Gegen 19 Uhr war es so weit: Die verspätet vollzählige islamkritische „Kögida“, der Kölner Ableger der „Pegida“, wollte ihren „ersten Spaziergang“ vom Deutzer Bahnhof über den Rhein zum Dom durchführen. Doch schon für 17:30 Uhr hatten die von den Bündnissen „Köln stellt sich quer“, „Köln gegen rechts“ und „Kein Veedel für Rassismus“ entlang des Deutzer Streckenteils organisierten Gegendemonstrationen mit ihren von zig Unterstützern geteilten Aufrufen tausende Menschen versammeln können, welche die Kögida-Aktion vereiteln oder entwerten wollten. Die sonst hell erleuchteten Kölner Wahrzeichen Dom, Rathaus und Groß St. Martin wurden um 18:30 Uhr duster und ließen das Uferpanorama zur Silhouette werden – auch weitere Kirchen, Firmen und Privatpersonen beteiligten sich recht kurzfristig noch an der symbolischen Verdunkelung, die dem Domprobst Norbert Feldhoff böse E-Mails von Pegida-nahen Gläubigen einbrachte.
Die gesamte Mitte der Gesellschaft schien in allen Altersgruppen gut vertreten zu sein, und auch Immigranten nahmen teil. Die Atmosphäre war in dieser Mischung entschieden, aber friedlich, wenn die Polizei auch laut eigenen Angaben eine Gruppe von etwa 100 gewaltbereiten Personen in schwarzer Kleidung von Dummheiten abhalten musste. Die politischen Parteien waren fast alle zu erkennen, besonders mit Fahnen vertreten war wieder das linke Spektrum.
Zur Zahl der Demonstranten gibt es nur Schätzungen: Während die Kölner „Bild“-Redaktion von 6.000 Gegendemonstranten und 800 Kögida-Anhängern spricht, beträgt das Verhältnis beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ 5000 zu 500 und bei der „Deutschen Welle“ 20.000 zu 200. Die während der Demo verkündeten Zahlen aus Polizeiquellen betrugen 20.000 und „einige hundert“, die Polizei zählte allerdings dann doch „nur“ 7.500. Diese Zahl nannte Hajo Leib von „Köln stellt sich quer“ heute „irreführend“. Da sich die Gegendemonstranten über drei Sammelpunkte samt Zwischenstrecken verteilten und teilweise nicht mehr durchkamen, kann eigentlich nur mit Sicherheit festgestellt werden, dass es in Deutz sehr voll war. Gerechnet wurde mit deutlich weniger Teilnehmern, auch wenn die Veranstalter zuletzt über die sozialen Netzwerke eine Vorahnung vom Andrang bekamen. Am LVR-Turm etwas von der weiter unten stehenden Bühne mitzubekommen, war schon kurz nach Beginn völlig unmöglich. Die Forderung der Veranstalter und der Teilnehmer an die Polizei, die Barrikaden zur Straße zu öffnen, wurden nicht erfüllt, obwohl sich am Turm bald Menschen bis zur Hohenzollernbrücke stauten, die mehrheitlich überhaupt nicht einbezogen werden konnten. Ohne geöffnete Absperrungen war die in Richtung Kögida blickende Mini-Bühne mit ihrer schwachen Lautsprecheranlage einfach falsch ausgerichtet – sicher auch ein Versäumnis oder eine Fehlkalkulation der Organisatoren. Aber in jeder Ecke hielt man sich auf seine Art bei Laune.
Es spielten Live-Bands, dazwischen wurden „Like a Rolling Stone“ („How does it feel / to be on your own?“), „Schrei nach Liebe“ und „Imagine“ aufgelegt. Von den anderen Demos wurde mitgeteilt, dass die Deutzer Brücke besetzt worden sei. Diese Blockade wurde jedoch von der Polizei wieder aufgelöst, so wie jeder andere Versuch, entgegen Gesetzen die freie Straße zu blockieren. Allerdings riet die Polizei der Kögida, zur eigenen Sicherheit von ihrem Marsch abzusehen. Die Kögida blieb noch etwa eine halbe Stunde auf dem Ottoplatz stehen, um nicht umsonst gekommen zu sein. Da Kleinlaster den Blick über den Auenweg versperrten, war die Kögida leider kaum zu erkennen. Über die Straße hinweg wurde vom Rand aus kräftig gesungen und skandiert: „Ihr könnt nach Hause gehn“ und „Nazis raus“.
Gegen 19:45 Uhr traten die Kögida-Teilnehmer den Heimweg an. Das durfte als Erfolg gewertet werden. Die Gegen-Kundgebungen lösten sich ebenfalls langsam auf; ein guter Teil der Für-den-guten-Zweck-Frierenden verabschiedete sich über die Hohenzollernbrücke, bis vorgeschlagen wurde, geschlossen den Kögida-Weg über die Deutzer Brücke zu nehmen. Die Polizei war auf beiden Seiten des Rheins auf alles vorbereitet gewesen und ging in allem auf Nummer sicher. „Arsch huh“-Sprecher Hermann Rheindorf kritisierte dann auch zum Abschluss noch einmal, dass die Polizei den Raum nicht mehr geöffnet habe. Brigitta von Bülow von „Köln stellt sich quer“ fügte heute hinzu, dass viele Teilnehmer das Demontrationsrecht durch die Strategie der Polizei nicht hätten wahrnehmen können. Hans Schwanitz, der ansonsten recht zufriedene Vorsitzende der Kölner Grünen, erklärte in einer Pressemitteilung, man müsse darüber nun sprechen, damit es sich nicht wiederhole. Sicher muss man in Zukunft hinsichtlich der Teilnehmerzahlen zusammen mit der Polizei noch flexibler planen.
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