Es ist gut, dass die Ausstellung von Petra Wittmar in der Photographischen Sammlung erst mit der Passage zum Seitenraum einsetzt. Ihr Beitrag hat etwas Verhaltenes, im Unspektakulären Genaues, das der unabgelenkten Betrachtung bedarf. Zu sehen ist ein regelmäßiges Band aus Farbfotografien mit Ansichten der Ortschaft Medebach, aufgenommen zwischen 2009 und 2011. Medebach liegt im Hochsauerland, knapp zwei Autostunden von Petra Wittmars jetzigem Wohnort Essen entfernt, also nicht gerade um die Ecke. Aber in Medebach ist Petra Wittmar 1955 geboren und aufgewachsen, und bereits 1979 bis 1983 hat sie diesen Ort umfassend unter künstlerischen Überlegungen aufgenommen, da in s/w, als Abschlussarbeit in der Fotoklasse der Folkwangschule Essen. Erst 2007 wurden diese Fotografien ausgestellt, in der SK Stiftung Kultur. Vielleicht aber war der Abstand von einem Vierteljahrhundert notwendig, um das Zusammenspiel von persönlicher Berührtheit, Distanznahme und künstlerischer Transformation zu erkennen, die Genauigkeit im Blick und die Gelassenheit auszumachen, die bereits diesen ersten Fotografien zugrundeliegen, als vorsichtige Annäherung an das Wesen des vertrauten kleinstädtischen Terrains. Zu dieser frühen Serie gehören auch Innenaufnahmen, die den Fokus in den Wohnungen auf das Mobiliar mit der Tapete richten und nun ein Stück Privatheit in großer Sachlichkeit dokumentieren und so vielleicht noch mehr betonen, dass es sich hier um „typische“ deutsche Provinz handelt, welcher jede Attraktivität und Neuigkeit abhandengekommen ist. Petra Wittmar konstatiert nüchtern, ohne Sentimentalität.
Mag sein, dass die Ausstellung dieser frühen Fotografien 2007 für Petra Wittmar ein weiterer Impuls war – sie erwähnt das im Gespräch –, sich Medebach erneut in einer fotografischen Arbeit zuzuwenden. Generell aber stellt sich die Frage, ob und wie sich Medebach im Laufe der Jahre verändert hat, und ob sie selbst nun mit einem anderen Blick auf diesen Ort schaut. In der Photographischen Sammlung sind nun also rund 70 Aufnahmen zu sehen, als Serie aus autarken, eher kleinformatigen Einzelbildern, die nach formalen Gesichtspunkten gehängt sind. Zwar sind die Bilder nun in Farbe, auch hat Petra Wittmar ausschließlich im Freien fotografiert, aber die überschauende Aufnahme-Distanz hat sie beibehalten. Nach wie vor tauchen (fast) keine Menschen in den Bildern auf, was daran liegt, dass sich Petra Wittmar für eine sachliche Gestimmtheit interessiert, die eben zu Zeiten vorliegt, zu denen Menschen kaum auf der Straße sind. Der Horizont ist weit nach oben gerückt, wodurch die Erde und die Straße an Bedeutung gewinnen. Der Himmel ist gleichmäßig hell, das Grün meist fahl. Die Bilder sind klar aufgebaut, und die kontinuierliche Ordnung von Vorder-, Mittel- und Hintergrund ermöglicht dem Betrachter einen stillgelegten Blick, ohne dass sich Monotonie einstellt.
Eine sachliche Gestimmtheit
Ein Weiteres hat sich aus der ersten Bildserie gehalten: Petra Wittmar vermeidet eine Zentrierung der Gebäude. Meist ist die Perspektive etwas verschoben, wodurch oft eine Seite des Gebäudes angeschnitten ist, aber dieses in seiner Umgebung zu sehen ist. Dabei bleiben einzelne beiläufige Details im Gedächtnis, eine Stromleitung, ein Stück Ackerland, der Turm der Kirche, der Straßenverlauf. Die einzelnen Bilder sind typisch für eine Besiedelung mit dem Wandel von der Landschaft zum Städtischen. Der Zuzug von Städtern deutet sich ebenso an wie Tradition und eine gewachsene Struktur, die an den Rändern ausfranst, wobei der Übergang zur Natur vielfach nicht gelöst ist. Zu sehen sind funktional bestimmte Gebäude zwischen Einfamilienhaus und gemeinschaftliche Nutzung aus verschiedenen Entstehungszeiten. Aus der Gesamtheit der Fotografien aber erschließt sich die Anlage des Ortes mit dem Zusammenwirken von altem Kern und neuer Bebauung weiter. Das alles ist mit einer entschiedenen Hinwendung erfasst, die mit Entschleunigung handelt: Niemals fahren Autos durch das Bild.
Petra Wittmar berichtet, dass sie mit der Großbildkamera arbeitet, bei der jedes Bild mit besonderer Vorbereitung verbunden und in der Aufnahme formal abstrahiert ist. Ihre Bilder vermitteln noch ein Abtasten der Fassaden und die räumliche Präsenz der Gebäude, die damit zugleich zu Hüllen werden für bürgerliches Leben. Übrigens formuliert Petra Wittmar ihr visuelles Verständnis von Architektur auch in einem Langzeit-Projekt mit Ulrich Deimel, bei dem die beiden Fotografen die europäische Baukunst der 1920er Jahre dokumentieren. Daneben hat sie selbst weitere Fotografien an der urbanen Peripherie und in Industriegebieten besonders des Ruhrgebietes aufgenommen, die lapidare Situationen mit Vorstellungen und möglichen Erzählungen aufladen. „Medebach“ hält kurz davor inne. Es bleibt bei dem, was wir anschauen, und alle Magie, die plötzlich aufscheint, ist paradigmatisch und weit verbreitet. Man muss sie nur sehen. Die Serie „Medebach 2009-2011“ ist ein Meisterwerk, das den Blick für städtebauliche und architektonische Feinheiten und das Vergehen der Zeit schärft, dort wo es uns alle betrifft.
„Petra Wittmar – Medebach 2009-2011“ I bis 12. August I Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur I www.photographie-sk-kultur.de
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