Schillernde Abendgesellschaft bei Fliegergeneral Harras: Man trinkt und plaudert jovial daher, während ein Pianist entspannte Hotelbarklänge durch den Raum perlen lässt und die Gäste immer wieder zeitgenössische Lieder anstimmen. Die Herren – ein glorreicher Oberst, der Kulturleiter und der Präsident des Beschaffungsamtes für Rohmetalle – markieren ihre Reviere, die Damen – Harras' Ex-Geliebte, ihre Nichte und die Tochter des Industriellen – umschwärmen den Gastgeber. Dass draußen im nationalsozialistischen Deutschland der Krieg tobt, manifestiert sich vor allem in Gesprächen unter vier Augen. Regisseur und Hauptdarsteller Volker Lippmann gelingt schon im ersten Akt ein spannungsvoller Kontrast zwischen großer Sause und todernsten Konflikten. Sein Harras ist ein Mann wie eine Insel – ein Bonvivant und Zyniker, der es sich zwischen Flugleidenschaft, Luxus und Flirts behaglich eingerichtet zu haben scheint.
Etwaige Schuldgefühle als Hitlers fliegender Vollstrecker spült er mit Schmackes und Hochprozentigem hinunter. Verantwortungsbewusstsein zeigt Harras, wenn er verspricht, sich um die Materialfehler zu kümmern, die möglicherweise von Sabotageakten herrühren; wenn er einem deutsch-jüdischen Paar zur Flucht verhelfen will; und vor allem in den Zwiegesprächen mit dem jungen Hartmann, dessen Blick er immer wieder darauf lenkt, dass „der Tod auf dem Schlachtfeld stinkt“ und ihm ein Plädoyer für die Schönheit des Lebens hält. Es ist nicht leicht, die weite Welt des Fliegers auf eine kleine Bühne wie die des Theaters Tiefrot zu transportieren; im ersten Akt drängen sich die acht Schauspieler auf der Vorderbühne und einem Laufsteg im Zuschauerraum, leider oft mit dem Rücken zum Publikum.
Als sich das Geschehen auf die hintere Bühne verlagert, kommen manche leise gesprochenen Dialoge nicht mehr an. Doch die Atmosphäre – gedämpftes Licht, an der Rückwand eine Projektion von Picassos „Guernica“ – unterstreicht gut die Antikriegs-Haltung des Dramas, die sich auch in Verbal-Scharmützeln mit der Nazi-Schranze Pützchen (druckvoll: Jule Schacht) Bahn bricht und in einer ruhigen „Sag mir wo die Blumen sind“-Interpretation des Ensembles mündet. Eine solide gespielte und inszenierte, dichte Zweistunden-Inszenierung mit intensiven Momenten.
„Des Teufels General“ | R: Volker Lippmann | in Sommerpause | Theater Tiefrot | www.theater-tiefrot.com
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