Am 7.1.14, stürmten zwei schwerbewaffnete Täter die Pariser Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo und erschossen vor Ort 12 Menschen. Es folgte eine stundenlange Hetzjagd durch Frankreich bis die mutmaßlichen Dschihadisten gefunden und anschließend erschossen wurden. Zeitgleich hat ein weiterer Islamist einen Anschlag auf einen jüdischen Supermarkt verübt, der fünf weitere Leben kostete.
„So ein Scheiss“ war einer der ersten Gedanken, die einem beim Lesen dieser Nachrichten durch den Kopf schossen. Nicht nur wurden 17 unschuldige Menschen ermordet, sondern man hat zusätzlich der Presse- und Meinungsfreiheit in ganz Europa erheblichen Schaden zugefügt. Welch ein gefundenes Fressen für die rechten Populisten von Pegida, Hogesa und Co. Man wartete nur darauf, dass sie mit dem Finger auf Paris zeigen und sagen würden: „Siehste, wir haben doch Recht!“. Das taten Sie kurz darauf auch, so behauptete AfD-Spitzenpolitiker Jörn Kruse laut Spiegel-Online: „Leider ist es viel früher passiert, als ich gehofft habe". Die mediale Empörung über dieses Statement folgte prompt.
Auch in Köln versuchte gestern am 14. Januar die Kögida (Kölner gegen die Islamisierung des Abendlandes) erneut in der Stadt Fuß zu fassen. Dabei war bis kurz vor Beginn der Demonstration noch völlig unklar, ob der Kölner Pegida-Ableger überhaupt den geplanten „Abendspaziergang“ umsetzen dürfe. Das Kölner Verwaltungsgericht hatte zunächst eine Genehmigung für die Protestroute durch die Innenstadt untersagt und die Demonstration auf eine Kundgebung reduziert. Dagegen klagte Kögida im Eilverfahren und bekam wenige Stunden vor Beginn der Veranstaltung die Zusage für den Spaziergang vom Oberverwaltungsgericht in Münster.
Zusätzlich hatte spontan die rechte Hooligan-Gruppierung Hogesa (Hooligans gegen Salafisten) in sozialen Netzwerken dazu aufgerufen, die Teilnehmer der Kögida-Kundgebung vor der Antifa und dem linken Kern der Gegendemonstration „zu schützen“. Den Hooligans wurde erst kurz zuvor eine Kundgebung für Sonntag in Essen verweigert. Die Gegendemo wird dennoch wie geplant stattfinden.
So kam es, dass die Kundgebung zum größten Teil von der Hogesa einverleibt wurde, was aber auch nicht gerade schwer war: Nur 150 Teilnehmer sind laut Polizei-Angaben dem Ruf der Kögida gefolgt. Etwa die Hälfte der Demonstranten auf dem Bahnhofsvorplatz bestand laut Schätzungen aus gewaltbereiten Hooligans. Im Chor brüllten sie „Wir sind da! Hogesa!“. Gegen 17.45Uhr wurde bereits der gesamte Bahnhofsvorplatz gesperrt. Mehrere Reihen von Polizisten postierten sich vor den Ausgängen des Bahnhofes und verhinderten jegliches Durchkommen zur Demonstration von Kögida. Zeitweise war der Hauptbahnhof nur noch über den Breslauer Platz oder die U-Bahn-Eingänge zu erreichen.
Parallel versammelten sich die Gegendemonstranten ab 17.30Uhr neben der Kreuzblume vor dem Dom-Hauptportal. Die Stimmung war friedlich, viele Teilnehmer hatten Transparente mitgebracht. Man sah Schilder mit der Aufschrift „Je suis Charlie“, „Vielfalt statt Einfalt“ oder überdimensionale Flaggen mit Herzen darauf. Zu Beginn der Gegendemo herrschte noch einige Verwirrung, wo es überhaupt hingehen solle. Erst Tröpfchenweise bewegten sich einige Demonstranten zielstrebig Richtung Freitreppe, um von dort aus gegen Kögida-Stimmung zu machen. Ein großes Lob haben die Organisatoren von „Köln gegen rechts“ und „Kein Veedel für Rassismus“ verdient, die sich Mühe gaben, mittels Megaphonen die Gegendemo zu führen und die Teilnehmer zu informieren, was gerade passierte.
