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Der Künstler Peter Kubelka mit Butterbrot
Foto: Katja Sindemann

Die Welt in einem Butterbrot

30. Mai 2017

reiheM präsentiert Peter Kubelkas Lecture-Performance „Das Butterbrot und andere Metaphern“ – Spezial 06/17

Peter Kubelka (83) wählt aus den aufgereihten Brotlaiben einen aus, schneidet mit einem Brotmesser eine Scheibe herunter, die er mittels Buttermesser dick mit Butter beschmiert und präsentiert das Ergebnis dem Publikum. Was simpel aussieht, erweist sich im Laufe des Abends als Parforceritt durch Kulturanthropologie und Menschheitsgeschichte. Kubelkas zentrale These: Das Herstellen eines Butterbrotes, generell das Zubereiten von Speisen, sei ein künstlerischer Prozess wie Malerei, Musik oder Dichtung. Der Medienkünstler erläutert uns: „Damit meine ich nicht die 5-Sterne-Küche, die fürs Auge, nicht aber für Mund und Geschmack produziert. Mir geht es um einfache Elemente und Traditionen. Es gilt, das Erbe der Menschheit zu nutzen.“ Für ihn ist das Butterbrot eine Metapher, die das Individuum im Hier und Jetzt verortet.

Das griechische „metaphorein“ heißt „woanders hintragen“ und meint einen bildlichen Ausdruck. Metapher beruht, wie Butterbrot und Universum, auf zwei Elementen. Sprache funktioniert zwischen zwei Wörtern: Butterbrot, Butterfass, Fassbier erzeugen jeweils andere Bilder. Malerei basiert auf einfachsten Formen: Aus einem Kreis kann ein Gesicht oder ein Apfel entstehen. Musik funktioniert zwischen zwei Tönen: mit der Quint, Intervall zwischen C und F, lassen sich existenzielle Botschaften vermitteln. Kubelka demonstriert das am Kinderlied „Hänschen Klein“, dessen geometrischen Aufbau und emotionale Dramatik er an einer Zeichnung erläutert. Gefragt, woher seine Erkenntnisse stammen, erklärt der Träger des Großen Österreichischen Staatspreises: „Ich wollte schon als Kind wissen, wer wir sind und was geschieht. Der Religionslehrer konnte meine Fragen nicht beantworten. Philosophie erwies sich als unbrauchbar, weil sie Lyrik mit bestimmten Zielsetzungen ist. Die wichtigsten Informationen habe ich aus der Anthropologie. In archaischen Kulturen ist vieles gleich.“

Zurück zum Butterbrot. Für die Butter ist Milch vonnöten, weshalb die Kuh domestiziert wurde. Der Mensch füttert und beschützt sie und bekommt dafür Milch. Beim Melken wird das Euter durch Massage erotisiert. Kubelka zeigt eine 5000 Jahre alte Tonkuh aus Palästina, die als Milchgefäß diente. Der Sprung über eine Porzellankuh zur heutigen Kaffeetasse erstaunt. Ein Gefäß ist die Domestizierung des Raumes, die Kuh wurde geometrisiert, bei der Tasse halten wir die Kuh am Schwanz, so der langjährige Professor der Frankfurter Städelschule.

Bereits die Vorsokratiker erkannten, dass Götter von Menschen gemacht sind. Der Koch, der das Material den Elementen aussetzt, war Vorbild für den Schöpfergott. Kubelka zu uns: „Ethnologie erklärt die religiöse Frage: Religion ist Trost und Lebenshilfe.“ Bei der Milch trennen sich Wasser und Fett, das abgeschöpft und zu Sahne wird, die durch Schütteln zu Butter wird. Der ehemalige Sängerknabe zieht die Analogie zur Kinderrassel: Synchronizität aus Ton und Bewegung. Aus der Schüttelbewegung entstehe Tanz. Auf unsere Anmerkung, dass einige heute nicht mehr wissen, wie man Sahne herstellt, antwortet Kubelka: „Ein Phänomen unserer Zeit. Ich bin kein Mahner. In der Evolution geht alles in Wellen. Es wird wieder eine Generation kommen, die weiß, was dahinter steckt.“

Das früheste nachweisbare Brot wurde vor 30.000 Jahren gebacken. Bei den Aborigines werfen Frauen Getreide in die Luft, um Körner und Schale zu trennen. Das sei Analyse, Auseinandernehmen. Korn wird zwischen Steinen gemahlen, das mit Wasser befeuchtete Mehl rhythmisch geknetet. Aus der Wirkungsgeste wird die Tanzgeste, so Kubelka. Früher nahm man den Teig in den Mund, um mit Spucke die Gärung anzustoßen. Aus der Mund-zu-Mund-Fütterung sei der Kuss entstanden. Während Jäger und Sammler Brot auf heißen Steinen buken, erfanden die Sesshaften den Ofen. Nun wurde Getreide mühsam angebaut –­ die Nomadenzeit ohne Sähen und Ernten zum Paradies verklärt. Jetzt mussten Körner für die Aussaat aufgehoben werden. Der Mensch lernte, sich für eine bessere Zukunft zu mäßigen. In allen Kulturen waren es Frauen, die das Feuer bewachten und damit Macht über Leben und Tod besaßen. Zum Schluss beißt Peter Kubelka genussvoll in das Butterbrot: Eine Polyfonie, denn man könne Brot und Butter getrennt oder zusammen lesen. Und fasst nochmals zusammen: Kochen ist älter als die Kunst. Es bedeutet auszuwählen, was man wie zusammenstellt – die Veränderung des Universums in seinem Sinn.

Katja Sindemann

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