Überwog im Kolumba die alte Kunst schon einmal so deutlich gegenüber der Gegenwartskunst? Dazu trägt jetzt vor allem die 20-teilige Bildfolge zur Legende des heiligen St. Severin im oberen Ausstellungsgeschoss bei. Um 1500 von Mitgliedern des hier ansässigen Stiftes St. Severin beauftragt, hat der sog. Meister der Ursulalegende die um 900 verfasste Vita des 500 Jahre zuvor gestorbenen Kölner Bischofs in die Gegenwart des Spätmittelalters übertragen. Einzelne Textstellen sind in die Darstellungen integriert, die reale Orte mit Erfundenem zusammenführen. Dem Kuratorenteam um Stefan Kraus war über die Botschaft und die faszinierende Malerei hinaus besonders wichtig, dass es sich bei der Heiligenlegende um eine zentrale Erzählform des christlichen Abendlandes handelt. In der Ausstellung flankiert von Holzskulpturen, entfaltet sich hier die Erzählkunst des Mittelalters in aller Pracht.
Demgegenüber ist die heutige – weltliche – Kunst oft verhalten und belässt es bei der Andeutung. Dass sie aber genauso komplexe Erzählungen von existenzieller Dimension umfasst, verdeutlicht nun die Jahresausstellung im Kolumba. Mit ihrem Titel fragt sie nach dem roten Faden, an dem sich der Betrachter durch komplexe Systeme tastet. Die Ausstellung beginnt im Erdgeschoss mit einem Holzkasten, der mit einer Glasscheibe bedeckt und mit Laborgefäßen verbunden ist. Erst allmählich erkennt man die Kadaver zweier (See-) Vögel, weitgehend bedeckt von Erde und Schlamm, als Opfer einer Ölpest. Felix Droeses Arbeit „Keine Kunst aber Tatsachen“ (1987/92) ist in ihrem politischen Impetus ebenso nüchtern wie sie das (plastische) Bild als Medium der Vermittlung wählt. Themen sind das Bewusstsein für das Kreatürliche und der Protest gegenüber der Zerstörung der natürlichen Ressourcen – Aspekte, die im Werk von Droese, der bei Joseph Beuys an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert hat und mit seinen monumentalen gesellschaftspolitischen Scherenschnitten berühmt wurde, zentrale Bedeutung besitzen. Hier nun lässt sich die Einsicht in die Zusammenhänge augenblicklich in ihrer Gesamtheit erkennen.
Demgegenüber ist der Film eine linear chronologische Erfahrung. Dazu ist – als weiteres Hauptwerk der Ausstellung – eine Videoinstallation von Marcel Odenbach zu sehen: „In stillen Teichen lauern Krokodile“ (2002-04). Odenbach thematisiert den Genozid in Ruanda von 1994 und untersucht, wie dadurch Land und Gesellschaft verändert wurden. Er kombiniert filmisches Dokumentationsmaterial aus dem Archiv der UNO mit weiteren, auch eigenen Filmaufnahmen. Der Völkermord und der Wahnsinn dahinter sind in die Tonspur verlegt. Die Bildsequenzen wirken hingegen oft poetisch, sie zeigen die Landschaft, und doch tauchen auch da immer wieder Hinweise auf den Konflikt auf. „In stillen Teichen lauern Krokodile“ ereignet sich auf mehreren Ebenen, als Umschreibung und Betroffenheit über das, was schwer darstellbar ist: die Befindlichkeit und das Leiden einer ganzen Nation.
Neben den vielteiligen und schon dadurch narrativen Schilderungen – zu denen auch Ilya Kabakovs Alben-Zyklus und die berühmte Radierfolge „Der Krieg“ von Otto Dix gehören – beeindrucken in der Ausstellung lakonische Zeichen: Erzählungen können ebenso in einer Geste konzentriert sein. Dies gilt für Rebecca Horns Koffer, der eine Stange „hochfährt“ und sich dabei wie ein Buch oder Flügel – mit den Assoziationen an Deportation und Ausreise, Verzweiflung und Hoffnung – öffnet. Es trifft auch auf Jannis Kounellis‘ „Bürgerliche Tragödie“ zu, bei der der Mensch gerade die Szenerie verlassen haben könnte. Diese Installation ist übrigens Teil der Dauerpräsentation. Schließlich ist sie als solche bereits von großer Spiritualität durchdrungen – was für die alte sakrale Kunst gilt, trifft eben auch auf die heutige Kunst zu.
„Der rote Faden – Ordnungen des Erzählens“ | bis 22.8. | Kolumba | 93 31 93 33
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