Selten kommt eine Themenausstellung so konzentriert und ohne Umschweife zur Sache wie die aktuelle Jahresausstellung in Kolumba. Ausgehend vom Sujet des Körpers, seiner Wahrnehmung aus der Nähe und der Ferne, seiner Berührung und der Distanz, seiner Aktivität und der Erinnerung an ihn beziehen die einzelnen Werke ihren künstlerischen Entstehungsprozess ein. Mehrere Einzelausstellungen, die nacheinander folgen, vergegenwärtigen Handlungen und Bewegungen, die teilweise hier stattgefunden haben: mit Anne Teresa De Keersmaeker mit ihrem Ensemble Rosas, welches die Räume eroberte, wozu eine Folge von Zeichnungen auf Papier ausgestellt ist, sowie mit Richard Tuttle, dessen Zeichnungen aus Schnüren auf dem Boden durch Tänzer immer wieder neu hergestellt, ja: aufgeführt werden.
Eine Ausnahme von der Linearität einzelner Beiträge bilden die Werke des Bildhauers Heinz Breloh (1940-2001). Erst im November hinzugefügt, ist seine Retrospektive, die auch die Videofilme berücksichtigt, im ganzen Haus verteilt. Die Konzepte von Breloh geben den Takt für alles vor. Es geht ihm um den skulpturalen Körper und die Sicht auf ihn aus verschiedenen Betrachtungsperspektiven. Seine Skulpturen sind riesig und sie sind winzig; sie sind nie statisch, und so wie Breloh die Oberfläche des Gips oder Ton durchfurcht, so denkt er die psychische Verfasstheit mit. Zugleich tragen die Figuren und ihre Fragmente die ständige Veränderung in sich.
Das gilt in Kolumba, im ersten Obergeschoss, ähnlich für eine Skulptur des 17. Jahrhunderts aus Lindenholz, die ein Dreigesicht – die Heilige Dreifaltigkeit – zeigt: als Schütteln des Kopfes bis hin zur geistigen Verwirrung oder als Nacheinander verschiedener Zeitstufen.
In einer der ausgestellten Fotosequenzen von Duane Michals wiederum beinhaltet das aneinander Vorbeigehen Momente des „Berührt-Seins“, zumal seinen behutsamen Bildern etwas Traumhaftes innewohnt, als entstammten sie bereits bei ihrer Aufnahme der Erinnerung. Die zweite Fotokünstlerin der Ausstellung ist die früh verstorbene Hannah Villiger, die sich selbst als Bildhauerin sah. Sie zeigt, als Polaroids im Abstand einer Armlänge aufgenommen und vergrößert auf Aluminiumplatten aufgezogen, eigene Körperdetails, die Sinnlichkeit und die schiere Existenz befragen.
Eine Art gemeinsamer Produktionsstätte ist das „Büro für Augen, Nase, Zunge, Mund, Herz, Hand und Maske (die alles überdeckt)“ der Künstler des „Kunsthaus KAT18“ in Köln, die sich hier, in der kontinuierlichen, unvorhersehbaren Zusammenarbeit als Teile eines kollektiven Körpers verstehen und dazu verblüffende bildnerische Lösungen gefunden haben. Ein weiteres ganz selbstverständliches Ereignis schildert das Video von Esther Kläs im Armarium. Es zeigt eine Frau und einen Mann, die sich die Hände schütteln. Reflexartig beginnt dies durch eine Berührung der Unterarme, wie wir es aus der Coronazeit kennen. Das Handgeben aber wird zur körperlichen Erfahrung der Wiederbegegnung und vollzieht dabei verschiedene Phasen zwischen Förmlichkeit, Erleichterung und Freude: Einfacher und klarer lässt sich das Thema dieser Ausstellung nicht darstellen.
„Das kleine Spiel zwischen dem Ich und dem Mir“ – Kunst und Choreografie | bis 16.8. | Kolumba | 0221 933 19 30
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