Natürlich es ein Schmarrn, ist kitschig, sentimental und reaktionär dazu – doch Dramaturgie, Musik und Dialoge des „Weißen Rössl“ zeugen einfach von grandiosem Handwerk. Daher wagen sich längst auch freie Theater an die Operette von Benatzky. Das Theater Tiefrot wandelt dabei auf dem schmalen Grat zwischen Trash und Stücktreue, was nicht immer überzeugend gelingt. Der Zahlkellner Leopold ist zwar ein Beau, ihm fehlt allerdings der doppeldeutige Liebesschmäh. Sebastian Schlemmer gelingen deshalb vor allem die lyrischen Stellen besonders gut. Seine Angebetete, die Rössl-Wirtin Vogelhuber, ist bei Julia Karl in guten kratzbürstigen Händen. So wie deren Liebe zunächst etwas klemmt, muss auch der zweigeteilte Bühnenprospekt der Wirtshausfassade immer wieder geradegerückt werden. Davor steht zwar ein Tisch mit Stühlen, das Wichtigste aber ist der Steg durchs Publikum.
Bei den Beteiligten des absurden Hemdhosen-Patentstreits, der in einem allumfassenden Liebesvergleich beigelegt wird, ist alles vertreten: Volker Lippmann gibt als Fabrikant Giesecke die knödelnd-krächende berlinernden Knallcharge mit Rotbäckchen, Gerald Liebenow als schöner Sigismund verlässt sich ein wenig zu sehr auf seine Pointen, legt aber zusammen mit der berührenden Sandra Kouba als lispelnd verschämtes Klärchen eine wunderbar groteske Choreografie hin. Die eigentliche Überraschung des Abends ist Bastian Korff, der die Figur des Rechtsanwalts Siedler trotz naiv-bebrillten Bubigesichts mit einer überrumpelnden mimischen, dialogischen und sanglichen Präsenz ausstattet. Insgesamt wird mehr als nur passabel gesungen, das dürfte das Verdienst von Ulrich M. Espenlaub sein, der die Einstudierung und Begleitung am Klavier übernommen hat. Dass das Theater Tiefrot mit den zehn Figuren allein räumlich an seine Grenzen stößt, ist öfter zu merken. Lippmanns Inszenierung hätte manchmal auch etwas mehr Trash gutgetan: Figuren wie der Privatgelehrte Hinzelmann oder Kaiser Franz Joseph kommen da doch zu ernst weg. Am Ende kann man sich aber dem Charme des Stücks und seiner Darsteller doch nicht entziehen.
„Im weißen Rössl“ | R: Volker Lippmann | WA im September | Theater Tiefrot | 0221 460 09 11
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