Auch am Tag der Kapitulation ist die Sonne über Japan aufgegangen. Hiroshi Hamaya hat sie fotografiert. Ein düsteres Bild, dessen Symbolwirkung wohl eher die Jahre vor 1945, als die danach, definiert. Diese Fotografie ist wie manch andere Bild-Ikone in der fast 80 Exponate umfassenden Ausstellung „Metamorphosis of Japan After the War“ derzeit im Japanischen Kulturinstitut in Köln zu sehen. Japans Gesellschaft hat enorme Veränderungen in den letzten sechs Jahrzehnten vollzogen und seine Fotografen dokumentierten sie vom ersten Tag an.
Bis heute ist die enorme Produktivität der Buchverlage und vor allem der Magazine ein Motor der Bildentwicklung in Japan geblieben. Etliche Magazin, die in den Jahren des Kaiserreichs verboten waren oder nur unter dem Ladentisch verkauft wurden, konnten nach dem Kriege auf den Markt der Illustrierten drängen. Die Ausstellung zeigt überzeugend, mit welch klarem Blick die Veränderungen der Nachkriegsgesellschaft betrachtet wurden. Da trauern Eltern 1956 um den Sohn, der im Zweiten Weltkrieg gefallen ist, schmutzige Straßenkinder, wie sie heute in Japan undenkbar wären, sitzen 1946 in Tokyo rauchend auf der Straße, und einzelne Schulkinder schämen sich darüber, dass sie im Gegensatz zu ihren Kameraden kein Schulbrot haben. Auch die zur Ikone gewordene Reispflückerin von Hiroshi Hamaya lässt keinen Zweifel daran, dass die Arbeit auf dem Lande einem harten Kampf gleichkommt, den man mit der Natur ausficht.
Japan besaß aber schon damals viele Gesichter. Zum Beispiel das der zufriedenen Wohlstandsbürger auf Tokyos Geschäftsstraßen, der Familien, die allmählich in die Normalität finden oder der Badeorte, in denen Männer und Frauen gemeinsam baden und ihre sichtliche Freude miteinander teilen. So unterschiedlich die Sujets und die Temperamente der Fotografen sein mögen, durch die Ausstellung weht ein dezentes Aroma von Freiheit und dem Gefühl einer Erleichterung. Die Japaner sind entschlossen, aus der neuen Situation etwas zu machen und der plötzliche Wohlstand hebt das Lebensgefühl. Freilich wird der Druck, den die Industriegesellschaft auf den Einzelnen ausübt, durchaus schon sichtbar mit dem Blick auf eine Managerelite, die sich uniformiert wie eine Riege Schuljungen präsentiert. Das Finale bilden Fotografien von Eikoh Hosoe. Dessen Porträt von Yukio Mishimas, das den Schriftsteller mit Rose im Mund und leidenschaftlichem Blick zeigt, deutet auf eine neue Epoche. Mishima wird zum Protagonisten einer romantischen Gesellschaftskritik, die auf die Verluste an Identität und Tradition verweist, mit denen Japan die Hinwendung zur Industrienation bezahlt. Eine Ausstellung, in der man gerne viel Zeit verbringt und die Gelegenheit hat, auch die Arbeiten der großen Fotografen wie Ikko Narahara oder Shomei Tomatsu zu bewundern.
Ausstellung „Metamorphosis of Japan After the War“ | Ausstellung bis 29. 9. | geöffnet: Mo-Fr 9-13 Uhr und 14-17 Uhr. Juni und September Sa 10-17 Uhr | Universitätsstraße 98, Köln | www.jki.de
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