Eine erstaunliche Ausstellung von Gerhard Winkler: In der Photographischen Sammlung wird man gleich nach dem Eintritt von Fotografien mit völlig verschiedenen Sujets in unterschiedlichen Formaten umfangen. Aber das hat System und klärt sich im Fortgang durch gegenseitige Verweise. So stößt man weiter hinten auf ein Tableau aus Aufnahmen freigestellter Fische und Cephalopoden in Lebensgröße. Der Purismus im Gegenüber verhilft den toten Tieren zu Schönheit, unterstützt von der lichten naturalistischen Farbigkeit.
Grundlage sind analog aufgenommene Schwarz-Weiß-Fotografien der Tiere, die Winkler zuvor auf weißen Tüchern ausgebreitet hat. Anschließend hat er auf dem Barytpapier Eiweißlasuren auf die Körper – originalgetreu, aber eben doch mit all der Eigenständigkeit von Farbe – aufgetragen. Mit ihrer akribischen Erfassung schließen seine Meerestiere gewissermaßen an die gezeichneten und aquarellierten naturwissenschaftlichen Pflanzen- und Tierdarstellungen des 18. und 19. Jahrhunderts an. Die Entdeckung dieser Tiere für seine Kunst, berichtet Winkler, habe er auf dem Fischmarkt in Lissabon gemacht, wo er sich 1992/93 mit einem Stipendium aufgehalten hat.
Direkt an der Typologie orientiert ist im abschließenden Raum seine Folge der vermeintlich immer gleichen Sardine. Das Verfahren von Winkler ist eine Aufforderung zum Hinschauen, und dann sieht man die leichten Abweichungen und Unterscheidungen, wird sich über die Schuppen und die Flossen weiter im Klaren, mit der Erkenntnis, dass jeder der Fische einzigartig ist. Aber das ist nur ein Aspekt dieser Bilder, die in ihrer Farbigkeit etwas Durchscheinendes und Flüchtiges kennzeichnet, als würden sie über der Fläche schweben.
Die oft kaum erkennbare Kolorierung einer Schwarz-Weiß-Aufnahme kennzeichnet sämtliche fotografischen Bilder des Kölner Künstlers. Zu den Sujets gehören Bücher, Landschaften, Gebäude, sogar Fleischstücke, aber auch, ebenfalls lebensgroß, Menschen. Die Ergebnisse der konventionellen Fotografie hätten ihn nirgends befriedigt, sagt Winkler. 1962 im hessischen Bürstadt geboren, hat er an der Städelakademie in Frankfurt bei Thomas Bayrle, Gerhard Wittner und Michael Croissant studiert und ist dort von der Malerei zur Skulptur gewechselt – sie entsteht bis heute parallel zu den Bildern. Und auch davon sind Beispiele in der Photographischen Sammlung zu sehen, ja, sie stellen sich in den Weg, fordern zur Umrundung auf und laden die Räume atmosphärisch weiter auf. Sie sind riesig, amorph, kreatürlich, aber nicht recht mit Begriffen zu fassen, sie wirken in ihrem fast-Realismus – gebaut aus verschiedenen Materialien, dazu farbig gefasst – verstörend, und schließlich flüchten wir uns in die Vorstellung, dass es sich um ausgestorbene Tiere oder deren Überbleibsel handeln könnte, angeregt von Besuchen etwa im Naturhistorischen Museum. Gewissheiten aber gibt es in unserer heutigen digitalen Zeit nicht mehr, ohnehin ist schon die handkolorierte, plastisch empfundene Fotografie von Gerhard Winkel etwas für den zweiten und den dritten Blick. Und draußen dann, auf der Straße, schaut man etwas genauer auf all das, was einen im Vorbeigehen umgibt.
Gerhard Winkler – Specimen | bis 16.1.22 | Die Photographische Sammlung / SK Stiftung im Mediapark | 0221 88 89 53 00
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