Der Ausstellungstitel „Me in a no-time state“ hilft weiter. Er ist einer Malerei-Folge von Chris Newman entlehnt, die auch ausgestellt ist. „Ich in einem zeitlosen Zustand“: die Überwindung zeitlicher Begrenztheit ist Teil des Programmes aller Jahresausstellungen des Kolumba. In der aktuellen Ausstellung aber liegt die Betonung auf dem „Ich“. Aber wo findet sich das „Ich“ des Betrachters wieder in der Ausstellung? Im Dialog mit dem Kunstwerk in seiner Einzigartigkeit, zumal wenn es sich um figurative Werke handelt? Oder im Künstler, der in der Gegenwartskunst erst den „Wert“ eines Kunstwerkes zementiert, aber in der mittelalterlichen Kunst häufig unbekannt blieb? Folglich ist es nun angenehm tollkühn, dass die Ausstellung mit Spielzeug-Robotern der 1960er bis 1990er Jahre beginnt: Wird in ihnen, in der Menge und in ihrer formalen Gleich- und Differenziertheit, nicht schon die Frage nach der Ersetzbarkeit des Menschen und der künstlichen Produktion gestellt?
Von hier aus erschließt sich vieles plausibel. Da sind, im Stockwerk darüber, die „Videoportraits“ (1996-2015) von Kurt Benning, in denen einzelne Personen aus ihrem Leben berichten. An späterer Stelle folgt seine fotografische, von einem Video begleitete Serie „Burgtreswitzmensch“ (1969-2016): Benning nähert sich hier dem einzelnen Menschen über seine Hinterlassenschaften. Er demonstriert mit denkbar stillen Bildern Individualität. Das zeichnet auch die Tunika aus, die aus dem Ägypten des 5.-7. Jahrhunderts n.Chr. stammt. Sie wurde von einem Christen getragen und als Grabbeigabe mit bestattet. Sie liefert Hinweise zu ihrem Gebrauch und auch zum Besitzer und wird damit zum Stellvertreter des Menschen. Erstaunlich ist auch die frühe Personalisierung selbst von Heiligenfiguren. Herausragendes Beispiel dafür sind die farbig gefassten „Vier Gekrönten“ (nach 1445) aus Sandstein, die Konrad Kuyn zugeschrieben werden. Sie entstammen der Heiligenlegende und sind – jeweils an ihrem Handwerkswerkzeug zu erkennen – Bildhauer, Werkmeister, Steinmetz und Polier, wobei der Naturalismus vor allem der Häupter beeindruckend ist.
Schade, dass dieser einmal direkte, dann wieder diskrete rote Faden nicht durchgängig festzustellen ist. Aber nur einmal enttäuscht die Ausstellung: Chris Newman‘s Installation inmitten von Kounellis‘ Arbeit „Tragedia civile“ ist ein Drama. Sie blockiert die Raumerfahrung und zerstört die Aura. Andererseits ist es ein anregendes Konzept, dass unterschiedliche Werke und Zeiten ineinander verschränkt sind und sich daneben die Sphären der Kunst, des Design und der sakralen Gerätschaften mischen. Stefan Wewerka etwa hat sich um die Trennung zwischen „angewandt“ und „frei“ einen Teufel geschert und sie aufgehoben, indem er Mobiliar zerlegt und die Teile skulptural kombiniert hat. Das gilt auch für seine pragmatische Wohneinheit „CELLA, mit Küchenbaum und Einschwinger“ (1984). Sie ist als Vorschlag zu Reduktion und Bescheidenheit im alltäglichen Leben zu sehen, hier ausgeführt als singuläres Werk und denkbar für die Massenproduktion.
Wie schon bei den früheren Jahresausstellungen sind gegenstandsfreie Malereien zu sehen, die einen primär kontemplativen Charakter besitzen und bei denen der Künstler als Schöpfer ganz hinter dem Entstehungsprozess verschwindet. Demgegenüber verhält sich die Malerei von Eugène Leroy zwischen Gegenstand und Abstraktion, indem sie die Figur in Impasto-Technik ohne Kontur aus Farbgespinsten formuliert und sozusagen ihre Schöpfung vor Augen führt. Die Mini-Retrospektive mit vier Gemälden aus vier Jahrzehnten des hochgeschätzten, selten gezeigten französischen Malers ist ein Höhepunkt der Ausstellung. Überhaupt unternimmt es die Ausstellung immer wieder, das Werk eines Künstlers an anderer Stelle mit weiteren Beiträgen wieder aufzunehmen und so, in neuem zeitlichen oder inhaltlichen Umfeld, zu befragen: Ein guter Weg, um das Besondere herauszuarbeiten.
„Me in a no-time state“ – Über das Individuum | bis 14.8. | Kolumba | 0221 93 31 93 32
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