3, 5 und 8. Mit Nummern statt mit Namen werden die Mädchen bezeichnet, abgeleitet von dem Alter, in dem eine Menschenhändlerin ihre kurze Kindheit beendet. Mit einem Märchen und einer glorreichen Aufgabe werden sie geködert: Babys sollen die Drei liefern, für die Reichen. Doch bevor sie ihrer Bestimmung zugeführt werden, bekommen die Mädchen Vaginas und Herzen herausgerissen. Während die lästigen Organe in Schließfächern warten, sind die entleerten Hüllen einfacher mit Alkohol und Drogen gefügig zu machen. Kichernd treten die Opfer ihre Reise über Flughäfen an, durch die Millionen Leidensgenossinnen geschleust werden. „Fliegen wir?“, fragen sie mit großen Augen. „Nein, eure Flügel sind gestutzt“, antwortet kalt die Häscherin.
Das Fliegen als Metapher für Freiheit und Sexualität zieht sich als roter Faden durch das Drama der kanadischen Performance-Künstlerin Miranda Huba. Wobei im Originaltitel „Grounded“ vielfältigere Bedeutungen (wie nicht starten können, gestrandet oder abgestürzt sein) mitschwingen als in der sanften Übersetzung. Abgesehen vom Titel ist auch die deutsche Stückfassung, für die das Theater Tiefrot Erstaufführungsrechte erwarb, alles andere als behutsam. Themen und Sprache erinnern in ihrer Drastik an Sarah Kane. Eine Horrormär von missbrauchten und entrechteten Frauen entfaltet sich und wäre nicht zu ertragen, würde das Grauen nicht in grotesken Bildern überzeichnet. Den Ton legt der Text – ein Wechsel aus rückblickenden Erzählungen und Dialogszenen – nahe, und Volker Lippmann (Regie und Bühne) greift ihn in passend greller Weise auf. Schwarzlicht und Stroboskopblitze zucken zu wummernden Beats über die täuschend weiche Spielfläche, auf die das Publikum von zwei Seiten hinunterblickt wie in einen Sündenpfuhl, aus dem jegliche Menschlichkeit vertrieben wurde. Christina Woike, Jenny Ensle und Jule Schacht stolpern in Spitzen-Unterkleidchen als hysterische Alices durch ein Albtraumland; Jule Schacht in mitleidlosen weiblichen Nebenrollen und Patric Welzbacher als skrupelloser Arzt, Zuhälter oder Pilot karikieren bis zum Anschlag. Als Gesamtpaket eine Zumutung – die man sich im Gleichklang von Inhalt und Form kaum stimmiger vorstellen kann.
„Gelandet“ von Miranda Huba | R: Volker Lippmann | Theater Tiefrot | 1./2./22./23.3. 20.30 Uhr/24.3. 19.30 Uhr | www.theater-tiefrot.com
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