Peter Kubelka (83) wählt aus den aufgereihten Brotlaiben einen aus, schneidet mit einem Brotmesser eine Scheibe herunter, die er mittels Buttermesser dick mit Butter beschmiert und präsentiert das Ergebnis dem Publikum. Was simpel aussieht, erweist sich im Laufe des Abends als Parforceritt durch Kulturanthropologie und Menschheitsgeschichte. Kubelkas zentrale These: Das Herstellen eines Butterbrotes, generell das Zubereiten von Speisen, sei ein künstlerischer Prozess wie Malerei, Musik oder Dichtung. Der Medienkünstler erläutert uns: „Damit meine ich nicht die 5-Sterne-Küche, die fürs Auge, nicht aber für Mund und Geschmack produziert. Mir geht es um einfache Elemente und Traditionen. Es gilt, das Erbe der Menschheit zu nutzen.“ Für ihn ist das Butterbrot eine Metapher, die das Individuum im Hier und Jetzt verortet.
Das griechische „metaphorein“ heißt „woanders hintragen“ und meint einen bildlichen Ausdruck. Metapher beruht, wie Butterbrot und Universum, auf zwei Elementen. Sprache funktioniert zwischen zwei Wörtern: Butterbrot, Butterfass, Fassbier erzeugen jeweils andere Bilder. Malerei basiert auf einfachsten Formen: Aus einem Kreis kann ein Gesicht oder ein Apfel entstehen. Musik funktioniert zwischen zwei Tönen: mit der Quint, Intervall zwischen C und F, lassen sich existenzielle Botschaften vermitteln. Kubelka demonstriert das am Kinderlied „Hänschen Klein“, dessen geometrischen Aufbau und emotionale Dramatik er an einer Zeichnung erläutert. Gefragt, woher seine Erkenntnisse stammen, erklärt der Träger des Großen Österreichischen Staatspreises: „Ich wollte schon als Kind wissen, wer wir sind und was geschieht. Der Religionslehrer konnte meine Fragen nicht beantworten. Philosophie erwies sich als unbrauchbar, weil sie Lyrik mit bestimmten Zielsetzungen ist. Die wichtigsten Informationen habe ich aus der Anthropologie. In archaischen Kulturen ist vieles gleich.“
Zurück zum Butterbrot. Für die Butter ist Milch vonnöten, weshalb die Kuh domestiziert wurde. Der Mensch füttert und beschützt sie und bekommt dafür Milch. Beim Melken wird das Euter durch Massage erotisiert. Kubelka zeigt eine 5000 Jahre alte Tonkuh aus Palästina, die als Milchgefäß diente. Der Sprung über eine Porzellankuh zur heutigen Kaffeetasse erstaunt. Ein Gefäß ist die Domestizierung des Raumes, die Kuh wurde geometrisiert, bei der Tasse halten wir die Kuh am Schwanz, so der langjährige Professor der Frankfurter Städelschule.
Bereits die Vorsokratiker erkannten, dass Götter von Menschen gemacht sind. Der Koch, der das Material den Elementen aussetzt, war Vorbild für den Schöpfergott. Kubelka zu uns: „Ethnologie erklärt die religiöse Frage: Religion ist Trost und Lebenshilfe.“ Bei der Milch trennen sich Wasser und Fett, das abgeschöpft und zu Sahne wird, die durch Schütteln zu Butter wird. Der ehemalige Sängerknabe zieht die Analogie zur Kinderrassel: Synchronizität aus Ton und Bewegung. Aus der Schüttelbewegung entstehe Tanz. Auf unsere Anmerkung, dass einige heute nicht mehr wissen, wie man Sahne herstellt, antwortet Kubelka: „Ein Phänomen unserer Zeit. Ich bin kein Mahner. In der Evolution geht alles in Wellen. Es wird wieder eine Generation kommen, die weiß, was dahinter steckt.“
