Die artothek bietet für Kunstinteressierte schon seit beinahe 50 Jahren die Möglichkeit, Kunstwerke wie in einer Bibliothek auszuleihen und für zehn Wochen in die eigene Wohnung zu hängen. Dazu finden wechselnde Ausstellung Raum in dem kleinen Museum im Haus Saaleck, in direkter Nachbarschaft zum Dom. Am Mittwoch, den 28. Oktober, während erneut Entscheidungen über die Einschränkungen des öffentlichen Lebens getroffen wurden, eröffnete eine Ausstellung mit Plastiken von Camillo Grewe (*1988). Unter dem Titel „afterlife“ kommen acht Plastiken des Künstlers in den zwei Etagen der Galerie zusammen.
Grewe, der an der Kunstakademie Düsseldorf bei Andreas Gursky und an der Akademie der Bildenden Künste Wien bei Heimo Zobernig studierte, ist der diesjährige Preisträger des Friedrich-Vordemberge-Stipendiums für Bildende Kunst. Die Finanzspritze in Höhe von aktuell 12.000 Euro wird von der Stadt Köln NRW-weit für junge Künstlerinnen und Künstler ausgelobt. Astrid Bardenheuer, Leiterin der artothek, führt als Jurymitglied des Preises mit dem Künstler Grewe durch die Ausstellung. Diese erhält durch die Aufteilung der Räume in „earlier“ (unten) und „later“ (oben) auch ein an die Raumgegebenheiten angepasstes Narrativ.
Drei überlebensgroße, anthropomorphe Rattenwesen dominieren die untere Etage: „Hängen – Lehnen – Liegen“ treten in ungewöhnliche Beziehungen zu ihren weißen, kantigen Sockeln. Eine der aus grauem Noppenstoff genähten Figuren hängt bäuchlings auf dem aufgestellten Podest, die zweite lehnt erschöpft an dem ihren, die dritte liegt gar – man könnte meinen, laut schnarchend – auf dem dritten, umgekippten Sockel.
„Ich wollte drei Skulpturen machen, die vorher auf dem Sockel standen, aber dann keine Lust mehr hatten“, kommentiert Grewe das Trio. Der 32-Jährige setzt sich gerne mit den Rahmenbedingungen seiner Kunst auseinander; hinterfragt Podeste, Rahmungen, Anbringungen und marktübliche Verfahren.
Zwischenbereiche zwischen Kunst und Kitsch
Eingehüllt in eine organisch anmutende Pappmaché-Umkranzung leistet ein Selbstporträt Grewes den Tierwesen Gesellschaft. „Ich dachte, ich mache es mir mit den Skulpturen gemütlich“, erzählt der Künstler. Bevor er das Gemälde in der „Lockdown“-Zeit malte, habe er sich dieser Kür lange nicht mehr gewidmet. „Es ist jetzt ein bisschen düster ausgefallen, sehe ich im Nachhinein. Es geht auch Richtung Harley-Davidson-Ästhetik. Der Zwischenbereich interessiert mich sehr, wo es Richtung Kitsch geht. Das ist dann auch mal ein bisschen unangenehmer, aber das macht es interessant für mich.“ Tatsächlich erinnert das Gemälde aufgrund eines speziellen Details auch an die Selbstporträts von Frida Kahlo.
Alle anderen Ausstellungsstücke sind erst kurz vor der Eröffnung erst fertig geworden, sie sind also bisher ungesehen. Im ersten Stock strotzt ein gehäkeltes Netz hinter Plexiglas vor Farbe und Pappmaché-Kleister. Mehrere Kleiderbügel bilden eine technisch faszinierende Kette von der Decke bis zum Boden.
Und in einem bunten Orakelrund entstand ein traumfängerartiges Netz namens „Chor“. „Da ist die Überlegung, was ist, wenn man so lange stehenbleibt, bis die Spinnen einen erwischen“, so erklärt Bardenheuer das große Spinnennetz. „Das Häkeln ist mir wichtig“, ergänzt Grewe. „Daran kann man das Arbeitstempo ablesen, das viel langsamer ist als das mit der Hand Pappmaché-Anbringen. Es ist eine Gegenüberstellung der verschiedenen Geschwindigkeiten.“
Der bildende Künstler ist auch disziplinübergreifend aktiv, indem er in der Band Fragil mit „Prosecco Punk“ eine eigene Rock-Pop-Mischung spielt. Außerdem wirkte er bereits als Komponist in der Oper „Amor und die Tiere“ von Agnes Scherer mit.
Die handwerklichen Techniken wie das Nähen und das Häkeln lernte er als Kind, seitdem hörte er nicht mehr damit auf. „Eine Freundin hat mir das Nähen mit der Nähmaschine gezeigt“, berichtet Grewe über die Entstehung der rattigen Riesen. „Das Schwierigste waren die Füße, das war schon knifflig. Auch der Kopf war erst viel zu groß, da habe ich rumprobiert, mir auch Teddy-Muster angeguckt.“
Materialien im Prozess
Bardenheuer erläutert noch einmal, warum die Wahl der Preisjury auf Camillo Grewe fiel: „Er verwendet eigentlich klassische bildhauerische Techniken, aber bricht sie auf Arten, die ganz ungewöhnlich sind. Es entstehen Gesamtkunstwerke aus verschiedenen Materialien, doch man sieht, dass wir uns nicht am Ende einer Entwicklung befinden, sondern mittendrin. Eigentlich ist es auch eine Auseinandersetzung mit der Institution Museum, mit der Präsentation. Grewe zeigt: Was passiert, nachdem der Künstler weg ist?“
Es solle für die Betrachtenden immer nachvollziehbar bleiben, welche Prozesse zur Entstehung des Endprodukts führten, fügt Grewe hinzu. „Ich sehe kreatives Potenzial, das nicht in der Materialveredlung besteht. Teilweise weiß ich währenddessen auch selbst noch nicht, wo es hingeht. Aber die Materialien inspirieren mich.“
Mit dem Preisgeld konnte sich der Künstler mehr Platz in seinem geteilten Atelier schaffen – und es ermöglicht ihm, sich zeitlich voll der Kunst zu widmen, ohne von zu vielen anderen Dingen abgelenkt zu werden.
Camillo Grewe: afterlife | bis 19.12., Di-Fr 13-19, Sa 13-16 Uhr, während des Teil-Lockdowns Besuch nach Terminvergabe | artothek – Raum für junge Kunst | 0221 22 12 23 32
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