Diskontinuierlich, nahezu fragmentarisch gestaltete sich die Erkundung des Bunkers in der Körnerstraße am vergangenen Wochenende. Ein Raumplan half zwar bei der Zuordnung der 22 Werke, doch klare Orientierung konnte auch dieser nicht verschaffen. Das Event ließ sich nur auf subjektiven Routen erschließen, passend zu dem bis zuletzt geheim gehaltenen Thema System und Chaos, Dystopie und Utopie. Auf ebendiese offene Spannweite wurde auch in der Auswahl der Ausstellungsstücke Wert gelegt. Videoprojektion reihte sich an Klanginstallation, Gemälde an Fotografie, Skulptur an Performatives. Darüber hinaus gab es ein Kurzfilmprogramm zu sehen und des Abends Livemusik auf die Ohren.
Die Idee der Eintagsfliege, eines studentischen Kunstkollektivs, im Kernteam bestehend aus den KuratorInnen Karen Druebert, Lisa James, Jakob Sponholz, Lina Weber und Sebastian Wenzgol, ist dabei stets, dass „die Arbeiten mit dem Raum getränkt sind“. In dieser unüblichen, man könnte fast sagen umgekehrten Herangehensweise, wird somit zuerst ein Ort ausgewählt, der durch seine Besonderheiten ein Thema vorgibt. Dabei sollte das Thema gleichermaßen eine Blickrichtung geben, wie Spielraum lassen. Petra Bossinger, Vorsitzende des Bunkers, ermutigte dazu den jungen Kunstverein: „Der Bunker wird euch schon sagen, was zu tun ist.“ Durch den Denkmalschutz, die durchwachsene Geschichte und nicht zuletzt die aufgebrochene Architektur des Ausstellungsortes entstand also die Vision einer Ausstellung, die Hoffnungsvolles und Abgründiges auf einer Projektionsfläche vereint. Und dabei sind natürlich gleichsam die veränderten Wahrnehmungs- und Handlungsmuster, die die Virtualität als neue Realität mit sich bringt, nicht wegzudenken.
Karen Druebert wirft dazu die Frage auf, inwieweit die dargestellten Utopien/Dystopien realisierbar seien und ob digitale Wirklichkeiten einen Realitätsanspruch hätten. In diesem Raum zwischen möglich/unmöglich, Alptraum/Alltag bewegte sich hier alles. Und die Besucher bewegten sich mit – ohne roten Faden durch ein System, das durch Reizüberflutung eine collagenhafte Wahrnehmung erzeugte, die selbst zum Glanzstück der Ausstellung wurde.
Tatsächlich fiel beim Streunern durch die Räume, dem puren Befolgen von Impulsen, auf, dass den meisten der ausgestellten Werke der dystopische Charakter anhing. Ein Facebook-Algorithmus legte die fehlgeleiteten Interessen der Webgemeinschaft offen, die sich mehr für #foodporn zu interessieren scheint, als für Feminismus. In dem Videoloop „Weiße Flecken“ konnte man in postapokalyptische Landschaften versinken, Ei-Tempera Leinwände zeigten Szenen politischen Aktionismus. Überall Splitter, Schnipsel, Fetzen und Schatten. Einer der Kuratoren, Jakob Sponholz, erklärt sich den düsteren Ton der eingereichten Arbeiten mit der aktuellen Weltlage: „Wir werden dauernd mit Hiobsbotschaften bombardiert, deswegen erfordert es wahnsinnig viel freies Denken, um Utopien zu erschaffen.“
Doch egal ob repräsentierte Dystopie oder Utopie – letztendlich ging es darum alternative Gesellschaftsformen zu erschaffen und spielerisch, eben künstlerisch, auszuprobieren. Zumindest jedes halbe Jahr intendiert dies die Eintagsfliege. Die Mission dabei lautet: Unberechenbar bleiben, uminterpretieren und flashen!
Info: tagsfliege.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Eine Messe für die Kunst
Die Art Cologne in den Deutzer Messehallen
Außerordentlich weicher Herbst
Drei Ausstellungen in Kölner Galerien schauen zurück – Galerie 11/24
Lebenswünsche
„Körperwelten & Der Zyklus des Lebens“ in Köln – Kunst 09/24
Die Absurdität der Ewigkeit
Jann Höfer und Martin Lamberty in der Galerie Freiraum – Kunstwandel 08/24
Unser Körper in Schichten
„Körperwelten & Der Zyklus des Lebens“ in Köln
Tage des Schlafwandelns
„Übergänge des Willens“ im KunstRaum St. Theodor – Kunstwandel 07/24
Das Gewicht der Gedanken
„scheinbar schwerelos“ im Zündorfer Wehrturm – Kunst 06/24
Suche nach Menschlichkeit
Burkhard Mönnich in der Galerie Martinetz – Kunst 05/24
Steigen, Verweilen, Niedersinken
Nadine Schemmann mit zwei Ausstellungen in Köln – Kunstwandel 05/24
Das Verbot, sich zu regen
„Es ist untersagt ...“ von Frank Überall im Gulliver – Kunstwandel 04/24
Makroproteste in der Mikrowelt
Agii Gosse in der Galerie Landmann-31 – Kunstwandel 03/24
Expansion in die Löwengasse
Kunstraum Grevy eröffnet Pop-Up-Store „Grevy Satellite“ – Kunst 02/24
Fragil gewebte Erinnerungen
„We are not carpets“ im RJM – Kunst 10/24
Geschichten in den Trümmern
Jenny Michel in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach – kunst & gut 10/24
Ein Himmel voller Bäume
Kathleen Jacobs in der Galerie Karsten Greve – Kunst 09/24
Leben/Macht/Angst
„Not Afraid of Art“ in der ADKDW – Kunst 09/24
Die Freiheit ist feminin
„Antifeminismus“ im NS-Dokumentationszentrum – Kunstwandel 09/24
Atem unserer Lungen
„Body Manoeuvres“ im Skulpturenpark – kunst & gut 09/24
Vor 1965
Marcel van Eeden im Museum Schloss Morsbroich in Leverkusen – kunst & gut 08/24
Atem formt Zeit
Alberta Whittle in der Temporary Gallery – Kunst 07/24
Niemals gleich
Roni Horn im Museum Ludwig – kunst & gut 07/24