„Woran glaubst du?“ fragt das neueste Projekt der Theaterwerkstatt des Comedia Theaters und macht sich auf die Suche nach dem, was die Menschen im Belgischen Viertel antreibt.
choices: Frau Bühler, Frau Kohlhase, Herr Kraft, warum muss man an etwas glauben? Wofür ist das gut, wobei hilft das, und kann man auch ohne Glauben leben?
Xenia Bühler: Das waren die Fragen, die wir uns gestellt haben. Wo und wie verankert man sich, worin findet man im Alltag seine Stütze? Wir hatten lange gemutmaßt, dass es die Kirche weniger ist und die Menschenrechte vielleicht die Zehn Gebote ersetzt haben.
Woran glauben Sie persönlich?
Stefan Kraft: Ich glaube an die Lern- und Entwicklungsfähigkeit des Menschen, daran, dass die Kunst den Geist und die Sicht auf die Welt erweitern kann. Dass man wachsen kann, als einzelner wie als Gesellschaft.
Sarah Kohlhase: Ich glaube daran, dass Frieden eine gute Sache ist, aber auch an kleine Dinge wie den wöchentlichen Anruf bei Verwandten, daran, Kuchen selber zu backen, und ich glaube an die Mathematik.
Bühler: Ich glaube an das Gute im Menschen und daran, dass künstlerische Ereignisse Fragen aufwerfen, die weiterwirken.
Was hat es mit der Ankündigung eines „Stadtplans des Glaubens“ auf sich?
Kraft: Wir wollten uns auf ein Stadtviertel konzentrieren und auf die Überzeugungen, die Projekte, die Visionen der Menschen in diesem Viertel. Durch Pfarrer Christoph Rollbühler sind wir hier im Belgischen Viertel und in der Christuskirche gelandet. Es ist ein Mittelschichts-Viertel mit kulturaffinen Bewohnern, die spirituell anders unterwegs sind als beispielsweise Menschen in Kalk. Ursprünglich wollten wir einen Rundgang machen an verschiedene Orte des Glaubens, den haben wir aber jetzt in die Kirche verlegt.
Bühler: Die Osho-Vergangenheit des Viertels ist nicht von der Hand zu weisen. Es gibt hier eine Nähe zum Buddhistischen oder Hinduistischen. Bei den Interviews sind immer wieder Anklänge daran vernehmbar.
Was sind das für Leute, die im Stück portraitiert werden?
Bühler: Es ist ein Tätowierer dabei, die Geschäftsführerin von Boffi-Küchen, ein Investor, das Charity-Projekt „Shelter 108“, dann die Werbeagentur „Die guten Botschafter“, dann ein Fahrradladen, der Rezeptionist des Osho UTA Institut, der Bioladen Hulc, eine ehemalige Lehrerin der Montessori-Schule, und dann kommt noch die 12jährige Paula hinzu, die als Theaterfachfrau einen Monolog hält.
Wie sind Sie vorgegangen?
Kohlhase: Wir haben im Viertel nach Orten gesucht, wo wir eine Verbindung zum Glauben vermutet haben wie bei der kirchennahen Werbeagentur „Die guten Botschafter“ oder dem Fahrradladen „Familienradgeber“. Jede Mitspielerin hat dann mit einem der Betreiber dieser Orte ein Interview geführt.
Bühler: Wir haben anhand eines Fragenkatalogs nach einer Rangordnung der Glaubensinhalte gefragt, welche Visionen unsere Gesprächspartner haben, wo sie in fünf Jahren sein wollen. Die meisten waren überraschenderweise mit dem zufrieden, was sie haben. All diese Menschen gehen morgens gerne zur Arbeit. Es ist die Überzeugung, dass das, was sie tun, ihnen entspricht, dass ihre Arbeit sinnstiftend ist.
Kohlhase: Die Antriebe sind bei allen unterschiedlich, aber die Arbeit macht bei allen einen großen Teil ihres Lebensinhalts aus.
Wie stark sind denn überhaupt noch die metaphysischen oder spirituellen Inhalte des Glaubens?
Kraft: Den stärksten religiösen Einschlag fanden wir bei der Leiterin des Bioladens. Sie hat ein großes spirituelles Weltgebäude skizziert, das ihr wichtig ist. Dann der Mitarbeiter vom Osho UTA Institut, der sehr stark auf der Suche ist. Bei den anderen fanden wir kaum noch Glaubensinhalte, die sich mit christlichen vergleichen lassen.
Bühler: Auch die Mitarbeiterin von Shelter 108 sagt, dass sie vom christlichen Glauben geprägt ist. Und die Mitarbeiter der Werbeagentur beten, bevor sie einen Pitch machen. Es ist alles in allem trotzdem ein sehr weltliches Verständnis von Glauben. Wir haben es erst einmal an das Individuelle angebunden. Es macht keinen Sinn, mit abstrakten Glaubensbegriffen einen Charakter zu beschreiben, Theater muss an die Person ran.
Wie nah kommt man den Interviewpartnern?
Kohlhase: Wir haben die Interviews zu Monologen verdichtet. Jede Spielerin verkörpert ihren Interviewpartner. Ich bin der Geschäftsführerin des Boffi-Ladens im Gespräch schon nähergekommen und kann nachvollziehen, was sie sagt, ohne deshalb an die gleichen Sachen glauben zu müssen.
Kraft: Wir haben die Interviews sehr präzise mit allen Ähs und Mhms umgesetzt. Dadurch wurde der Sprechduktus bewahrt, und man bekommt eine Menge zusätzlicher Informationen. Das ist völlig anders als bei einem klassischen Theatertext.
Und wie wird das auf der Bühne umgesetzt?
Bühler: Das Publikum wird in Fünfer-Gruppen aufgeteilt, und jeder wird drei dieser Überzeugungstäter erleben. Ergänzt wird das Ganze durch Glaubenspositionen unserer Spielerinnen. Und das Publikum muss in kleinen Zwischenspielen zu bestimmten Thesen Position beziehen und sich bekennen.
Wie unterscheidet sich für den Regisseur Stefan H. Kraft die Arbeit mit Laien von der bei Futur 3?
Kraft: Es unterscheidet sich nicht sehr stark. Es gibt Parallelen zur Arbeit von Futur 3 nicht nur in der Art der Recherche, sondern auch in dem Wunsch, den traditionellen Bühnenraum zu verlassen. Es ist immer ein Unterschied, ob man mit Amateuren oder Profis arbeitet, aber wir haben zehn sehr gute Spielerinnen.
Das Projekt ist Teil der Theaterwerkstatt, deren Unterstützung durch die Rheinenergie-Stiftung Kultur jetzt ausläuft. Wie geht es weiter?
Bühler: Die Theaterwerkstatt ist die theaterpädagogische Abteilung des Comedia Theaters und hat neben dem normalen Programm jeweils ein Projekt im Jahr an ungewöhnlichen Spielorten realisiert.
Diese Projekte wird es nicht mehr geben. Das liegt am Ende der Förderung und auch daran, dass ich Köln verlassen werde. Meine Nachfolgerin wird andere Geldgeber haben und auch andere Schwerpunkte setzen.
„Woran glaubst du?“, ein Projekt der Comedia Theaterwerkstatt | R: Xenia Bühler und Stefan H. Kraft | Christuskirche am Stadtgarten | 6./7.7.12 und 20 Uhr | www.comedia-koeln.de
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