Kurz nach 18Uhr schlug die bis dato ruhige Stimmung plötzlich um. Die circa 3000 Gegendemonstranten begannen laut zu pfeifen, Buh- und „Pfui!“-Rufe erfüllten die Straßen um den Kölner Dom, als die ersten Deutschlandflaggen von den Hooligans auf dem Bahnhofsvorplatz sichtbar wurden. Immer mehr friedliche Protestler versammelten sich vor den Polizei-Absperrungen und stimmten Chöre an: „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“, „Nazis raus, Nazis raus“, „Hogesa, Pegida, ihr marschiert nie wieder“. Hier und da hörte man Trommler und Musik, manche Menschen tanzten im Licht der Laternen. Die Masse war so laut, dass zu bezweifeln ist, ob die Kögida bei diesem Lärm überhaupt die Kundgebung vernünftig abhalten konnte.
Eine zusätzliche Demo fand andernorts als Trauerkundgebung mit insgesamt 3000 Teilnehmern für die Opfer der Pariser Anschläge zunächst auf dem Appelhofplatz statt. Organisiert wurde diese von „Köln stellt sich quer“ und als alleiniger Redner wurde Dr. Navid Kermani eingeladen. Für Mitorganisatorin Brigitta von Bülow war diese Veranstaltung nicht als Konkurrenz für die Anti-Pegida-Demo gedacht: „Es ergänzt sich und koexistiert, um das ganze Spektrum abzudecken“, erklärte sie choices gegenüber am Nachmittag. Der doppelte Termin sei sogar bewusst gewählt worden: „Natürlich ist das kein Zufall, dass wir den heutigen Tag für die Mahnwache gewählt haben, aber wir wollen uns unsere Aktionsform nicht von den Rechten vorschreiben lassen“. Nachdem die Kundgebung endete, marschierten die Teilnehmer gemeinsam in Richtung Dom und schlossen sich der Gegendemo an.
Gegen 19 Uhr startete anschließend der geplante Spaziergang der Anti-Islamisten über die Domprobst-Ketzer-Straße zum Kattenbug und wieder zurück zum Bahnhof. Synchron setzte sich die Gegendemo in Bewegung und verfolgte sie über die Parallelstraßen. Die Teilnehmerzahl der Gegendemo war zu der Zeit laut Polizei auf insgesamt 6500 angewachsen. Den Demonstranten gelang es zu keinem Zeitpunkt, den Abendspaziergang der Kögida und Hogesa zu sabotieren. Dafür leistete die Polizei gute Arbeit, indem sie das Zusammentreffen der beiden Fraktionen und daraus resultierende, gewalttätige Ausschreitungen verhinderte. Ein Demonstrant meinte hierzu: „Die Polizisten sind wirklich zu bewundern, dass die bei den vielen Menschen noch ruhig bleiben können. Als wir weiter vorne standen haben wir sogar mit denen Witze gerissen“.
Als um 20 Uhr die Gegendemo wieder zum Bahnhof zurückkehrte, näherte sich die Veranstaltung ihrem Ende. Hogesa und Kögida wurden zu ihren Zügen im Hauptbahnhof eskortiert und der Großteil der Gegendemonstranten zerstreute sich friedlich. Nur einige Linke und Jugendliche zog es noch auf die Rückseite des Bahnhofs auf den Breslauer Platz, wo sie hofften auf die Rechten zu stoßen. Die Polizei war jedoch schneller und hatte bereits alle Eingänge zum Bahnhof gesperrt. Rufe wie „Nie wieder Deutschland“ und „Polizisten schützen die Faschisten“ ertönten. Manche Demonstranten stiegen auf die Tische der Außengastronomie und schwenkten Antifa-Flaggen. Der Rest verlor nach kurzer Zeit bereits das Interesse und ging weiter.
Bemerkenswert, dass eine solch große Demonstration ohne schlimmere Zwischenfälle funktioniert hat. An diesem Abend konnte man mit dem guten Gefühl nach Hause gehen, zu einer weltoffenen und kulturliebenden Großstadt wie Köln zu gehören.
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