Eine gleichmäßige Abfolge gerahmter Farbholzschnitte leitet durch einige der Räume des Museums für Ostasiatische Kunst, sie stammen von Tsukioka Yoshitoshi. Seine Serie „100 Ansichten des Mondes“ aus dem Amsterdamer Museum Nihon no hanga stellt ihn als einen der großen Künstler seiner Zeit in Japan vor. Er setzt die Tradition der Farbholzschnitte fort, die in mehreren Schritten, mit großer Fantasie und handwerklichem Aufwand angefertigt wurden und – mit Katsushika Hokusai (1740-1849) und Utagawa Hiroshige (1797-1858) als wohl bekanntesten Vertretern – eine Domäne der japanischen Kunst sind. Stilistisch der Ukiyo-e-Tradition zuzurechnen, gehört Tsukioka Yoshitoshi (1839-1892) ebenfalls zu den herausragenden Holzschnitt-Meistern. Und während Hokusai die „36 Ansichten des Berges Fuji“ und Hirsoshige „100 Ansichten von Edo“ geschaffen haben, sind die „100 Ansichten des Mondes“ die wichtigste Serie von Yoshitoshi. Entstanden zwischen 1885 und 1891, vollzieht sich in ihnen der Wandel zu seinem Spätwerk.
Die oft komplementärfarbigen Flächen mit ihren feinen Binnenlinien und einer deutlichen, vom drucktechnischen Verfahren verstärkten Kontur, vermitteln Plastizität und Raum. Die Geschehnisse sind dynamisch, emotional aufgebaut, etwa indem die Motive aus den zentralen Achsen gerückt sind und der landschaftliche Hintergrund abstrahiert und in die Ferne gerückt ist. Inhaltlich ist die Folge der Holzschnitte ein überbordender Fundus allmählich vergessener Traditionen, Geschichten und Mythen. Ausgelöst durch eigene Beobachtungen zum Wandel der japanischen Gesellschaft, widmet sich Yoshitoshi auf diesen Blättern einzelnen Episoden der Vergangenheit, die für bestimmte Zeiten, Umwälzungen und historische Ereignisse stehen und aus der Kultur, Gesellschaft oder Politik stammen.
Allen Blättern gemeinsam ist der Mond, der manchmal nur in der integrierten Textbeschreibung vorkommt. In der japanischen Kultur symbolisch zu verstehen, wird er in der Ausstellung – am Rande der Holzschnitt-Folge – in seiner Bedeutung noch für sich betrachtet; zudem sind Blätter weiterer Künstler und Objekte aus der Sammlung des Museums zu sehen. Im Licht des Mondes aber treten in Yoshitoshis Folge bedeutende, in der Überlieferung verbürgte Akteure aus der Vergangenheit des Landes in Erscheinung; als Krieger oder Kriegsherr, als Dichterin oder als Bambussammler, Bogenschütze oder Flötenspieler oder als buddhistische Gottheit. Jeweils gekleidet in prunkvolle Gewänder, teils auch als Rückenfigur und teils in Architekturdetails eingebunden, vereint sie die Komplexität der Geschehnisse und Verflechtungen im Leben; sie benennen in einem temperamentvollen Realismus konkrete Orte. Neben dem Mond, der an ganz unterschiedlichen Stellen im Bild auftauchen kann, verbindet die Holzschnitte die Anordnung von Textfeldern, die noch die Klarheit im Bildaufbau steigert. Man muss nicht im Detail wissen, worum es hier geht, welches Kapitel der japanischen Geschichte gerade aufgeschlagen ist: Yoshitoshis virtuose Fähigkeit zum Fabulieren alleine reicht, dass die Betrachtung seiner „Ansichten des Mondes“ ein Erlebnis wird.
Yoshitoshi – 100 Ansichten des Mondes | bis 9.1. | Museum für Ostasiatische Kunst Köln | 0221 22 12 86 17
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Stille Landschaften
Tanaka Ryōhei im Museum für Ostasiatische Kunst
Aufscheinende Traditionen
Helena Parada Kim im Museum für Ostasiatische Kunst – kunst & gut 02/24
Götter und Geister
Schätze der japanischen Mythologie
Gegenwart der Traditionen
„Horizonte“ im Museum für Ostasiatische Kunst in Köln – kunst & gut 02/23
Bilanz für die Zukunft
„Alles unter dem Himmel“ am Museum für Ostasiatische Kunst – kunst & gut 02/19
Ein Stück Identität
Jubiläumsausstellung im Museum für Ostasiatische Kunst – Kunst 11/18
Nahe Ferne
Leiko Ikemura im Museum für Ostasiatische Kunst – kunst & gut 11/15
Klee im Dialog
Paul Klee und der Ferne Osten in Köln – Kunst in NRW 01/15
Damals, auf einer längeren Reise
Fotografien des 19. Jahrhunderts im Museum für Ostasiatische Kunst – kunst & gut 08/14
Erotik und Inferno
Nobuyoshi Araki & Shirô Tsujimura im Museum für Ostasiatische Kunst – Kunstwandel 01/12
Ein Fest der Museen
Die Lange Nacht der Kölner Museen findet vom 5. auf den 6. November statt – Kunst in Köln 11/11
„Was ist ,analoger‘ als der menschliche Körper?“
Kuratorin Elke Kania über „Zeit-Bilder.“ im Aachener Kunsthaus NRW Kornelimünster – Interview 01/25
Mehr als Bilder an der Wand
„Museum der Museen“ im Wallraf-Richartz-Museum – kunst & gut 12/24
Vorgarten der Unendlichkeit
Drei Ausstellungen zwischen Mensch und All – Galerie 12/24
Vorwärts Richtung Endzeit
Marcel Odenbach in der Galerie Gisela Capitain – Kunst 11/24
Mit dem Surrealismus verbündet
Alberto Giacometti im Max Ernst Museum Brühl des LVR – kunst & gut 11/24
Außerordentlich weicher Herbst
Drei Ausstellungen in Kölner Galerien schauen zurück – Galerie 11/24
Fragil gewebte Erinnerungen
„We are not carpets“ im RJM – Kunst 10/24
Geschichten in den Trümmern
Jenny Michel in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach – kunst & gut 10/24
Ein Himmel voller Bäume
Kathleen Jacobs in der Galerie Karsten Greve – Kunst 09/24
Leben/Macht/Angst
„Not Afraid of Art“ in der ADKDW – Kunst 09/24
Lebenswünsche
„Körperwelten & Der Zyklus des Lebens“ in Köln – Kunst 09/24
Die Freiheit ist feminin
„Antifeminismus“ im NS-Dokumentationszentrum – Kunstwandel 09/24
Atem unserer Lungen
„Body Manoeuvres“ im Skulpturenpark – kunst & gut 09/24
Die Absurdität der Ewigkeit
Jann Höfer und Martin Lamberty in der Galerie Freiraum – Kunstwandel 08/24