Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.584 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Ausstellungsansicht im Kolumba mit Archivvoltenfiguren aus dem Petersportal des Kölner Doms, 1375 - um 1390, © Kolumba
Foto: Lothar Schnepf, Köln

Viele Handschriften

22. Dezember 2016

„Über das Individuum“ – Die Jahresausstellung im Kolumba – kunst & gut 01/17

Der Ausstellungstitel „Me in a no-time state“ hilft weiter. Er ist einer Malerei-Folge von Chris Newman entlehnt, die auch ausgestellt ist. „Ich in einem zeitlosen Zustand“: die Überwindung zeitlicher Begrenztheit ist Teil des Programmes aller Jahresausstellungen des Kolumba. In der aktuellen Ausstellung aber liegt die Betonung auf dem „Ich“. Aber wo findet sich das „Ich“ des Betrachters wieder in der Ausstellung? Im Dialog mit dem Kunstwerk in seiner Einzigartigkeit, zumal wenn es sich um figurative Werke handelt? Oder im Künstler, der in der Gegenwartskunst erst den „Wert“ eines Kunstwerkes zementiert, aber in der mittelalterlichen Kunst häufig unbekannt blieb? Folglich ist es nun angenehm tollkühn, dass die Ausstellung mit Spielzeug-Robotern der 1960er bis 1990er Jahre beginnt: Wird in ihnen, in der Menge und in ihrer formalen Gleich- und Differenziertheit, nicht schon die Frage nach der Ersetzbarkeit des Menschen und der künstlichen Produktion gestellt?

Von hier aus erschließt sich vieles plausibel. Da sind, im Stockwerk darüber, die „Videoportraits“ (1996-2015) von Kurt Benning, in denen einzelne Personen aus ihrem Leben berichten. An späterer Stelle folgt seine fotografische, von einem Video begleitete Serie „Burgtreswitzmensch“ (1969-2016): Benning nähert sich hier dem einzelnen Menschen über seine Hinterlassenschaften. Er demonstriert mit denkbar stillen Bildern Individualität. Das zeichnet auch die Tunika aus, die aus dem Ägypten des 5.-7. Jahrhunderts n.Chr. stammt. Sie wurde von einem Christen getragen und als Grabbeigabe mit bestattet. Sie liefert Hinweise zu ihrem Gebrauch und auch zum Besitzer und wird damit zum Stellvertreter des Menschen. Erstaunlich ist auch die frühe Personalisierung selbst von Heiligenfiguren. Herausragendes Beispiel dafür sind die farbig gefassten „Vier Gekrönten“ (nach 1445) aus Sandstein, die Konrad Kuyn zugeschrieben werden. Sie entstammen der Heiligenlegende und sind – jeweils an ihrem Handwerkswerkzeug zu erkennen – Bildhauer, Werkmeister, Steinmetz und Polier, wobei der Naturalismus vor allem der Häupter beeindruckend ist.

Schade, dass dieser einmal direkte, dann wieder diskrete rote Faden nicht durchgängig festzustellen ist. Aber nur einmal enttäuscht die Ausstellung: Chris Newman‘s Installation inmitten von Kounellis‘ Arbeit „Tragedia civile“ ist ein Drama. Sie blockiert die Raumerfahrung und zerstört die Aura. Andererseits ist es ein anregendes Konzept, dass unterschiedliche Werke und Zeiten ineinander verschränkt sind und sich daneben die Sphären der Kunst, des Design und der sakralen Gerätschaften mischen. Stefan Wewerka etwa hat sich um die Trennung zwischen „angewandt“ und „frei“ einen Teufel geschert und sie aufgehoben, indem er Mobiliar zerlegt und die Teile skulptural kombiniert hat. Das gilt auch für seine pragmatische Wohneinheit „CELLA, mit Küchenbaum und Einschwinger“ (1984). Sie ist als Vorschlag zu Reduktion und Bescheidenheit im alltäglichen Leben zu sehen, hier ausgeführt als singuläres Werk und denkbar für die Massenproduktion.

Wie schon bei den früheren Jahresausstellungen sind gegenstandsfreie Malereien zu sehen, die einen primär kontemplativen Charakter besitzen und bei denen der Künstler als Schöpfer ganz hinter dem Entstehungsprozess verschwindet. Demgegenüber verhält sich die Malerei von Eugène Leroy zwischen Gegenstand und Abstraktion, indem sie die Figur in Impasto-Technik ohne Kontur aus Farbgespinsten formuliert und sozusagen ihre Schöpfung vor Augen führt. Die Mini-Retrospektive mit vier Gemälden aus vier Jahrzehnten des hochgeschätzten, selten gezeigten französischen Malers ist ein Höhepunkt der Ausstellung. Überhaupt unternimmt es die Ausstellung immer wieder, das Werk eines Künstlers an anderer Stelle mit weiteren Beiträgen wieder aufzunehmen und so, in neuem zeitlichen oder inhaltlichen Umfeld, zu befragen: Ein guter Weg, um das Besondere herauszuarbeiten.

„Me in a no-time state“ – Über das Individuum | bis 14.8. | Kolumba | 0221 93 31 93 32

THOMAS HIRSCH

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

Orte abermals zu besuchen
„making being here enough” im Kolumba – kunst & gut 01/23

Gelassen anspruchsvolles Sehen und Lesen
Kolumba zeigt „In die Weite – Aspekte jüdischen Lebens in Deutschland“ – kunst & gut 03/22

Der Körper aus verschiedenen Perspektiven
Jahresausstellung in Kolumba: „Das kleine Spiel zwischen dem Ich und dem Mir“ – kunst & gut 08/21

Wieder da
Die neue Jahresausstellung in Kolumba – kunst & gut 11/19

Malerei ohne Gewicht
Heiner Binding in Kolumba – kunst & gut 03/19

Im Dialog mit Gästen
„Pas de deux“ im Kolumba – kunst & gut 04/18

Theorie in der Praxis
Bethan Huws in Kolumba – Kunst in NRW 06/16

Leise Geschichten
„Ordnungen des Erzählens“ in Kolumba – kunst & gut 12/15

Frohes Hoffen
Die Jahresausstellung im KOLUMBA in Köln – Kunst in NRW 10/14

Ausweitung der Möglichkeiten
Achim Lengerer im Kolumba in Köln – Kunst in NRW 08/14

Verwandeltes Fleisch
Paul Thek in der Jahresausstellung des Kolumba – Kunst in Köln 08/13

Die hohe Kunst des Mittelalters
Bis Ende Februar stellt das Museum Schnütgen Meisterwerke des mittelalterlichen Köln aus – Kunst in Köln 02/12

Kunst.

Hier erscheint die Aufforderung!