Das früheste nachweisbare Brot wurde vor 30.000 Jahren gebacken. Bei den Aborigines werfen Frauen Getreide in die Luft, um Körner und Schale zu trennen. Das sei Analyse, Auseinandernehmen. Korn wird zwischen Steinen gemahlen, das mit Wasser befeuchtete Mehl rhythmisch geknetet. Aus der Wirkungsgeste wird die Tanzgeste, so Kubelka. Früher nahm man den Teig in den Mund, um mit Spucke die Gärung anzustoßen. Aus der Mund-zu-Mund-Fütterung sei der Kuss entstanden. Während Jäger und Sammler Brot auf heißen Steinen buken, erfanden die Sesshaften den Ofen. Nun wurde Getreide mühsam angebaut – die Nomadenzeit ohne Sähen und Ernten zum Paradies verklärt. Jetzt mussten Körner für die Aussaat aufgehoben werden. Der Mensch lernte, sich für eine bessere Zukunft zu mäßigen. In allen Kulturen waren es Frauen, die das Feuer bewachten und damit Macht über Leben und Tod besaßen. Zum Schluss beißt Peter Kubelka genussvoll in das Butterbrot: Eine Polyfonie, denn man könne Brot und Butter getrennt oder zusammen lesen. Und fasst nochmals zusammen: Kochen ist älter als die Kunst. Es bedeutet auszuwählen, was man wie zusammenstellt – die Veränderung des Universums in seinem Sinn.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Musik greifbar machen
Eigene Label sind für junge Jazzer nahezu obligatorisch – Improvisierte Musik in NRW 04/18
Gar nicht langsam
Ein Schweizer Drummer wird Kölner Preisträger – Improvisierte Musik in NRW 09/17
Aus der Welt der Gefühle
Das Kölner Vokalquartett Of Cabbages And Kings – Improvisierte Musik in NRW 06/17
In Stücke blasen
Das Gerd Dudek Quartett ehrt John Coltrane – Improvisierte Musik in NRW 07/16
Glühwein und Stollen
Köln jazzt zur Weihnachtszeit – Improvisierte Musik in NRW 12/15
Köln-Jubiläum
Simon Nabatov feiert im Loft – Improvisierte Musik in NRW 05/15
Fest in Müllers guter Stube
Verdienstkreuz für die Pflege Improvisierter Musik – Improvisierte Musik in NRW 03/15
Ungewöhnliches Komponistenleben
„Anaparastasis: Life & Work of Jani Christou“ im Museum Ludwig – Foyer 09/12
Einzelfälle mit Struktur
„Ausgrenzung, Entrechtung, Widerstände“ im Friedensbildungswerk – Spezial 11/24
Wurzeln des Rechtsextremismus
Online-Vortrag „Ist die extreme Rechte noch zu stoppen?“ – Spezial 09/24
Eine Historie des Rassismus
Der Kölner Rom e.V. unterstützt Sinti und Roma – Spezial 07/24
Zeitlose Seelenstifter
„Kulturretter:innen“ im NS-Dok – Spezial 06/24
Die Stimme des Volkes?
Vortrag „Was Populisten wollen“ in Köln – Spezial 06/24
Gezielt helfen
Ingrid Hilmes von der Kölner Kämpgen-Stiftung – Spezial 05/24
Zwangloses Genießen?
Vortrag „Die post-ödipale Gesellschaft“ im Raum für Alle – Spezial 04/24
Stabiler Zusammenhalt
„Der Streitfall“ in der Stadtbibliothek – Spezial 03/24
Der Traum von Demokratie
#Streitkultur mit Michel Friedman am Urania Theater – Spezial 02/24
Narrative der Armut
Christopher Smith Ochoa in der VHS – Spezial 11/23
„Gedenken ist kein rückwärtsgerichtetes Tun“
Seit rund einem Jahr leitet Henning Borggräfe das NS-Dok – Interview 10/23
Soziale Vision der Wärmewende
Konferenz in Bocklemünd – Spezial 10/23
Klimarettung in der Domstadt
Die 2. Porzer Klimawoche – Spezial 09/23
Alle Hebel in Bewegung setzen
Arsch huh, Zäng ussenander und Fridays for Future beim Gamescom City Festival – Spezial 09/23
Ein Teil des „Wir“
Diskussion in der Bundeskunsthalle – Spezial 08/23
Auf Augenhöhe
25 Jahre Philosophisches Café in Bonn – Spezial 07/23
Arbeitsstreik und Lebensdichtung
„Her mit dem guten Leben!“ in der BKH Bonn – Spezial 0623