf?
Velhagen: In dem Moment, in dem man seinen Wohnungsschlüssel abgibt und einen neuen Schlüssel und eine Adresse bekommt, beginnt das Wagnis. Das sorgt für mehr Adrenalin, als nur zu sich nach Hause zu gehen.
Jan Holtmann: Wenn man eingecheckt hat und die Rezeption verlässt, wird die ganze Stadt zum Hotel. Man verfällt sicher immer mal wieder in seinen alten Trott, doch die Überlegung, wo man heute übernachtet, lässt die Vertrautheit kippen.
Was passiert an der Rezeption?
Velhagen: Man muss sich entscheiden, wie lange man in einer fremden Wohnung übernachten möchte, das geht von einer bis zu zwölf Nächten. Das Hotel wächst natürlich mit den Gästen, je mehr mitmachen, desto größer das Angebot. Dann kann man entscheiden, ob man in einer Wohnung bleibt oder verschiedene kennenlernen will.
Kann man sich die Zimmer oder Wohnungen auch nach Kategorien aussuchen?
Holtmann: Es kann nur jemand einchecken, der im Gegenzug sein eigenes Bett zur Verfügung stellt. Man wird also selbst zum Hotelier. Es lässt sich allerdings nicht organisieren, wenn jemand unbedingt im Hochhaus übernachten will. Wenn jemand dort landet, ist das eine Überraschung. Deshalb ist es gut, oft zu wechseln. Jede Wohnung ist in sich perfekt und stimmig. Das Haus in Rodenkirchen mit Garten und Pool ist genauso eine in sich stimmige Suite, wie auf einer Pritsche im Bauwagen zu liegen.
Velhagen: Wir werden wie jedes Hotel versuchen, die Wünsche der Gäste zu erfüllen. Das ist Sache des Hotel-Rezeptionisten. Ich fände es schön, wenn sich an der Rezeption ein Gespräch über die Wünsche ergibt, schon um zu verhindern, dass jemand in seinem eigenen Viertel landet.
Kann ich demjenigen, in dessen Wohnung ich übernachte, begegnen, oder
bleibt alles anonym?
Velhagen: Wir haben nicht die Absicht, Wohnungsgeber und Gast gezielt zusammenzubringen. Man kann sich Nachrichten hinterlassen, man kann sich in der Hotelbar zufällig treffen. Vielleicht gerät man in eine WG mit Anschluss an andere Mitbewohner.
Holtmann: Als Möglichkeit wollen wir auch Halbpension anbieten, bei der man am Abend nach dem Besuch mit dem Wohnungsgeber zu Abend isst.
Wie theatral ist „Hotel Köln“?
Velhagen: „Hotel Köln“ ist ein Theaterstück, das sich selbst kreiert. Wir setzen nur den Rahmen, in dem es stattfindet. Jeder Teilnehmer ist sein eigener Createur. Es funktioniert aber auch, die andere Wohnung als Bühne zu behaupten, auf der nur Requisiten vorhanden sind, aber keine Schauspieler. Meine Gedanken über den Wohnungsbesitzer bleiben natürlich immer Fiktion.
Holtmann: Der Besucher ist nicht nur Zuschauer, sondern er beobachtet sich auch selbst. Er wird so zum Akteur, der seinen Bekannten später von seinen Erlebnissen berichtet. Das sind eigene Miniaufführungen, selbst wenn man seine Tage in der anderen Wohnung nur mit dem Durchhören einer Plattensammlung und dem Pizzadienst verbringt.
Das letzte Projekt „we watch you watch“ hat implizit auch auf die Debatte vom gläsernen Menschen angespielt. Dürfen jetzt Fremde noch weiter in die Privatsphäre anderer eindringen?
Velhagen: Bei „we watch you watch“ lag der voyeuristische Aspekt darin, dass Schauspieler unterschiedlichen Passanten bestimmte Gedanken unterstellt haben. Bei „Hotel Köln“ entwickelt der Gast – angeregt durch die Einrichtung – Fantasien über den Wohnungsgeber. Indem ich meine Wohnung öffentlich mache, verwischen sich natürlich die Grenzen zwischen privat und öffentlich.
Holtmann: Man macht sich zwar ein Bild von der Person, und die Wohnung wird so zum begehbaren Schlüsselloch. Aber die eigene Haltung verwandelt den Raum, in dem man zu Gast ist, wahrscheinlich eher in ein Museum, in dem man sich nicht traut, irgendetwas anzufassen.
Wie viele Anmeldungen gibt es bis heute?
Holtmann: Es gibt bisher zehn bis fünfzehn Anmeldungen. Seit Mai weihen wir bereits mit unseren mobilen Bars potentielle Funktionsorte des Hotels ein wie einen Friseursalon oder eine Minibar. Dadurch wächst das Hotel kontinuierlich.
Ist es nicht ein Luxus, in der eigenen Stadt das Hotel aufzusuchen?
Holtmann: Wir sind ein Verschwendungsprojekt. Wir verschwenden Zeit. Außerdem ähnelt die Situation, ständig in eine neue Wohnung umzuziehen, einer Handlungsanweisung zum Flanieren.
Velhagen: Manche sagen, das sei wie Couchsurfing, aber das würde man nicht in der eigenen Stadt machen. Das machst du ja aus einem praktischen Grund, weil du in einer anderen Stadt ein Konzert besuchst oder ein Praktikum machst. Dass man das in der eigenen Stadt macht, darin liegt das Absurde, und deswegen ist es verschwendete Zeit.
„Hotel Köln“ | ab 28.8. | Info und Reservierungen: info@hotelkoeln-einestadtbesuchtsichselbst.de oder 0221 941 46 09 | www.drama-koeln.de
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