Die freie Theaterszene Köln nimmt Abschied von einer diese Szene in den letzten 15 Jahren mit prägenden Persönlichkeit: Ende September verstarb der Schauspieler, Sprecher und Regisseur Oliver Krietsch-Matzura im Alter von nur 46 Jahren.
Nach Jahrzehnten des Stillstandes und internen Klüngels tauchten im Jahr 2003 plötzlich zwei neue, frische Gesichter in der hiesigen Szene auf: Oliver Krietsch-Matzura und Malte Jelden – heute Dramaturg an den renommierten Kammerspielen in München. Völlig unbefangen, mit lausbubenhaftem Charme luden sie damals sogleich alle Kölner Kollegen sonntagmorgens zum gegenseitigen Austausch in die Bar des Crown Plaza – heute Steigenberger Hotel – am Rudolfplatz ein. Mangelnden Austausch der Kölner Theatermacher über aktuelle ästhetische und gesellschaftspolitische Fragestellungen hatten sie für die Kölner Szene diagnostiziert und wollten diesen Mangel beheben, nein, sie wollten diese verschnarchte Szene aufmischen. Dies gelang ihnen wie kaum einer zweiten Gruppierung zuvor. Leider fand sich nur eine überschaubare Anzahl an Kollegen an den Sonntagen zur Begegnung ein. Treffsicher ist daher auch der Name ihrer damals gegründeten freien Gruppe: „Drama Köln e.V.“. Intelligente Konzepte, die auf neue Formen der Darstellenden Kunst und eine deutliche Abgrenzung zur Ästhetik der damaligen Stadttheater setzten, wurden zum Markenzeichen der beiden Ausnahmekünstler. Im Gepäck hatten sie bereits damals ein weit verzweigtes überregionales Netzwerk und natürlich die Liebe zu dieser Stadt, welche ihre Künstler manchmal liebt, wie kaum eine andere, und sie manchmal auch einfach links liegen lässt.
Oliver und Malte ließen die Stadt ihrerseits nicht links liegen: Unvergessen ist ihr „Ferienlager“, sind ihre Performances an lauen Sommerabenden auf dem Dach des besagten Crown Plaza Hotels. Da gab es ganz viel Luft zum Atmen, und das verstaubte Gehirn wurde mal ordentlich auf die kreativste Art und Weise durchgepustet. Manchmal ganz sprichwörtlich, wenn Sturm und Regen die Aufführungen zu verwehen bzw. ins Wasser zu fallen drohen ließen. Da war es Oliver Krietsch-Matzura, der, wenn er nicht gerade selber auf der Bühne stand, den dauerndem Kontakt mit dem Wetterdienst hielt, um den Abbruch der Veranstaltungen so lange es ging hinauszuzögern. Mit „Temporäre Theatrale Zone“ eroberten Drama Köln leerstehende Ladenlokale, Versicherungszentralen und Fitnessstudios für ihr Theater: „Eine Mischung aus Kunst, Club und Jugendtreff“, wie es Malte Jelden heute formuliert.
2013 übergab Oliver Krietsch-Matzura das Ruder an Philine Velhagen, welche die Truppe bis heute sehr erfolgreich führt. Auch sie verneigt sich vor ihrem Kollegen und Freund: „2003 hat Oliver gemeinsam mit Malte Jelden Drama Köln e.V. gegründet, fast zehn Jahre lang geleitet und zu einer festen Größe im Kölner Theaterleben und darüber hinaus entwickelt. Mit einer Energie, mit Humor, Rastlosigkeit und einer schrägen Phantasie, die ihresgleichen sucht.“
Es waren nur wenige Begegnungen und intensive Gespräche, die zwischen uns stattgefunden haben, und dennoch haben sie bleibenden Eindruck hinterlassen von einem sprühenden Geist und einem großen Herz, welches fürs Theater und für Köln schlug und das jetzt leider für immer ruht.
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