Expressiv ist seine Welt nicht. Nüchtern scheint sie, leblos. Dem Schweizer Maler Thomas Huber widmet das Kunstmuseum Bonn eine Ausstellung, mit ziemlich aktuellen Arbeiten, nahe an der Produktion und doch, wer Huber kennt, wird auch nur Huber finden und sonst nichts. Allerdings brauchte es auch nicht viel mehr. Außer etwas Vermittlung wahrscheinlich für die, die ihn nicht kennen – so einfach lässt sich der Kosmos des Wahlberliners nämlich nicht greifen. Was auf den ersten Blick nach gigantischem Malen nach Zahlen aussieht, ist ein verzwicktes Theoretisieren über Wahrnehmung, banale Oberflächen und die Fluchtpunkt-Welt an sich.
Rund 90 Arbeiten sind bei „Am Horizont“ zu sehen. Diese imaginäre Linie hat es dem Maler aktuell nicht leicht gemacht. Die Bilder sind in einem Raum entsprechend ihres eigenen Horizonts aufgehängt, neun Architektur-Modelle füllen den Ausstellungsraum in der Mitte. Ihre Reliefs sind mögliche Ansichten der imaginären schwebenden Blockbauweise („Am Horizont II“, Öl auf Leinwand 2016), der offenen Scheunen („Am Horizont VII“, 2016) oder des plakativ angepriesenen Schachtes unter die Oberfläche. Auf „Horizont IX“ (2016) bevölkern sogar – ganz unerhört bei Huber – Homunkuli die Szenerie. Nur einer läuft, der Rest verharrt, Yves Tanguy mit Designersteckspiel, ein gewagter Vergleich. Nun ja.
Im letzten Jahr hat der Maler noch in seinem Atelier herumgegraben. „Aushub“ heißt die Serie, die in picobello Fabrikhallen großformatig rötliche Erdkegel und Staffeleien zeigt. „Malen sei wie Graben“ – sein Zitat hat er hier wörtlich genommen. Alles was in seinen Bildern aus der gedachten Landschaft entfernt wurde, liegt nun als Haufen im Atelier („Atelier positiv“, 170x255cm, Öl auf Leinwand 2015). Ist das noch Kunst oder kann das weg? Auf Baustellen würden die Aushübe ja auch weggeräumt, so erklärt es der akribische Theoretiker, der seit mehr als dreißig Jahren versucht, die wahre Realität gemalter Bilder zu ergründen und dabei ihre Dimensionen durchforscht, siehe „ausgelotete Bildtiefe“ von 2011, ein türkisgrünes Raumraster mit möglichen Wirkmustern.
Die funktionieren auch in Räumen, wo der Parkettfußboden das Meer spielen muss. Quasi als Spielfigur mit Muster ohne lokale Verortung. Die Flächen im Bild sind flüchtig. Großformatig (200x350 cm) schweben über den gemaserten Hölzern drei Surfbretter, die sich am durchgezogen Kiel als Bootsrümpfe entpuppen. Ein roter Eimer erzeugt Wellen an der Oberfläche, doch die Rümpfe sieht man eher als Taucher. Blickwinkel verschieben sich, der Parkett-Boden unter den Füßen des Betrachters mit, ein Vexierbild in der echten lateinischen Sinnhaftigkeit (von vexare „plagen“) lässt schmunzeln, und wenn der Besucher wirklich wissen will, wie meditativ diese Räume eigentlich sind, dann kann der Künstler in einem sehr speziellen Video darüber Auskunft geben. Soll er doch – hinterm Horizont geht‘s weiter („Am Horizont VII“, 2016 nah Watteau) und hier kratzt sich an der Originalstelle der Original-Köter. Oder nicht?
„Thomas Huber – Am Horizont“ | bis 8.1.17 | Kunstmuseum Bonn | 0228 77 62 60
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Schnappatmung der Kunst
„Die Welt in der Schwebe“ im Bonner Kunstmuseum – Kunstwandel 05/22
Herrschaft über Bildnisse
„Bild Macht Kunst“ im Kunstmuseum Bochum – Kunst 11/18
Dachlatten und Kaviar
Georg Herold im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 12/17
Staubige Geschichte unterm Mikroskop
„Versiegelte Zeit“: Nadia Kaabi-Linke im Bonner Kunstmuseum – Kunstwandel 12/17
Humor dosiert
Boecker, Gross und Niedecken in Bergisch Gladbach – kunst & gut 09/17
Auf der Flucht
„WeltenWanderer“ im Kunstmuseum Mülheim – Kunst in NRW 05/17
Die Königsdisziplin
Das fotografische Porträt in Köln und Bonn – Kunst 03/16
Blick in die Karten
„Weltkunst“ in Wuppertal – Kunst in NRW 11/15
16. Museumsnacht Köln
Sa 24.10. 19 bis 2.59 Uhr
Geheimnisvoll einfach
Ausstellungen in Bonn und Düsseldorf – Kunst in NRW 03/14
Aus dem Lot
Das Kunstmuseum Bonn zeigt „Unsichere Räume in der Kunst der Gegenwart“ – Kunst in NRW 8/13
Außerordentlich weicher Herbst
Drei Ausstellungen in Kölner Galerien schauen zurück – Galerie 11/24
Fragil gewebte Erinnerungen
„We are not carpets“ im RJM – Kunst 10/24
Geschichten in den Trümmern
Jenny Michel in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach – kunst & gut 10/24
Ein Himmel voller Bäume
Kathleen Jacobs in der Galerie Karsten Greve – Kunst 09/24
Leben/Macht/Angst
„Not Afraid of Art“ in der ADKDW – Kunst 09/24
Lebenswünsche
„Körperwelten & Der Zyklus des Lebens“ in Köln – Kunst 09/24
Die Freiheit ist feminin
„Antifeminismus“ im NS-Dokumentationszentrum – Kunstwandel 09/24
Atem unserer Lungen
„Body Manoeuvres“ im Skulpturenpark – kunst & gut 09/24
Die Absurdität der Ewigkeit
Jann Höfer und Martin Lamberty in der Galerie Freiraum – Kunstwandel 08/24
Vor 1965
Marcel van Eeden im Museum Schloss Morsbroich in Leverkusen – kunst & gut 08/24
Atem formt Zeit
Alberta Whittle in der Temporary Gallery – Kunst 07/24
Niemals gleich
Roni Horn im Museum Ludwig – kunst & gut 07/24
Tage des Schlafwandelns
„Übergänge des Willens“ im KunstRaum St. Theodor – Kunstwandel 07/24
Das Gewicht der Gedanken
„scheinbar schwerelos“ im Zündorfer Wehrturm – Kunst 06/24