Nicht immer kann man von der Oberfläche auf Oberflächlichkeit schließen, manchmal ist sie nur schnöde Hülle, manchmal nur Produkt eines ausgeklügelten virtuellen Programms. Bei dem Maler Gerhard Richter war sie von Anfang an auch eine Art von variabler Knetmasse, eine bildhauerische Möglichkeit auf einer zweidimensionalen Leinwand darauf zu malen, ihre eigentliche Funktion zu erweitern. Nicht ohne Grund feiern die Museen weltweit seinen 85. Geburtstag medienwirksam und zielorientiert, und der Meister lässt es geschehen auch im Espace Louis Vuitton in Peking. „Honi soit qui mal y pense.“ Oder von Gottes Gnaden, oder – wir sind eben endlich globalisiert.
Im Bonner Kunstmuseum ist seine Ausstellung „Über Malen – Frühe Bilder“ zu sehen, eine Zusammenstellung von 25 Arbeiten aus den 1960er und 1970er Jahren. Eigentlich ist dies der wichtigste Zugang zum Werk des Kunstmarktstars, der sein Leben lang über Malerei gearbeitet hat und der immer noch präsent ist und im letzten Jahr noch eine Hinterglasmalerei an einen treuen Sammler verschenkt hat. Los geht es aber im ersten Raum mit einem der typischen Wischbilder der frühen Jahre. Die Pkw auf dem Werk „Zwei Fiat“ (130 cm x 200 cm, Öl auf Leinwand, 1964) sind natürlich in ihrer Bewegung nicht mehr zu erkennen, dennoch ist das eines der ersten nach Fotografien gemalten s/w-Bilder. Und schon damals ging es los mit der fast grenzenlosen Verästelung in seinem Werk, gleich einen Raum weiter stehen „4 Glasscheiben“ (je 190 cm x 100 cm, Glas und Eisen, 1967). Gekippt hat die der Meister selbst, erklärt die Aufsicht, das Anfassen sei strengstens verboten, schließlich sei das „der teuerste Künstler der Welt“. Das war auch schon mal anders. Immer noch geistert die Anekdote vom Multiple der Malerei „Umgeschlagenes Blatt“ von 1965 (Original, Öl auf Leinwand, in Bonn zu sehen) durch den Äther. Gibt es nun eine unlimitierte Edition, die Richter selbst autorisiert hat, oder nicht? Ein Nachdruck des Auktionshauses Lempertz (Richter war empört) jedenfalls kostete Anfang des Jahres online keine 500 Euro.
Zurück in die heiligen Hallen des Kunstmuseums Bonn, wo der Maler fünf Türen (Öl auf Leinwand, 5-teilig, je Bild: 205 cm x 100 cm, 1967) präsentiert, die das Wesen des schnöden Abbilds offenlegt. Hier prallt im wahrsten Sinne des Wortes die Oberfläche auf eine sinnlose Oberflächlichkeit, Durchgänge ins Nichts braucht kein Mensch. Genauso wenig wie die Vorhänge, obwohl – der „Große Vorhang (Öl auf Leinwand, 200 cm x 280 cm, 1967) hat noch eine zweite Ebene. So richtig betrachten kann man ihn nicht, weil das menschliche Auge von den senkrechten unscharfen Streifen – für die damalige Zeit modisch – verwirrt wird. Alle diese Arbeiten bilden die Ausgangspunkte für immerhin ein halbes Jahrhundert intensiver Auseinandersetzung mit Malerei. Dass die Übermalungen (nicht Rakeln, wie bei den Fiats) erst später kamen, dafür kann der pfiffige Titel in Bonn ja nichts. Eine Arbeit schlägt einen interessanten Bogen zur parallel laufenden Ausstellung im Museum Folkwang Essen. Sind es in Bonn noch „256 Farben“ (Lack auf Leinwand, 1974) zeigt Essen 1260 Farbfelder (Offsetdruck auf Karton, 1974).
Gerhard Richter „Über Malen – Frühe Bilder“ | bis 1.10. | Kunstmuseum Bonn | 0228 77 62 60
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